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Er lauschte. Kein Schritt war zu hören, auch nicht das Klappern von Instrumenten oder Gläsern, wie es bei Schwester Erna immer der Fall war, kein rauh-gutmütiges »Grüß Gott, wie geht’s unserem Kranken?« wie Oberschwester Hyazintha - ein komischer Name - immer sagte, wenn sie das Zimmer betrat.

Stille.

»Wer ist da?« fragte er. »Ist jemand hier?«

An der Tür standen Dr. Wissek, Dr. Kukill - und Julia. Sie rührten sich nicht. Wie erstarrt sahen sie auf den bleichen, schmalen Mann in dem flachen Bett, mit dem dick verbundenen Kopf und dem kaum sichtbaren, blutleeren Mund über dem spitzen Kinn. Lange, schmale, totenbleiche Hände, deren Finger plötzlich Leben gewannen und wie suchend über die Decke tasteten ...

Dr. Kukill senkte den Kopf. Blind ... ein Krüppel, dachte er, sie - sie hat ihn wieder - einen blinden Krüppel ... mein Gott! Aber sie hat ihn wieder, nur wie, nur wie! Er drehte sich um und ging langsam, schlurfend, mit gebeugtem Rücken weg. Hier hatte er nichts mehr zu suchen. Aus. Endgültig aus. Er hatte Julias Augen und Gesicht gesehen, als sie auf den Mann im Bett blickte, und ganz klar und deutlich gefühlt, daß er überflüssig war.

»Wer ist da?« fragte Deutschmann wieder, mit einer ängstlichen, ahnungsvollen Stimme.

»Ich - ich -«, flüsterte Julia und stützte sich auf den Türpfosten. »Ich bin’s, Ernst, ich bin’s ...!«:

Nun ging auch Dr. Wissek. Leise schloß er die Tür hinter sich, horchte - und hörte langsame und dann plötzlich sehr, sehr schnelle Schritte zu Deutschmanns Bett laufen.

Er lächelte.

Was stand diesen beiden Menschen bevor? Welches Leben? Konnte es nicht über ihre Kräfte gehen? Würden sie so stark sein, die Schrecken der Gegenwart, jeder Stunde, jeder Minute, immer wieder zu besiegen? Und die Schrecken der Vergangenheit? Und doch ... Welch ungeheure Opfer würde die Zukunft von ihnen verlangen - besonders von Julia! Und doch ...

Sie lebten. Wie leichtfertig war es zu sagen: Besser wäre es, wenn er stürbe. War nicht das Leben das Wichtigste, das es auf der Welt geben konnte? Konnte die Liebe nicht alles das überwinden, was zu überwinden fast unmöglich schien?

Ja. War sie nur stark und groß genug, war sie nur bereit zu geben, immer wieder zu geben und jede kleine Gegengabe als ein Geschenk zu betrachten. Dann ja.

Auch Dr. Wissek hatte in Julias Augen geblickt, bevor er sie verließ. Und in ihnen hatte er diese Liebe gesehen.

An einem der grauen, trostlosen Wintertage stand Hauptmann Barth vor Krülls Bett im Kriegslazarett in Orscha. In seiner Hand wog er einen kleinen Pappkarton mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse und den dazugehörigen Urkunden - blanko unterschrieben, mit dem später eingesetzten Namen Oberfeldwebel Krülls. Ein junger Leutnant, frisch von der Kriegsschule - Barths neuer Adjutant -, stand etwas verlegen hinter dem Hauptmann und sah respektvoll auf den Oberfeldwebel, der sich fein gemacht hatte und mit zugeknöpfter Uniformjacke, zitternden Backen und steil aufgerichtetem Körper in seinem Bett saß.

Viele bleiche, abgezehrte, ernste und grinsende Gesichter blickten von den anderen Betten herüber.

»Sie sind der Letzte der zweiten Kompanie«, sagte Hauptmann Barth - und es klang so, als wäre dies ein Vorwurf. Aber Krüll überhörte es. Sein Blick hing wie gebannt an dem Pappkarton, um ihn lag ein herrlicher, rosiger Nebel, durch den Barths Stimme nur leise, wie von ferne drang.

EK I!

»Für diesen Einsatz bekam die Kompanie das EK I«, fuhr Barth fort, »und nun muß ich es wohl verleihen. Sagen Sie, wie haben Sie das eigentlich gemacht?«

Krüll fuhr zusammen. »Was - was, Herr Hauptmann?« stammelte er.

»Na, daß Sie zurückkamen?«

»War er denn überhaupt fort?« fragte eine Stimme aus dem Hintergrund, und einige Verwundete kicherten unterdrückt.

»Ich hatte Glück, Herr Hauptmann«, sagte Krüll, »ich habe -«, er suchte nach einem richtigen, erhebenden Wort, »- ich habe einfach meine Pflicht erfüllt und bin dann eben zurückgekommen, nach dem erfüllten Auftrag. Es war bestimmt nicht leicht, Herr Hauptmann, die Russen haben nur so auf mich .«

Barth winkte ungeduldig ab. Ihn ekelte. Er starrte auf die Auszeichnung und dann auf die leere Uniformjacke des Oberfeldwebels mit dem einsamen Sportabzeichen auf der linken Seite. »Also«, sagte er schließlich, »ich verleihe Ihnen hiermit das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse -«, er griff in den Karton und steckte das Kreuz an Krülls Jacke, »- für die Tapferkeit vor dem Feind, als dem letzten Mann der zweiten Kom-panie ...« Dann setzte er ganz leise und mehr spöttisch, immer noch über den zitternden Oberfeldwebel gebeugt, hinzu: »Sie -Held -!«

Dann richtete er sich brüsk auf und sagte zu dem erstaunten, verlegenen Leutnant, ohne sich um die Verwundeten zu kümmern, die ihn stumm ansahen:

»Versuchen Sie, ein Gespräch mit der Stammersatzabteilung in Posen zu bekommen. Und bestellen Sie, man soll mir Leute für eine neue zweite Kompanie schicken. Wir haben ja genug davon ...«