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Ihr hättet Elaida in dem Augenblick absetzen müssen, in dem Ihr von ihrem katastrophalen Versuch erfuhrt, Rand al’Thor gefangen zu nehmen. Ihr hättet sie absetzen müssen, als Ihr saht, wie ihr kleinlicher Zank die Ajahs aufeinander hetzte. Und erst recht hättet Ihr sie absetzen müssen, als sie sich weigerte, das Nötige zu tun, um die Burg wieder zu vereinen!«

Egwene betrachtete die Reihen der Schwestern, starrte eine nach der anderen an, erwiderte jeden Blick, bis ihr Gegenüber ihn senkte. Keine der Frauen wagte es, ihren Blick lange zu erwidern. Schließlich sah sie Scham hinter ihren maskenhaften Zügen durchschimmern. Wie es sich wohl auch gehörte!

»Keine von Euch wollte sich ihr widersetzen«, stieß Egwene hervor. »Ihr wagt es, Euch als Saal der Burg zu bezeichnen? Ihr, die man eingeschüchtert hat? Ihr, die viel zu viel Angst hattet, um das Nötige zu tun? Ihr, die viel zu sehr mit Euren Streitereien und politischen Spielchen beschäftigt wart, um zu erkennen, was wirklich nötig gewesen wäre?«

Egwene schaute auf Silviana hinunter. »Nur eine Frau in diesem Raum war bereit, für das einzutreten, von dem sie wusste, dass es richtig ist. Nur eine Frau hat es gewagt, sich Elaida entgegenzustellen, und sie hat den Preis dafür bezahlt. Und Ihr glaubt, ich hätte diese Frau herbringen lassen, um mich an ihr zu rächen? Seid Ihr wirklich so blind, dass Ihr glaubt, ich würde die einzige Person in der ganzen Burg bestrafen, die in den vergangenen Monaten so etwas wie Anstand gezeigt hat?«

Jetzt schauten alle zu Boden. Selbst Saerin wollte ihren Blick nicht erwidern.

Silviana schaute zu ihr hoch.

»Ihr habt Eure Pflicht getan, Silviana«, sagte Egwene. »Und Ihr habt sie gut getan. Erhebt Euch.«

Die Frau stand auf. Ihre Augen waren von mangelndem Schlaf gerötet, sie sah abgezehrt aus, und Egwene vermutete, dass ihr das Stehen große Mühe bereitete. Hatte jemand beim Chaos der letzten Tage überhaupt daran gedacht, ihr etwas zu essen oder Wasser zu bringen?

»Silviana«, sagte Egwene, »eine neue Amyrlin ist erhoben worden. Und ich schäme mich zuzugeben, dass es durch ähnliche Machenschaften geschah wie bei Elaidas Erhebung. Von den sieben Ajahs waren nur fünf anwesend. Von den Blauen weiß ich, dass sie mich unterstützen würden, wären sie hier. Aber die Roten haben nicht einmal die Gelegenheit erhalten, ihre Zustimmung oder ihre Ablehnung kundzutun.«

»Dafür gibt es gute Gründe, Mutter«, sagte Silviana.

»Das mag schon sein«, erwiderte Egwene, »aber es ist beinahe eine Garantie, dass meine Amtszeit von Spannungen zwischen mir und den Roten erfüllt sein wird. Sie werden Feindseligkeit sehen, wo keine besteht, und ich werde die Kraft Hunderter Frauen verlieren. Frauen, die dringend benötigt werden.«

»Ich … ich wüsste nicht, wie man das verhindern sollte, Mutter«, sagte Silviana ehrlich.

»Ich schon«, sagte Egwene. »Silviana Brehon, ich möchte Euch zu meiner Behüterin der Chroniken machen. Keiner soll mir nachsagen, dass ich die Roten zurückgewiesen habe.«

Silviana blinzelte überrascht. Ein paar der Sitzenden keuchten auf, auch wenn Egwene nicht erkennen konnte, wer es war.

Sie sah Silviana tief in die Augen. Noch vor kurzer Zeit hatte diese Frau sie quer über den Tisch gelegt und sie aufgrund Elaidas Befehl geschlagen. Aber jetzt kniete Silviana vor ihr; das hatte sie gemacht, ohne dass man es ihr befohlen hatte. Sie hatte die Autorität des Saals, Egwene zu erheben, akzeptiert. Akzeptierte sie auch Egwene selbst?

Das Angebot würde sie auf einen schwierigen und gefährlichen Weg führen. Die Roten konnten es durchaus als Verrat betrachten. Wie würde sich Silviana entscheiden? Egwene segnete den Trick, der sie am Schwitzen hinderte, denn ihr war klar, dass ihr sonst die Schweißtropfen die Schläfen herabgelaufen wären.

»Es wäre mir eine Ehre, Mutter«, sagte Silviana und kniete abermals nieder. » Eine wirkliche Ehre.«

Egwene stieß die Luft aus. Die Aufgabe, die von Gräben getrennten Ajahs wieder zu vereinen, würde sehr schwierig sein - aber wenn die Roten sie als Feind betrachteten, würde es so gut wie unmöglich sein. Mit Silviana auf ihrer Seite hätte sie eine Botschafterin, die die Roten nicht ablehnen würden. Hoffentlich.

»Das wird eine schwierige Zeit für die Rote Ajah, Tochter«, sagte Egwene. »Es lag stets in ihrer Natur, die Männer gefangen zu nehmen, die die Macht lenken können, aber Berichten zufolge ist Saidin gereinigt worden.«

»Es wird immer verbrecherische Machtlenker geben, Mutter«, sagte Silviana. »Und man kann Männern nicht vertrauen.«

Eines Tages müssen wir über diese letzte Einstellung hinauswachsen, dachte Egwene. Aber im Augenblick enthält sie genug Wahrheit, um sie so stehen zu lassen. »Ich habe nicht gesagt, dass Euer Daseinszweck verschwindet, nur dass er sich verändern wird. Ich sehe in der Zukunft große Dinge für die Rote Ajah - eine umfassendere Vision, eine Erneuerung der Pflicht. Es freut mich, Euch an meiner Seite zu haben, um dabei zu helfen, sie leiten zu können.«

Egwene wandte sich wieder an die anderen Sitzenden, die in staunendem Schweigen zusahen. »Ich würde Euch allen Befehlen, Buße zu tun«, fuhr sie fort, »aber ich weiß, dass zumindest einige von Euch hinter den Kulissen versucht haben, den Sturz der Weißen Burg zu verhindern. Ihr habt nicht genug getan, aber Ihr habt etwas getan. Davon abgesehen bin ich der Meinung, dass die Bußen, die wir uns sooft abverlangen, lächerlich sind. Was bedeutet einer Aes Sedai schon körperlicher Schmerz?«

Egwene holte tief Luft. »Und ich selbst bin auch nicht ohne Schuld. Ich teile etwas von Eurer Schande, denn diese Katastrophen geschahen während meiner Amtszeit. Ich schlug mich auf die Seite der Rebellen und ließ zu, dass sie mich erhoben, weil das die einzige Möglichkeit war. Aber diese Entscheidung macht mich zur Mitschuldigen.

Tragt Eure Schande, Sitzende, aber tragt sie mit Entschlossenheit. Lasst Euch nicht von ihr zerbrechen. Die Zeit der Genesung hat begonnen, und es ist sinnlos geworden, noch länger mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ihr habt versagt. Aber Ihr seid alles, was wir haben. Wir alle sind alles, was die Welt hat.«

Die Frauen fingen an aufzuschauen.

»Kommt«, sagte Egwene und ging durch den Raum. Silviana fiel an ihrer Seite in den Schritt ein. »Lasst uns die Rebellen begrüßen.«

Sie passierten die Korridore der Burg, die noch immer nach Rauch rochen und an einigen Stellen mit Trümmern übersät waren. Egwene bemühte sich, die Blutflecken zu ignorieren.

Die Sitzenden folgten ihr, trotz ihrer Strafpredigt nach ihren Ajahs versammelt. Es würde noch viel Arbeit kosten, sie wieder zu heilen.

»Mutter«, sagte Silviana leise, während sie gingen, »ich kann nur vermuten, dass Ihr bei den Rebellen schon eine Behüterin habt. Wollt Ihr uns beide behalten?« Ihre angespannte Stimme verriet, was sie von einem so unkonventionellen Arrangement hielt.

»Nein«, sagte Egwene. »Meine frühere Behüterin wurde hingerichtet, weil sie der Schwarzen Ajah angehörte.«

Silviana wurde blass. »Ich verstehe.«

»Wir können diese Dinge nicht totschweigen, Silviana. Kurz vor meiner … Rettung kam eine sehr wichtige Besucherin zu mir. Sie war eine Schwarze, und sie verriet mir die Namen von weiteren Schwarzen Schwestern. Ich habe jede von ihnen, die sich unter den Rebellen befand, durch den Eidstab bestätigen lassen.«

»Durch den Eidstab?«, rief Silviana aus.

»Ja«, erwiderte Egwene, als sie eine Treppe betraten. »Eine Verbündete in der Weißen Burg gab ihn mir letzte Nacht. Allerdings kommt mir gerade der Gedanke, dass wir den Raum mit den Ter’angrealen verlegen müssen. Und den Ort geheim und ständig mit Schutzgeweben umgeben halten müssen. Es wird nicht lange dauern, bis jede Schwester mit genug Kraft das Gewebe für das Schnelle Reisen kennt, und ich würde es vielen von ihnen durchaus zutrauen - einschließlich denen, denen ich vertraue -, sich gelegentlich das eine oder andere Angreal auszuborgen.«