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Er schlief ein.

Sie verbrachten die ganze Nacht und den darauffolgenden Tag in der Hütte. Am Nachmittag schlief Deutschmann einige Stunden lang einen schweren Schlaf der Erschöpfung. In der größten Hütte hatten sie ein Säckchen Sonnenblumenkerne gefunden. Während Schwanecke an der Wand unter dem Fenster lehnte und mit der Maschinenpistole auf den Knien Wache hielt, kaute er an den Kernen herum und spuckte die Schalen auf den Boden. Ab und zu sah er hinüber zu Deutschmann, der wie ein Toter, mit zwei alten Säcken zugedeckt, auf dem Dielenboden lag, und nickte vor sich hin. Einmal stand er auf und zog den verrutschten Sack bis unter das Kinn des Schlafenden. Er tat es seltsam verschämt, ungeschickt, doch seine großen, klobigen Hände waren zärtlich wie die eines Vaters, der sein Kind zudeckt.

»Ist ‘n armes Schwein«, murmelte er, als er zurück zu seinem Platz unter dem Fenster ging, »ein verflucht armes, gescheites Schwein, ein Professor, aber ein armes Schwein .«

Kurz vor der Abenddämmerung brachen sie auf.

Die russische HKL war nur dünn besetzt. Es war bitter kalt und außer einigen weit auseinanderliegenden Posten saßen alle Soldaten in ihren Unterständen. Bei solcher Kälte griffen die Deutschen nie an. Nur die Russen. Und außerdem - wann hatten in den letzten Monaten die Deutschen schon von sich aus angegriffen? Wenn sie selbst angegriffen wurden, dann schlugen sie zurück, das stimmte, aber sonst? Dazu waren es auch zu wenige. Viel zu wenige! Wo sind eigentlich die großen Armeen, die großartig ausgerüsteten Menschenmassen aus dem ersten Kriegsjahr geblieben, wo es für sie nichts anderes gab, als immer weiter gegen Osten zu stürmen?

Jetzt waren die Germanskis glücklich, wenn man sie in Ruhe ließ ...

Deutschmann und Schwanecke lagen eng aneinandergepreßt in einem Trichter.

»Siehst du dort - den Panzer?« fragte Schwanecke flüsternd.

»Ja. Du meinst den abgeschossenen?«

»Ja. Der liegt bereits im Niemandsland. Bis dahin bringe ich dich. Dann mußt du selbst weitersehen.«

»Ja.«

»Denn los. Immer robben - den Arsch am Boden lassen ... weiter!«

Schlangengleich, unhörbar, aus einer Entfernung von wenigen Metern kaum sichtbar, krochen die beiden Männer gegen die russischen Gräben und gegen die dunkle Silhouette des abgeschossenen Panzers im Niemandsland.

Der Schnee war von vielen Schritten festgetreten, die Luft war eisig und still, das Hemd klebte schweißnaß an Deutschmanns Körper, und über sein Gesicht rannen Schweißtropfen und zogen die Haut wie steifes Papier zusammen.

Der russische Graben.

Sie hatten eine Stelle gefunden, wo die Grabenränder von den Panzern eingedrückt wurden. Nun schlängelten sie sich langsam, Zentimeter um Zentimeter auf die andere Seite. Etwa zwanzig Meter Seitwärts sahen sie eine kleine, dunkle Kuppe -den Kopf eines russischen Postens, der über den Grabenrand ins Niemandsland sah. Ein roter Punkt glühte von Zeit zu Zeit auf. Er raucht, dachte Schwanecke abgerissen, er raucht, der Hundesohn ... weiß von nichts ... ich könnte hinkriechen und ihn ... er würde nichts hören ...

Hinter ihm schabte Deutschmanns Körper über den Boden, ein Geräusch, das man meilenweit hören konnte, wie es den beiden schien.

Aber der Posten seitwärts rührte sich nicht, und dann verschwand sein Kopf hinter dem Grabenrand; sie krochen weiter, langsam, langsam ... ich muß noch zurück, dachte Schwanecke kurz, noch einmal ... es ist nicht mehr weit.

Noch fünfzig Meter bis zum dunklen Schatten des abgeschossenen Panzers. Noch vierzig.

Schwanecke verharrte, bis Deutschmann an seiner Seite lag. Dann drehte er das Gesicht zur Seite und preßte den Mund gegen Deutschmanns Ohr.

»Vielleicht Minen. Wir müssen aufpassen. Bleib genau hinter mir. Kapiert?«

Deutschmann nickte. Sein Atem ging keuchend und schnell.

»Also los!«

Sie krochen weiter. Schwanecke tastete mit den Händen den Boden vor sich ab. Hier lagen keine Minen. Aber vielleicht einen Meter weiter. Vielleicht auf diesem Buckel. Er mußte ‘rum um den Buckel. Immer in den Mulden bleiben. Er mußte sich den Weg merken. Er mußte sich jede Bodenerhebung ins Gedächtnis einprägen. Wenn er zurückging, hatte er vielleicht nicht soviel Zeit, um auf Minen achtzugeben. Da -!

Er wartete wieder, bis Deutschmann auf seine Höhe gekrochen kam, und flüsterte: »Da - eine Mine.« Mit der Hand strich er über eine kleine Erhebung im Schnee, die sich in nichts von den anderen unterschied. »Ich rieche sie, verstehst du? Und da- rechts, wieder eine. Paß auf! Zwischendurch ... weiter!«

Fünfundzwanzig Meter.

Wirre, zerschossene Reste eines sich nach links und rechts in die Nacht ziehenden Drahtverhaues.

»Nicht berühren -!« flüsterte Schwanecke nach hinten, während er weiterkroch. Aber Deutschmann hörte ihn nicht. Sein Herz schlug in schnellen, bis hoch in den Hals reichenden Stößen. Er sah auf die vor ihm pendelnden Stiefelsohlen Schwaneckes, die manchmal in einem vorbeiziehenden Nebel verschwanden und wieder auftauchten, wenn er die Augen für zwei, drei Sekunden fest schloß und schnell aufriß. Bei dem Panzer werde ich ausruhen können, dachte er, bei dem Panzer - wie weit ist es noch dorthin? Die wenigen Meter bis zu dieser Stelle erschienen ihm eine Ewigkeit weit zu sein, so als würde ihn von dem dunklen, langsam immer größer werdenden Schatten in der Dunkelheit ein unermeßlicher Abgrund trennen.

Mit dem Gesicht stieß er gegen den kalten Stacheldraht und zuckte zurück. Er hatte ihn nicht gesehen, und plötzlich wurde er sich bewußt, daß er bereits einige Sekunden, die ihm sehr lange erschienen, nichts mehr gesehen hatte und wie durch eine tiefe Finsternis kroch. Ich muß mich zusammennehmen, dachte er mit zusammengebissenen Zähnen, ich muß ...

Schwaneckes schattengleicher Körper wand sich zwischen den Drähten. Deutschmann blieb genau hinter ihm, manchmal berührte sein Körper einen Pfahl oder den Draht, dann war Schwanecke durch, drehte sich zurück, grinste, seine Zähne leuchteten weiß, er kroch weiter, und dann war auch Deutschmann halb draußen, der Panzer war jetzt ganz nahe, nur noch zehn oder fünfzehn oder zwanzig Meter: Dort würde er sich ausruhen können.

Er blieb mit einem Bein hängen und zog ungeduldig an, um freizukommen. Das Klappern leerer Konservendosen, die im

Drahtverhau hingen, war in der stillen Nacht laut wie plötzliche Gewehrschüsse. Schwanecke drehte sich erschrocken um: »Idiot -! Leise -!« Aber Deutschmann hörte ihn nicht; verzweifelt zerrte er an dem Draht, wo sich seine Hose verfangen hatte, die Konservendosen klapperten, er kam los, kroch weiter- und in diesem Augenblick erwachte die Front aus ihrem scheinbaren, sprungbereiten Schlaf.

Ein russisches MG begann zu rattern, in den Gräben wurde es lebendig, man hörte heisere, aufgeregte Rufe, trampelnde Schritte, das Schießen wurde dichter, es kam von allen Seiten auf sie zu. Ein Granatwerfer. Leuchtkugeln zischten empor und erhellten das Vorfeld mit einem weißen, gleißenden Licht. Und dann begann es auch auf der deutschen Seite, aus den Bunkern krochen Landser und eilten in die Gräben - Schwanecke sah dieses Bild so lebendig vor sich, als wäre er liegend mittendrin- deutsche Leuchtkugeln, das rasende Rattern eines MG-42, Gewehrgranaten und mittendrin die beiden Männer, die sich, so tief es ging, in den Schnee drückten.

»Ruhe - nur Ruhe!« zischte Schwanecke nach hinten. »Es geht vorbei, die haben nichts gesehen - nur Ruhe - Ruhe!«

Leuchtspurmunition des deutschen MGs streute rasende Perlenschnüre über sie hinweg, zwei - drei - vier Minen schlugen ganz nahe ein, neue Leuchtkugeln, aber es war, als wäre das Feuer zögernder geworden, weniger wütend. »Nur Ruhe -Ruhe -!« zischte Schwanecke zu dem in einer Bodenmulde liegenden Deutschmann. »Der Feuerzauber geht vorbei .«

Hinter dem Panzer konnten sie ausgezeichnete Deckung finden. Es galt nur, bis dahin zu kommen und dort abzuwarten.