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Rand al'Thor, der Wiedergeborene Drache, stand mit auf dem Rücken gefalteten Händen vor dem offenen Fenster und sah hinaus. In Gedanken bezeichnete er sie noch immer so, seine »Hände«, obwohl er jetzt nur noch eine hatte. Sein linker Arm endete in einem Stumpf. Mit den Fingern der guten Hand tastete er über die glatte, mit Saidar Geheilte Haut. Und doch kam es ihm so vor, als müsste die andere Hand noch immer da sein.

Stahl, dachte er. Ich bin Stahl. Das kann nicht repariert werden, also mache ich weiter.

Das Haus - ein Gebäude aus dickem Kiefern- und Zedernholz in einem Baustil, den reiche Domani bevorzugten - ächzte und setzte sich im Wind. Irgendwie roch er nach verfaultem Fleisch. Kein ungewöhnlicher Geruch in diesen Tagen. Fleisch verdarb ohne jede Vorwarnung, manchmal nur ein paar Minuten nach dem Schlachten. Es zu trocknen oder einzusalzen half nicht. Das war die Hand des Dunklen Königs, und sie lastete mit jedem vergehenden Tag schwerer auf allem. Wie lange noch, bevor seine Berührung überwältigend war, so ölig und übelkeiterregend wie der Makel, der einst Saidin überzog, die männliche Hälfte der Einen Macht?

Der Raum war breit und lang, die Außenwand war aus breiten Stämmen gezimmert. Die Innenwände bestanden aus Kiefernplanken, die noch immer einen Duft nach Harz und Beize verströmten. Der Raum war spärlich möbliert; auf dem Boden lag ein Fellteppich, über dem Kamin kreuzten sich zwei alte Schwerter, den Holzmöbeln haftete stellenweise noch Rinde an. Das ganze Anwesen war auf eine Weise eingerichtet, die verkündete, dass das ein idyllisches Heim in den Wäldern war, weit weg vom Gewimmel der großen Städte. Natürlich war es keine Hütte - dafür war es zu groß und verschwenderisch ausgestattet. Ein Zufluchtsort.

»Rand?«, fragte eine Stimme leise. Er wandte sich nicht um, fühlte aber Mins Finger auf dem Arm. Einen Augenblick später bewegten sich die Hände zu seiner Taille, und er fühlte ihren Kopf an seinem Arm ruhen. Er konnte ihre Sorge durch den mit der Einen Macht erzeugten Bund fühlen, den sie teilten.

Stahl, dachte er.

»Ich weiß, dir gefällt nicht, dass ...«, begann Min.

»Das Geäst«, sagte er und wies mit dem Kopf zum Fenster. »Siehst du die Kiefern da, direkt an der Seite von Basheres Lager?«

»Ja, Rand. Aber ...«

»Sie neigen sich in die falsche Richtung«, sagte Rand.

Min zögerte, und obwohl sie sich nach außen hin nichts anmerken ließ, verriet ihm der Bund einen Stich der Furcht. Ihr Fenster befand sich in der oberen Etage des Hauses, und draußen flatterten Banner träge hoch über dem Lager; das Banner des Lichts und das Drachenbanner für Rand, eine viel kleinere blaue Flagge mit drei roten Königspfennigblüten, die die Anwesenheit von Haus Bashere verkündete. Alle drei flatterten stolz ... doch genau neben ihnen wehten die Kiefernäste in die genau andere Richtung.

»Der Dunkle König rührt sich, Min«, sagte Rand. Eigentlich hätte er auch annehmen können, dass diese Winde das Ergebnis seiner Natur als Ta'veren waren, aber die Ereignisse, die er in Gang setzte, waren immer vorstellbar. Wind, der zugleich in zwei verschiedene Richtungen wehte ... nun, er konnte spüren, wie falsch die Bewegungen dieser Kiefern waren, selbst wenn es ihm schwerfiel, die einzelnen Bäume voneinander zu unterscheiden. Sein Augenlicht war seit dem Tag, an dem er seine Hand verloren hatte, nicht mehr dasselbe. Es war, als ... würde er durch Wasser auf etwas Verzerrtes blicken. Es wurde besser. Langsam.

Das Gebäude gehörte zu einer Reihe von Herrenhäusern, Anwesen und anderen abgelegenen Verstecken, die Rand während der letzten Wochen benutzt hatte. Nach dem gescheiterten Treffen mit Semirhage hatte er in Bewegung bleiben wollen, war von einem Ort zum anderen gesprungen. Er hatte Zeit zum Nachdenken haben wollen und hoffentlich die Feinde verwirrt, die vermutlich nach ihm suchten. Lord Algarins Herrenhaus in Tear war kompromittiert worden; zu schade. Das war ein guter Ort gewesen. Aber er musste in Bewegung bleiben.

Basheres Saldaeaner hatten auf dem Rasen vor dem Haus ein Lager aufgebaut - auf einer weiten Grasfläche, die von Tannen und Kiefern umgeben war. Sie als »Rasen« zu bezeichnen, schien bestenfalls noch eine Ironie zu sein. Selbst vor der Ankunft der Truppen war er nicht grün gewesen - eine fleckige braune Fläche aus abgestorbenem Gras, die nur an wenigen Stellen zögerlich von neuen Trieben durchbrochen wurde. Und selbst die waren kränklich und gelb gewesen und von Hufen und Stiefeln zertrampelt worden.

Zelte bedeckten den Rasen. Von Rands Aussichtspunkt im ersten Stock erinnerten ihn die ordentlichen Reihen aus kleinen Spitzzelten an die Rechtecke eines Steinebretts. Die Soldaten hatten den Wind bemerkt. Einige zeigten darauf, andere hielten die Köpfe gesenkt, polierten Rüstungen, trugen Wassereimer zu den Pferdeleinen, schärften Schwerter und Lanzenspitzen. Wenigstens waren es nicht wieder die wandelnden Toten. Die entschlossensten Männer konnten ihren Willen verlieren, wenn sich Geister aus ihren Gräbern erhoben, und Rand brauchte eine starke Armee.

Brauchte. Es ging nicht länger darum, was er wollte oder wünschte. Seine sämtlichen Handlungen konzentrierten sich allein auf Notwendigkeiten, und am meisten brauchte er die Leben jener, die ihm folgten. Soldaten, die kämpften und starben, die die Welt auf die Letzte Schlacht vorbereiteten. Tarmon Gai'don kam. Dass sie stark genug waren, um zu siegen, das brauchte er.

An der linken Rasenseite schlängelte sich ein Bach durch das Gelände, ein Stück unterhalb des kleinen Hügels, auf dem sich das Anwesen erhob. Sicherlich nichts weiter als ein bescheidener Wasserweg, aber eine prächtige Wasserquelle für das Heer.

Plötzlich veränderte sich der Wind, und die Flaggen fuhren herum und flatterten in die andere Richtung. Also waren es gar nicht die Äste gewesen, die Banner hatten in die falsche Richtung gezeigt. Min stieß ein leises Seufzen aus, und er nahm ihre Erleichterung wahr, obwohl sie sich noch immer wegen ihm Sorgen machte. Dieses Gefühl war beständig in letzter Zeit. Er nahm es bei ihnen allen wahr, jeder der vier Gefühlsströme war in seinen Hinterkopf verbannt. Drei von den Frauen, denen er erlaubt hatte, sich dort zu platzieren, einer von der Frau, die sich dort gegen seinen Willen hineingedrängt hatte. Einer von ihnen kam näher. Aviendha, die von Rhuarc begleitet kam, um sich mit ihm hier zu treffen.

jede der vier Frauen würde die Entscheidung bereuen, mit ihm den Bund eingegangen zu sein. Er wünschte, er könnte es bereuen, das zugelassen zu haben - oder zumindest die Entscheidung, es den dreien zu erlauben, die er liebte. Aber in Wahrheit brauchte er Min, brauchte ihre Stärke und ihre Liebe. Er würde sie benutzen, wie er so viele andere benutzt hatte. Nein, in ihm war kein Platz für Reue. Er wünschte sich nur, er könnte seine Schuldgefühle genauso leicht verdrängen.

Ilyena!, sagte eine leise Stimme in seinem Kopf. Meine Liebe ... An diesem Tag verhielt sich Lews Therin Telamon, Brudermörder, relativ ruhig. Rand versuchte, nicht so gründlich über die Dinge nachzudenken, die Semirhage an dem Tag gesagt hatte, an dem er seine Hand verloren hatte. Sie war eine der Verlorenen; sie würde alles sagen, wenn sie der Meinung war, ihrem Opfer damit Qualen bereiten zu können.

Sie hat eine ganze Stadt gefoltert, um sich zu beweisen, flüsterte Lews Therin. Sie hat tausend Männer auf tausend verschiedene Weisen getötet, um zu sehen, wie sich ihre Schreie voneinander unterscheiden würden. Aber sie lügt nur selten. Selten.