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Er starrte den Zugangsschlüssel an. Dann ergriff er Saidin.

Die Übelkeit überfiel ihn schlimmer als je zuvor. Sie stieß ihn zu Boden wie der Schlag einer Faust. Er schrie auf und nahm kaum war, dass er auf dem Steinpflaster landete. Er stöhnte, packte den Zugangsschlüssel fester und krümmte sich darum. Seine Eingeweide schienen in Flammen zu stehen, und er drehte den Kopf, rollte auf den Schultern herum und übergab sich auf die Brücke.

Aber er hielt Saidin fest. Er brauchte die Macht. Die süße, wunderschöne Macht. Selbst der Gestank seines eigenen Erbrochenen erschien ihm wegen der darin liegenden Macht süßer und echter.

Er schlug die Augen auf. Besorgt blickende Leute versammelten sich um ihn. Eine seanchanische Patrouille näherte sich. Der Augenblick war gekommen. Er musste zuschlagen.

Aber er konnte es nicht. Die Menschen sahen so besorgt aus. So verständnisvoll. Sie interessierten sich für ihn.

Vor Ohnmacht aufschreiend erschuf Rand ein Wegetor, was die Leute entsetzt zurückspringen ließ. Stolpernd kam er auf die Füße und warf sich auf allen vieren hinein, während die seanchanischen Soldaten die Schwerter zogen und fremde Worte riefen.

Rand landete auf einer großen schwarz-weißen Steinscheibe, und die Luft um ihn herum war ein Nichts aus Dunkelheit. Das Portal schloss sich hinter ihm und schnitt den Zugang nach Ebou Dar ab, dann setzte sich die Scheibe in Bewegung. Sie schwebte durch das Nichts, angestrahlt von einem seltsamen Licht im Hintergrund. Rand krümmte sich auf der Scheibe zusammen, den Zugangsschlüssel fest an sich gedrückt, und nahm tiefe Atemzüge.

Warum kann ich nicht stark genug sein? Er vermochte nicht zu sagen, ob das sein Gedanke oder der von Lews Therin gewesen war. Beide waren gleich. Warum kann ich nicht das tun, was ich tun muss?

Die Scheibe reiste eine Weile. Der einzige Laut im Nichts war sein Atmen. Die Scheibe sah aus wie eines der Siegel am Gefängnis des Dunklen Königs; eine Schlangenlinie in der Mitte trennte Weiß und Schwarz. Rand lag direkt darauf. Die schwarze Hälfte nannte man Drachenzahn. Für die Menschen war es ein Symbol des Bösen. Der Vernichtung.

Aber Rand war eine notwendige Vernichtung. Warum hatte ihn das Muster so unbarmherzig angetrieben, wenn er nicht vernichten sollte? Zuerst hatte er sich bemüht, jedes Töten zu vermeiden - aber das hatte nicht funktionieren können. Dann hatte er sich dazu verpflichtet, nach Möglichkeit keine Frauen zu töten. Das hatte sich als unmöglich erwiesen.

Er war die Vernichtung. Das musste er bloß akzeptieren. Irgendjemand musste doch hart genug sein, um das Nötige zu tun, oder nicht?

Ein Tor öffnete sich, und er kam mühsam auf die Füße, den Zugangsschlüssel fest an sich gedrückt. Er trat von der Gleitplattform auf eine leere Wiese. Der Ort, wo er einst mit Callandor gegen die Seanchaner gekämpft hatte. Und gescheitert war.

Er starrte den Ort lange Zeit an, atmete ein und aus, dann webte er ein neues Wegetor. Es öffnete sich auf ein verschneites Feld; eiskalter Wind wehte ihm entgegen. Er trat hindurch und ließ es sich schließen. Seine Füße versanken im tiefen Schnee.

Hier erstreckte sich die Welt vor ihm.

Warum sind wir hergekommen?, dachte Rand.

Darum, erwiderte Rand. Weil wir das hier erschaffen haben. Hier sind wir gestorben.

Er stand auf der höchsten Stelle vom Drachenberg, dem einsamen Gipfel, der in die Höhe geschossen war, als sich Lews Therin vor dreitausend Jahren umgebracht hatte. Auf der einen Seite konnte er Hunderte von Fuß nach unten in einen aus der Bergseite herausgesprengten Abgrund sehen. Die Öffnung war gewaltig, viel größer, als der Anblick im Profil aus der Tiefe erahnen ließ. Ein riesiges Oval aus rotem, flammendem, brodelndem Felsen. Es sah aus, als würde einfach ein Stück vom Berg fehlen, das man herausgerissen hatte, und so ragte der Gipfel noch viel höher in die Luft, während die ganze Bergseite fehlte.

Rand schaute in den brodelnden Abgrund. Er war wie der Rachen einer Bestie. Hitze strömte aus der Tiefe und blies Ascheflocken in den Himmel.

Der Himmel über ihm war wolkenverhangen. Der Talboden erschien gleichermaßen fern und war kaum sichtbar, wie eine mit Mustern versehene Steppdecke. Hier ein grüner Flicken, der ein Wald war. Dort eine Naht, die ein Fluss war. Im Osten befand sich ein winziger Flecken in dem Fluss, der an ein in der Strömung stecken gebliebenes Blatt erinnerte. Tar Valon.

Rand setzte sich. Der Schnee gab ächzend unter seinem Gewicht nach. Er stellte den Zugangsschlüssel vor sich in einer Schneewehe ab und webte Luft und Feuer, um sich warm zu halten.

Dann stemmte er die Ellbogen auf die Knie und stützte den Kopf auf die Hand, um die kleine Statue des Mannes mit der Kugel anzustarren.

Um nachzudenken.

50

Goldadern

Rand saß oben auf der Welt, und um ihn herum pfiff der Wind. Sein Gewebe aus Luft und Feuer hatte den Schnee geschmolzen und eine etwa drei Schritte breite Fläche aus zerklüftetem schwarzgrauen Felsen zum Vorschein gebracht. Der Gipfel war wie ein abgebrochener Fingernagel, der in den Himmel ragte, und Rand saß auf seiner Spitze. Soweit er feststellen konnte, handelte es sich genau um die Spitze des Drachenberges. Vielleicht die höchste Stelle auf der Welt.

Er saß auf seiner kleinen Felszunge, der Zugangsschlüssel stand auf dem Stein vor ihm. Hier war die Luft sehr dünn, und das Atmen war ihm schwergefallen, bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, Luft so zu weben, dass sie sich um ihn herum etwas verdichtete. Genau wie bei dem Gewebe, das ihn wärmte, war er sich nicht sicher, wie er das geschafft hatte. Er erinnerte sich vage daran, dass Asmodean versucht hatte, ihm ein ähnliches Gewebe beizubringen, aber er hatte es nicht richtig hinbekommen. Jetzt war es die natürlichste Sache auf der Welt. Handelt es sich um Lews Therins Einfluss, oder wurde ihm die Eine Macht nur vertrauter?

Der zerklüftete offene Rachen des Drachenberges befand sich links von ihm mehrere Hundert Fuß in der Tiefe. Der Geruch nach Asche und Schwefel war selbst noch aus dieser Distanz durchdringend. Der Rachen war schwarz vor Asche und rot von geschmolzenem Stein und lodernden Flammen.

Rand hielt noch immer die Quelle fest. Er wagte es nicht, sie loszulassen. So schlimm wie beim letzten Mal, als er sie ergriffen hatte, war es noch nie gewesen, und er befürchtete, bei einem erneuten Versuch endgültig von der Übelkeit überwältigt zu werden.

Nun saß er schon seit Stunden hier. Trotzdem verspürte er keine Müdigkeit. Er starrte das Ter’angreal an. Dachte nach.

Was war er? Was war der Wiedergeborene Drache? Ein Symbol? Ein Opfer? Ein Schwert, das vernichten sollte? Eine schützende Hand, die bewahren sollte?

Eine Marionette, die immer wieder die gleiche Rolle spielte?

Er war wütend. Wütend auf die Welt, wütend auf das Muster, wütend auf den Schöpfer, dass er es den Menschen überlassen hatte, ohne Anweisungen gegen den Dunklen König kämpfen zu müssen. Welches Recht hatte auch nur einer von ihnen, Rands Leben zu verlangen?

Nun, er hatte ihnen dieses Leben angeboten. Er hatte lange Zeit gebraucht, bis er seinen unausweichlichen Tod akzeptiert hatte, aber er hatte damit seinen Frieden geschlossen. Reichte das nicht? Musste er denn bis zum Ende Qualen leiden?

Er hatte geglaubt, sich genug abgehärtet zu haben, dass ihm das den Schmerz nahm. Konnte er nichts fühlen, konnte man ihn auch nicht verletzen.

In den Wunden an seiner Seite pochte die Agonie. Eine Weile hatte er sie vergessen können. Aber der von ihm verursachte Tod rieb seine Seele wund. Diese Liste, die mit Moiraine begann. Nach ihrem Tod war alles schiefgelaufen. Davor hatte er noch immer Hoffnung gehabt.