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Nein, es war etwas anderes, das ihm zu schaffen machte, etwas, das er nicht genau definieren konnte. Und so pirschte er durch den Stein von Tear, zwei Töchter der Aiel im Schlepptau, und seine Gegenwart überraschte Diener und beunruhigte Verteidiger.

Die Korridore wanden sich. Die Wände hatten die Farbe von nassem Sand, wo keine Wandteppiche hingen, aber sie waren viel stärker als jeder Felsen, der Rand bekannt war. Sie waren fremdartig und seltsam, jeder glatte Torbogen war eine Erinnerung, dass dieser Ort nicht natürlich war.

Rand fühlte sich ebenso. Er hatte die äußere Gestalt eines Menschen. Tatsächlich hatte er auch das Benehmen und die Geschichte eines Menschen. Aber er war ein Ding, das kein Mensch - nicht einmal er selbst - verstehen konnte. Die Gestalt aus einer Legende, eine Schöpfung der Einen Macht, so unnatürlich wie ein Ter’angreal oder ein Fragment Cuendillar. Man kleidete ihn wie einen König, so wie man diese Korridore mit goldenen und roten Teppichen schmückte. So wie man Wandteppiche an diese Wände hängte, von denen jeder einzelne einen berühmten tairenischen General zeigte. Das Dekor sollte für Schönheit sorgen, aber es sollte auch verschleiern. Die nackte Wand dazwischen unterstrich nur, wie fremdartig dieser Ort war. Teppiche und Wandbehänge ließen ihn sich … menschlicher anfühlen. Indem man Rand mit einer Krone und einem hübschen Mantel ausstaffierte, erlaubte ihnen das, ihn zu akzeptieren. Von Königen erwartete man, dass sie anders waren. Und so spielte seine von der Krone verborgene viel fremdartigere Natur keine Rolle mehr. Es spielte keine Rolle mehr, dass sein Herz das Herz eines Toten war, dass seine Schultern dazu geschaffen worden waren, die Last der Prophezeiungen zu tragen, dass seine Seele von den Bedürfnissen, Wünschen und Hoffnungen von Millionen Menschen zermalmt wurde.

Zwei Hände. Eine, um zu zerstören, die andere, um zu retten. Welche hatte er verloren?

Es fiel leicht, sich im Stein zu verlaufen. Die gewundenen Korridore aus braunem Felsen waren schon lange vor der Zersetzung des Musters schwierig gewesen. Sie sollten Angreifer verwirren. Kreuzungen kamen unerwartet; es gab nur wenig markante Stellen, und die inneren Gänge der Festung wiesen keine Fenster auf. Die Aiel hatte es sehr beeindruckt, dass die Eroberung des Steins so schwer gewesen war. Aber nicht die Verteidiger hatten sie beeindruckt, sondern das schiere Ausmaß und der Grundriss des monströsen Gebäudes.

Glücklicherweise hatte Rand kein besonderes Ziel im Sinn. Er wollte einfach nur gehen.

Er hatte akzeptiert, was er sein musste. Warum machte ihm dann das so zu schaffen? Tief in seinem Inneren - nicht in seinem Verstand, sondern in seinem Herzen - hatte eine Stimme angefangen, sich gegen seine Taten auszusprechen. Sie war nicht so laut oder brachial wie Lews Therin; sie flüsterte bloß, war wie ein Jucken. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte nicht…

Nein!, dachte er. Ich muss stark sein. Ich bin endlich zu dem geworden, was ich sein muss!

Unvermittelt blieb er stehen. In der Manteltasche trug er den Zugangsschlüssel. Er berührte ihn und seine kalten und glatten Konturen. Er wagte es nicht, ihn der Sorgfalt eines Dieners zu überlassen, ganz egal, wie sehr er ihm auch vertrauen mochte.

Hurin, erkannte er. Das hat mich gestört. Hurin zu sehen.

Er ging weiter, drückte die Brust heraus. Er musste stark sein - oder zumindest stark erscheinen. Und zwar zu jeder Zeit.

Hurin war ein Relikt aus einem früheren Leben. Eine Zeit, in der Mat sich noch immer über Rands Mäntel lustig gemacht hatte, eine Zeit, in der Rand gehofft hatte, Egwene zu heiraten und irgendwie zu den Zwei Flüssen zurückkehren zu können. Er war mit Hurin und Loial gereist, fest entschlossen, Fain aufzuhalten und Mats Dolch zurückzugewinnen, um zu beweisen, dass er ein guter Freund war. Das war eine viel einfachere Zeit gewesen, auch wenn er das damals nicht gewusst hatte. Damals hatte er sich gefragt, ob es überhaupt etwas Komplizierteres als den Gedanken geben konnte, dass ihn seine Freunde hassten.

Die Farben wirbelten durch sein Sichtfeld. Perrin ging durch ein dunkles Lager, das Steinschwert erhob sich über ihm in die Luft. Die Vision wechselte zu Mat, der noch immer in dieser Stadt war. War das Caemlyn? Warum konnte er in der Nähe von Elayne sein, wenn Rand so weit fort bleiben musste? Er konnte ihre Gefühle kaum durch den Bund wahrnehmen. Er vermisste sie so sehr. Einst hatten sie in den Korridoren genau dieser Festung Küsse gestohlen.

Nein, dachte er. Ich bin stark. Sehnsucht war ein Gefühl, das er nicht haben durfte. Nostalgie brachte ihm überhaupt nichts. Er versuchte beides zu verbannen, duckte sich in ein Treppenhaus und stieg nach unten, trainierte seinen Körper, versuchte ihn nach Luft schnappen zu lassen.

Laufen wir jetzt also vor der Vergangenheit davon?, fragte Lews Therin leise, ja. Das ist gut. Besser davonzulaufen, als sich ihr zu stellen.

Rands Zeit mit Hurin hatte in Falme geendet. Diese Tage waren in seiner Erinnerung verschwommen. Die Veränderungen, die er damals durchgemacht hatte - die Erkenntnis, dass er töten musste, dass er nie wieder zu dem Leben zurückkehren konnte, das er geliebt hatte -, waren Dinge, über die er nicht hatte nachdenken können. Er war in Richtung Tear gezogen, beinahe wie im Fieber, getrennt von seinen Freunden. Er hatte Ishamael in seinen Träumen gesehen. Das Letzere geschah wieder.

Schwer atmend kam Rand auf eine der unteren Etagen der Festung heraus. Die Töchter folgten ihm. Sie atmeten völlig gleichmäßig. Er ging durch einen Gang und dann weiter in ein gewaltiges Gemach mit Reihen breiter, dicker Steinsäulen, die kein Mann mit ausgebreiteten Armen umfassen konnte. Das Herz des Steins. Mehrere Verteidiger nahmen Haltung an, als Rand sie passierte.

Er begab sich zur Mitte des Herzens. Einst hatte Callandor hier funkelnd gehangen. Das Kristallschwert befand sich nun in Cadsuanes Besitz. Hoffentlich hatte sie es nicht vermasselt und ebenfalls verloren wie das männliche Adam. Aber im Grunde war das Rand herzlich egal. Callandor war minderwertig; um es benutzen zu können, musste sich ein Mann dem Willen einer Frau unterwerfen. Es war ja mächtig, aber nicht annähernd so mächtig wie der Choedan Kai. Der Zugangsschlüssel war ein viel besseres Werkzeug. Rand streichelte ihn behutsam und betrachtete die Stelle, an der einst Callandor gehangen hatte.

Das hatte ihn immer gestört. Callandor war die Waffe aus den Prophezeiungen. Im Karaethon-Zyklus hieß es, dass der Stein nicht fallen würde, bis Callandor von dem Wiedergeborenen Drachen geschwungen würde. Einige Gelehrte hatten diese Passage so interpretiert, dass das Schwert nie benutzt werden würde. Aber die Prophezeiungen funktionierten nicht auf diese Weise - sie waren gemacht worden, um erfüllt zu werden.

Rand hatte die Karaethon-Prophezeiungen studiert. Aus ihnen eine Bedeutung herauszukitzeln war wie der Versuch, hundert Fuß verheddertes Seil zu entwirren. Mit einer Hand.

›Das Schwert, das nicht berührt werden kann‹ zu nehmen gehörte zu einer der ersten Prophezeiungen, die er erfüllt hatte. Aber war seine Inbesitznahme Callandors ein bedeutungsloses Zeichen oder ein erster Schritt? Jeder kannte die Prophezeiung, aber nur wenige stellten die Frage, die unausweichlich hätte sein müssen. Warum? Warum hatte Rand das Schwert nehmen müssen? Sollte es in der Letzten Schlacht benutzt werden?

Als Sa’angreal war das Schwert nicht viel wert, und er bezweifelte, dass es einfach als Schwert benutzt werden sollte. Warum sprachen die Prophezeiungen nicht von den Choedan Kai? Mit ihnen hatte er den Makel beseitigt. Der Zugangsschlüssel verschaffte Rand eine Macht, an die Callandor nicht annähernd heranreichte, und mit dieser Macht waren keine Bedingungen verknüpft. Die Statuette bedeutete Freiheit, aber Callandor war nur eine weitere Kiste. Doch in den Prophezeiungen wurden die Choedan Kai und ihre Schlüssel nicht erwähnt.