Mit noch immer nach Pfeffer und anderen Gewürzen riechenden Händen begab sie sich auf die unterste Ebene der Burg, zum Speisesaal der Novizinnen neben der Hauptküche. Während der vergangenen neun Tage hatte sie hier oft gearbeitet; von jeder Novizin wurde verlangt, schmutzige Arbeit zu tun. Die Gerüche dieses Ortes - Holzkohle und Rauch, brodelnde Suppen und scharfe, unparfümierte Seife - waren ihr sehr vertraut. Eigentlich unterschieden sie sich gar nicht so sehr von der Küche im Gasthaus ihres Vaters daheim in den Zwei Flüssen.
Der weiß gestrichene Raum war leer, niemand saß an den Tischen, aber auf einem stand ein kleines Tablett, das mit einem Topfdeckel abgedeckt war, um es warm zu halten. Ihr Kissen war auch da, von den Novizinnen zurückgelassen, um die harte Bank weicher zu machen. Egwene ignorierte das Kissen, wie sie es immer tat, obwohl sie dankbar für die Geste war. Sie setzte sich und hob den Deckel von der Mahlzeit. Leider stand da nur eine Schüssel mit der gleichen braunen Suppe. Da war keine Spur von dem Braten, der Sauce oder den langen dünnen gebutterten Bohnen, die den Rest von Elaidas Mahlzeit gebildet hatten.
Aber es war etwas zu essen, und Egwenes Magen war dankbar dafür. Elaida hatte ihr nicht befohlen, augenblicklich zu ihrer Bestrafung zu gehen, also hatte Silvianas Befehl, zuerst zu essen, Vorrang. Oder zumindest konnte man es so darstellen, um sich zu schützen.
Sie aß leise und allein. Die Suppe war in der Tat sehr gewürzt und schmeckte genauso nach Pfeffer, wie sie gerochen hatte, aber das war egal. Davon abgesehen war sie eigentlich ganz gut. Man hatte ihr auch ein paar Stücke Brot gelassen, wenn auch vom Laibende. Alles in allem keine schlechte Mahlzeit für jemanden, der geglaubt hatte, gar nichts zu bekommen.
Nachdenklich aß sie, hörte zu, wie Laras und das Küchenpersonal im Nebenraum die Töpfe schrubbte, und war überrascht, wie ruhig sie war. Sie hatte sich verändert; etwas war anders an ihr. Elaida zu beobachten und endlich die Frau zu konfrontieren, die die ganzen Monate ihre Rivalin gewesen war, hatte sie gezwungen, ihre Handlungen in einem neuen Licht zu betrachten.
Sie hatte geglaubt, Elaida unterminieren und von innen heraus die Kontrolle über die Weiße Burg übernehmen zu können. Jetzt erkannte sie, dass sie Elaidas Autorität gar nicht untergraben musste. Die Frau erledigte das mühelos selbst. Egwene konnte sich gut die Reaktion der Sitzenden und der Anführerinnen der Ajahs vorstellen, wenn Elaida ihre Absicht verkündete, die Drei Eide zu verändern!
Elaida würde irgendwann stürzen, mit oder ohne ihre Hilfe. Als Amyrlin bestand Egwenes Pflicht nicht darin, diesen Sturz zu beschleunigen - sondern alles in ihrer Macht Stehende zu tun, die Burg und ihre Bewohner zusammenzuhalten. Sie konnten es sich nicht leisten, sich noch weiter zu entzweien. Es war Egwenes Pflicht, das Chaos und die Zerstörung aufzuhalten, das sie alle bedrohte, die Burg neu zu schmieden. Als sie mit ihrer Suppe fertig war und das letzte Stück Brot dazu benutzte, den Rest aus der Schüssel zu wischen, begriff sie, dass sie tun musste, was auch immer sie tun konnte, um für die Schwestern in der Burg ein starker Halt zu sein. Die Zeit wurde sehr knapp. Was tat Rand der Welt ohne Führung an? Wann würden die Seanchaner im Norden angreifen? Sie würden sich einen Weg durch Andor bahnen müssen, um nach Tar Valon zu gelangen, und welche Zerstörung würde das anrichten? Sicherlich blieb ihr etwas Zeit, um die Burg wieder zu einer Einheit zu schmieden, aber es galt keinen Augenblick zu verschwenden.
Sie brachte ihr Geschirr in die Küche und wusch es selbst ab, was ihr ein zufriedenes Nicken von der stämmigen Herrin der Küchen einbrachte. Danach ging sie hinauf zu Silvianas Arbeitszimmer. Sie musste ihre Bestrafung schnell hinter sich bringen; sie hatte noch immer vor, Leane wie jeden Abend einen Besuch abzustatten. Sie klopfte und trat ein. Silviana saß an ihrem Schreibtisch, blätterte im Licht zweiter Silberlampen in einem dicken Buch. Als Egwene eintrat, markierte sie die Seite mit einem roten Stück Stoff, dann klappte sie das Buch zu. Auf dem abgenutzten Einband stand Meditationen über die flackernde Flamme, eine Geschichte über den Aufstieg verschiedener Amyrlin. Seltsam.
Egwene setzte sich auf den Stuhl vor dem Tisch - ohne durch den plötzlichen scharfen Schmerz von ihrem Hintern zusammenzuzucken - und berichtete ruhig von dem Abend, unterschlug die Tatsache, dass sie die Suppe absichtlich hatte fallen lassen. Allerdings erzählte sie, dass sie sie hatte fallen lassen, nachdem Elaida davon gesprochen hatte, die Drei Eide zu verändern.
Silviana sah sehr nachdenklich aus, als sie das hörte.
»Nun«, sagte sie dann, stand auf und holte ihren Riemen, »die Amyrlin hat gesprochen.«
»Ja, das habe ich«, erwiderte Egwene, stand auf und nahm die Position über dem Tisch ein, hob Röcke und Unterrock für die Prügelstrafe hoch.
Silviana zögerte, dann begann die Bestrafung. Seltsamerweise verspürte Egwene keinerlei Bedürfnis zu schreien. Natürlich schmerzte es, aber sie konnte einfach nicht schreien. Wie lächerlich diese Bestrafung doch war!
Sie erinnerte sich, wie es sie geschmerzt hatte, die Schwestern im Korridor aneinander vorbeigehen zu sehen, wie sie sich mit Furcht und Misstrauen ansahen. Sie erinnerte sich an die Qual, Elaida bedienen zu müssen und nichts sagen zu dürfen. Und sie erinnerte sich an das Entsetzen bei der Vorstellung, dass jeder in der Burg durch einen Eid daran gebunden war, einer solchen Tyrannin zu gehorchen.
Sie erinnerte sich an ihr Mitleid für die arme Meidani. Keine Schwester sollte auf diese Weise behandelt werden. Gefangenschaft war eine Sache. Aber eine Frau zu demoralisieren, mit ihr zu spielen, die kommende Folter anzudeuten? Das war unerträglich.
Jedes dieser Dinge schmerzte Egwene, wie ein Messer in ihrer Brust, das das Herz durchbohrte. Als die Prügel weitergingen, begriff sie, dass man ihrem Körper nichts antun konnte, das sich je mit der Pein ihrer Seele vergleichen ließ, die sie erlitten hatte, als sie sah, wie die Weiße Burg unter Elaidas Herrschaft litt. Verglichen mit diesen inneren Qualen waren die Prügel lächerlich.
Also fing sie an zu lachen.
Es war kein gezwungenes Lachen. Es war kein trotziges Lachen. Es war ein ungläubiges Lachen. Wie konnte man auf die Idee kommen, dass sie zu schlagen etwas ändern würde? Es war lächerlich.
Die Schläge hörten auf. Egwene drehte sich um. Sicherlich konnte das noch nicht alles sein.
Silviana sah sie besorgt an. »Kind? Was ist mit Euch?«
»Mir geht es gut.«
»Seid ... Ihr sicher? Wie sind Eure Gedanken?«
Sie glaubt, ich bin unter dem Druck zusammengebrochen, begriff Egwene. Sie schlägt mich, und ich lache.
»Meinen Gedanken geht es gut«, sagte sie. »Ich lache nicht, weil man mich gebrochen hat, Silviana. Ich lache, weil es absurd ist, mich zu schlagen.«
Die Miene der Frau verfinsterte sich.
»Seht Ihr das denn nicht?«, fragte Egwene. »Fühlt Ihr den Schmerz nicht? Die Qual, zusehen zu müssen, wie die Burg um Euch herum zerbricht? Könnte eine Prügelstrafe denn damit mithalten?«
Silviana erwiderte nichts.
Ich verstehe. Ich hatte nicht begriffen, was die Aiel begriffen haben. Ich bin immer von der Annahme ausgegangen, dass ich härter sein muss, und dass mich das lehren würde, über die Schmerzen zu lachen. Aber es geht gar nicht um Härte. Es ist nicht die Kraft, die mich lachen lässt. Es ist die Erkenntnis.
Zuzulassen, dass die Burg vernichtet wurde, dass die Aes Sedai versagten - dieser Schmerz würde sie vernichten. Das musste sie verhindern, denn sie war der Amyrlin-Sitz.