Hugh Bolitho musterte sie durch den immer heftiger werdenden Regen.
«Fertig, Leute! Bleibt dicht zusammen!«Er wandte sich um, als ein weiterer Reiter in der Dunkelheit davongaloppierte, der den Brief zu Oberst de Crespigny bringen sollte.
«Und wenn wir diese Teufel finden, möchte ich kein Rachegemetzel erleben. Gerechtigkeit ist es, was wir jetzt brauchen. «Er wendete sein Pferd auf den nassen Pflastersteinen.»Los!»
Außerhalb der Stadt mußten sie wegen des dichten Regens und des schlechten Straßenzustands die Gangart der Pferde verlangsamen. Nach kurzer Zeit stieß ein einsamer Reiter zu ihnen, der eine lange Muskete quer vor sich über dem Sattel hielt. Er sah aus wie das Bild eines alten Kriegers.»Hier entlang, Mr. Hugh, Sir!«Es war Pendrith, der Jagdaufseher.»Ich habe von Ihrem Plan Wind bekommen, Sir. «Es klang, als grinste er.»Dachte, Sie könnten einen alten Waldläufer dabei gebrauchen.»
Schweigend ritten sie weiter, nichts war zu hören als das Trommeln der Hufe auf dem nassen Boden, das Keuchen von Mensch und Tier und das gelegentliche Klirren eines Steigbügels oder Entermessers.
Bolitho dachte an seinen Ritt mit Dancer, als sie zu dem schwach-sinnigen Jungen in der kleinen Bucht geritten waren, wo Tom Morgans Leichnam lag. War es erst wenige Tage her? Es kam ihm vor, als seien es Monate gewesen. Als sie näher an das abgebrannte Dorf kamen, erinnerte sich Bolitho, wie seine Mutter ihn gescholten hatte, weil er als Junge einmal auf einem geliehenen Pony allein dorthin geritten war, nur von einem Hund begleitet. Jetzt hatte sie den Aberglauben als töricht bezeichnet, doch damals hatte sie anders gesprochen. Die Pferde drängten sich zusammen, als Pendrith abstieg und sagte:»Höchstens noch eine halbe Meile, Sir. Es ist wohl besser, von hier aus zu Fuß zu gehen.»
Hugh sprang aus dem Sattel.»Fesselt die Pferde. Zwei Leute bleiben hier als Wache. «Er zog die Pistole und wischte mit dem Ärmel das Regenwasser davon ab.»Führen Sie uns, Pendrith! Ich bin mehr auf See zu Hause als im Wald. «Bolitho merkte, daß einige Leute über diese Bemerkung lachten. Er lernte immer noch dazu.
Pendrith und ein Knecht führten sie. Es war kein Mond zu sehen, aber eine Lücke im jagenden Gewölk gab kurz den Blick frei auf ein kleines spitzes Dach.
Bolitho flüsterte seinem Freund zu:»Noch heute bauen sie in manchen Dörfern diese kleinen Hexenhäuser. Sie sollen am Dorfeingang die bösen Geister vertreiben. «Dancer bewegte sich unbehaglich in seinen geborgten Sachen und zischte:»Hier haben sie wohl nicht viel Erfolg damit gehabt.»
Pendriths massige Gestalt kam zu ihnen zurückgerannt, Bolitho schien es, als werde er von Gespenstern gejagt. Der Jagdaufseher stieß hervor:»Dort brennt irgendein Feuer, Sir, auf der anderen Seite des Dorfes!»
Er wandte sich wieder um, und jetzt leuchtete sein Gesicht rot auf, als eine gewaltige Feuerzunge himmelwärts stieg und eine Wolke von Funken in die Luft wirbelte.
Einige der Männer schrien entsetzt auf; selbst Bolitho, der an die alten Hexengeschichten gewöhnt war, lief es eiskalt über den Rücken.
Hugh brach durch die Büsche, alle Vorsicht beiseite lassend, und schrie:»Lebhaft, Jungs, sie haben eine der Hütten in Brand gesetzt!»
Als sie die Kate erreichten, brannte sie bereits lichterloh. Ein dichter Funkenregen prasselte auf die geblendeten Leute herab und hinderte sie am Näherkommen.
«Mr. Dancer! Nehmen Sie zwei Mann, und gehen Sie auf die Rückseite!»
Im Licht der sich rasch ausbreitenden Flammen hoben sich die Gestalten der Seeleute und Landarbeiter klar vom Hintergrund der Bäume und Regenschleier ab. Richard Bolitho wickelte sich sein Halstuch um Mund und Nase und trat dann mit voller Wucht gegen die Tür. In diesem Augenblick stürzte polternd das strohgedeckte Dach ein, so daß Funken seine Beine versengten. Pendrith brüllte:»Zurück, Master Richard! Es ist zwecklos!«Bolitho wandte sich ab und sah seinen Bruder in die Flammen starren, unempfindlich gegen Hitze und Funken. Im selben Augenblick wurde ihm alles klar. Hugh sah mit der Hütte all seine Hoffnungen, seine ganze Zukunft in Flammen aufgehen. Die Hütte mußte angezündet worden sein, denn kein normales Feuer hätte sich bei diesem starken Regen so rasch ausbreiten können. Rasch faßte er einen Entschluß. Er warf sich nochmals mit ganzer Kraft gegen die Tür, von dem eisernen Willen getrieben, noch rechtzeitig in die Hütte zu gelangen.
Die Tür gab nach und stürzte wie eine verkohlte Zugbrücke nach innen, und als der Rauch sich hob, sah er den sich windenden Körper eines Mannes zwischen brennenden Möbeln und glühenden Dachsparren am Boden liegen. Blitzartig registrierte er diese Einzelheiten, während er hineinrannte, sich über den Liegenden beugte und ihn an den Schultern zur Tür zerrte. Der Mann war an Händen und Füßen gefesselt und half verzweifelt mit den Beinen nach. Über dem Knebel quollen seine in Todesangst geweiteten Augen hervor. Der Gestank verbrannten Fleisches und der Gedanke an die ungeheure Grausamkeit, mit der ein Mensch hier bei lebendigem Leibe hätte verbrannt werden sollen, verursachten Bolitho Übelkeit.
Schreie drangen durch das Brausen der Flammen an sein Ohr wie das Kreischen sterbender Hexen, die einen letzten Fluch ausstießen.
Nun griffen andere zu und zerrten Bolitho samt seiner Last ins Freie, in den herrlichen, kühlenden Regen. Dancer kam durch den Feuerschein gerannt und schrie aufgeregt:»Das ist das Dorf, Dick! Ich bin ganz sicher! Diese Hütten wand…«Er brach ab und starrte auf den halb verbrannten Mann am Boden, der offensichtlich mit dem Tode rang. Pendrith kniete in Schlamm und Funkenflug neben ihm und fragte heiser:»Wer hat dir das angetan?»
Der Mann, in dem Pendrith bereits den vermißten Blount erkannt hatte, keuchte:»Sie haben mich gefesselt, damit ich verbrenne!«Er krümmte sich vor Schmerzen, die Zähne im Todeskampf entblößt.»Sie wollten mir nicht glauben!«Er schien erst jetzt zu merken, daß ihn Seeleute umstanden, und fügte mit brechender Stimme hinzu:»Nach allem, was ich für ihn getan habe!«Hugh beugte sich über ihn, das Gesicht wie zu Stein erstarrt, und drängte:»Wer? Wer hat es getan, Blount? Wir müssen es wissen!«Er versteifte sich, als eine der geschwärzten Hände des Verbrannten nach seinen weißen Aufschlägen griff.»Du stirbst! Sag's uns, bevor es zu spät ist!»
Der Kopf des Mannes sank zur Seite; Bolitho konnte fast fühlen, wie seine Schmerzen beim Nahen des erlösenden Todes verebbten.
«Vyvyan!«Noch einen Augenblick gaben ihm Haß oder Lebenswille Kraft. Blount schrie den Namen: «Vyvyan!«Hugh Bolitho stand auf und nahm den Hut ab, stand entblößten Hauptes, als sollte der Regen wegwaschen, was er gesehen hatte. Robins flüsterte:»Dieser Schrei hat ihm den Rest gegeben, Sir. «Hugh wandte sich ab.»Ihm und manchen anderen. «Als Richard Bolitho sich zum Gehen anschickte, sah er den Fleck an seines Bruders weißem Aufschlag, den der sterbende Blount hinterlassen hatte. Im flackernden Licht der Flammen kam er ihm vor wie ein Abdruck der Klaue Satans.
X Feuer frei!
Bolitho und Dancer richteten ihre Gläser auf die Anlegebrücke und beobachteten die plötzliche Aktivität bei der Jollenbesatzung, die dort seit mehr als einer Stunde wartete.»Bald werden wir es. wissen, Dick. «Dancers Stimme klang nervös.
Bolitho senkte sein Teleskop und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Er war klatschnaß, aber genau wie Dancer und die meisten Besatzungsmitglieder der Avenger hatte er keine Ruhe gefunden und erwartete ungeduldig seines Bruders Rückkehr.
Das erste Entsetzen nach dem Auffinden des Mannes, der Vyvyans Beteiligung bei all diesen Verbrechen bestätigte, war schon abgeklungen. Colonel de Crespigny war selbst mit einem Dragonertrupp nach Vyvyan Manor geritten, mußte sich dort aber sagen lassen, daß Sir Henry in einer wichtigen Angelegenheit das Haus verlassen habe und man weder wisse, wohin er gefahren sei, noch wann er zurückkomme. Als der Butler des Obersten Unsicherheit spürte, hatte er noch kühl hinzugefügt, Sir Henry habe nichts hinterlassen, denn er sei es nicht gewohnt, daß sich das Militär für seine Schritte interessiere. Von dieser Seite war also keinerlei Schuldnachweis möglich. Außer der letzten, verzweifelten Anklage eines Sterbenden hatten sie nichts, aber auch gar nichts in der Hand. Man hatte in Vyvyan Manor weder gestohlene Ladung noch Gewehre oder Branntwein gefunden, lediglich zahlreiche Abdrücke im Boden, die auf die kürzliche Anwesenheit vieler Menschen hinwiesen. Huf- und Radspuren sowie Schleifspuren von Fässern und Kisten zeigten deutlich, daß eine Menge der verschiedenartigsten Güter in großer Eile beiseitegeschafft worden waren. Aber auch diese Spuren würden vom anhaltenden Regen bald weggewaschen werden. Auf keinen Fall konnten sie als Beweise dienen. Dancer bemerkte leise:» Morgen ist Weihnachten, Dick. Diesmal wird es vielleicht kein fröhliches Fest werden. «Bolitho sah ihn dankbar an. Dancer war vermutlich der einzige, dem die Untersuchungsverhandlung bis auf eine kurze Zeugenaussage erspart bleiben würde. Seine eigene Rolle, ganz zu schweigen von der Bedeutung seines Vaters in der City von London, würden dafür sorgen. Trotzdem fühlte er sich genauso betroffen wie die Brüder Bolitho, die ihn in die ganze Angelegenheit hineingezogen hatten.