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Er hat wieder Schmerzen, dachte sie und fühlte ihn durch den Bund. Solcher Zorn. Was ging da vor sich? Ein Stich der Furcht durchzuckte sie, aber sie zwang ihn nieder. Sie musste Cadsuanes Plan vertrauen. Er war gut.

Corele und Merise - die im Augenblick Cadsuane beinahe rund um die Uhr dienten - saßen auf zueinander passenden Stühlen am Kamin und fuhren mit ihren Stickarbeiten fort. Cadsuane hatte ihnen die Arbeit vorgeschlagen, damit sie etwas zu tun hatten, während sie warteten. Es hatte den Anschein, als täte die alte Aes Sedai nur selten etwas, ohne jemandem damit eine Lektion erteilen zu wollen.

Von den Rand verschworenen Aes Sedai war im Augenblick nur Beldeine anwesend. Cadsuane saß lesend in Mins Nähe.

Nynaeve ging auf und ab und zerrte gelegentlich an ihrem Zopf. Niemand sprach von der Anspannung im Raum.

Worüber redeten Rand und Tarn da bloß? Würde Rands Vater wohl in der Lage sein, ihn umzustimmen?

Das Zimmer war überfüllt. Mit den drei Stühlen auf dem Teppich vor dem Kamin, der Bank an der Wand und Nynaeve, die vor der Tür auf und ab tigerte, war hier kaum genug Platz, um sich bewegen zu können. Die glatten Steinwände verliehen dem Ort die Atmosphäre einer Kiste, und es gab nur ein einziges Fenster, das geöffnet stand und die Nachtluft einließ. Es befand sich hinter Cadsuane. Licht kam von den Scheiten im Kamin und den Lampen. Die Behüter unterhielten sich leise im angrenzenden Zimmer.

Ja, es war beengt, aber zog man Cadsuanes Verbannung in Betracht, konnte sie froh sein, überhaupt ein Quartier im Stein bekommen zu haben.

Min seufzte und wandte sich wieder Ein Kommentar über den Drachen zu. Wieder las sie den Satz. Er wird eine Klinge aus Licht in der Hand halten, und die drei sollen eins sein. Was bedeutete das nur?

»Cadsuane?« Min hielt das Buch hoch. »Ich glaube, die Interpretation dieses Satzes ist falsch.«

Wieder stieß Beldeine ein leises, verächtliches Schnauben aus.

»Habt Ihr etwas zu sagen, Beldeine?«, fragte Cadsuane, ohne von ihrem eigenen Buch aufzuschauen, einer geschichtlichen Abhandlung mit dem Titel Die richtige Beherrschung der Macht.

»Eigentlich nicht, Cadsuane Sedai«, erwiderte Beldeine leichthin. Die Grüne hatte ein Gesicht, das man durchaus als hübsch bezeichnen hätte können und Spuren ihrer saldaeanischen Herkunft aufwies. Jung genug, um noch kein altersloses Gesicht zu haben, schien sie sich oft zu sehr darum zu bemühen, sich beweisen zu wollen.

»Offensichtlich habt Ihr doch etwas gedacht, als Min sprach«, meinte Cadsuane und blätterte um. »Raus damit.«

Beldeine errötete etwas - diese Dinge fingen an einem aufzufallen, wenn man viel Zeit mit Aes Sedai verbrachte. Sie zeigten Gefühlsreaktionen, sie waren nur schwer zu erkennen. Solange es sich natürlich nicht um Nynaeve handelte. Auch wenn sie besser darin geworden war, ihre Gefühle zu verbergen, war sie … nun, sie war immer noch Nynaeve.

Beldeine sagte: »Ich finde das Kind einfach amüsant, wie sie in diesen Büchern herumblättert, als wäre sie eine Gelehrte.«

Bei den meisten Leuten hätte Min das als Herausforderung betrachtet, aber bei Beldeine war es einfach nur eine nüchterne Feststellung.

Cadsuane blätterte die nächste Seite um. »Ich verstehe. Min, was meintet Ihr gerade?«

»Nichts Wichtiges, Cadsuane Sedai.«

»Ich habe nicht gefragt, ob es wichtig ist, Kind«, sagte Cadsuane forsch. »Ich bat Euch, es zu wiederholen. Raus damit.«

Min seufzte. Niemand konnte einen besser demütigen als eine Aes Sedai, denn sie taten es ohne Böswilligkeit. Moiraine hatte es ihr einmal mit einfachen Worten erklärt: Die meisten Aes Sedai vertraten die Ansicht, dass es wichtig war, Hierarchien in ruhigen Zeiten zu festigen, damit die Leute im Augenblick der Krise wussten, an wen sie sich wenden mussten.

Es war sehr frustrierend.

»Ich sagte«, wiederholte Min, »dass ein Satz falsch ist. Ich lese einen Kommentar über den Karaethon-Zyklus. Sajius behauptet, dass dieser Satz über die drei, die eins werden, von der Vereinigung dreier Königreiche unter dem Banner des Drachen spricht. Aber ich glaube, dass er sich da irrt.«

»Und warum glaubt Ihr darüber mehr zu wissen als ein respektierter Gelehrter der Prophezeiungen?«, fragte Cadsuane.

Min reagierte gereizt. »Weil die Theorie keinen Sinn ergibt. In Wirklichkeit hält Rand nur eine Krone. Das Argument wäre vielleicht von Wert, hätte er Tear nicht an Darlin weitergereicht. Aber diese Theorie stimmt nicht länger. Ich glaube, diese Passage hat etwas damit zu tun, wie er Callandor benutzen muss.«

»Ich verstehe«, sagte Cadsuane und blätterte die nächste Seite in ihrem Buch um. »Das ist eine sehr unkonventionelle Interpretation.« Beldeine lächelte schmal und wandte sich wieder ihrer Stickarbeit zu. »Natürlich habt Ihr völlig recht«, fügte Cadsuane dann hinzu.

Min schaute auf.

»Genau diese Passage hat mich darauf gebracht, Callandor zu untersuchen«, fuhr Cadsuane fort. »Mit viel Aufwand entdeckte ich, dass das Schwert nur von einem Zirkel aus drei Leuten vernünftig benutzt werden kann. Vermutlich geht es letztlich darum in dieser Passage.«

»Aber das würde andeuten, dass Rand Callandor irgendwann mit einem Zirkel benutzen muss«, sagte Min und las die Stelle erneut. Soweit sie wusste, hatte er das noch nie getan.

»Das würde es«, meinte Cadsuane.

Plötzlich verspürte Min Aufregung. Vielleicht ein Hinweis. Etwas, das Rand nicht wusste, das ihm vielleicht helfen würde! Aber … Cadsuane hatte es bereits gewusst. Also hatte Min doch nichts wirklich Entscheidendes entdeckt.

»Ich glaube«, sagte Cadsuane, »dass eine Anerkennung fällig ist. Schließlich darf man schlechte Manieren nicht tolerieren.«

Mit finsterer Miene schaute Beldeine von ihrer Arbeit auf. Dann stand sie abrupt auf und verließ das Zimmer. Ihr Behüter, ein junger Asha’man namens Karldin, eilte aus dem Nebenraum, durchquerte das Zimmer mit den Aes Sedai und folgte Beldeine in den Korridor hinaus. Cadsuane schnaubte nur und wandte sich wieder ihrem Buch zu.

Die Tür schloss sich, und Nynaeve warf Min einen Blick zu, bevor sie sich wieder in Bewegung setzte. Dieser Blick verriet Min eine Menge. Es ärgerte Nynaeve, dass sonst niemand nervös erschien. Es ärgerte sie, dass sie keine Möglichkeit gefunden hatten, irgendwie bei Rand und Tams Unterhaltung zu lauschen. Und offensichtlich hatte sie schreckliche Angst um Lan. Min verstand das. Sie empfand ähnlich für Rand.

Und … was war das für eine Vision, die plötzlich über Nynaeves Kopf schwebte? Sie kniete voller Trauer über einer Leiche. Einen Augenblick später war die Sicht auch schon wieder verschwunden.

Min schüttelte den Kopf. Diese Sicht konnte sie nicht interpretieren, also schob sie sie beiseite. Sie konnte nicht ihre Zeit mit dem Versuch verschwenden, sie alle zu ergründen. Zum Beispiel konnte das schwarze Messer, das kürzlich über Beldeines Kopf gewirbelt war, alles Mögliche bedeuten.

Sie konzentrierte sich wieder auf das Buch. Also … Rand würde Callandor als Angehöriger eines Zirkels benutzen? Die drei wurden eins? Aber aus welchem Grund und mit wem? Wenn er den Dunklen König bekämpfen sollte, dann machte es doch für ihn keinen Sinn, einem Zirkel anzugehören, den ein anderer kontrollierte, oder?

»Cadsuane«, sagte sie. »Das stimmt immer noch nicht. Da gibt es noch mehr. Etwas, das wir noch nicht entdeckt haben.«

»Über Callandor?«, fragte die Frau.

Min nickte.

»Das vermute ich auch«, erwiderte Cadsuane. Wie seltsam, sie einmal offen sprechen zu hören! »Aber ich habe nicht feststellen können, was es ist. Würde der alberne Junge nur mein Exil zurücknehmen, könnten wir endlich weitermachen und wichtige Dinge …«