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»Aber er wird dort unten doch verpflegt, oder?«

»Dafür sorge ich schon, daß er regelmäßig seine Mahlzeiten kriegt. Aber wahrscheinlich hat er es da unten recht bald auf der Lunge. Oder die Ratten verpassen ihm eine hübsche Krankheit. Wenn man in Ketten liegt, gibt es viele Möglichkeiten zu krepieren, und oft sind sie einem sogar willkommen.«

Martin starrte hinauf aufs tobende Meer und dachte an die hundert Taler Belohnung, die auf Jacobs Kopf ausgesetzt waren. Sollte er zum Kapitän gehen und ihm das verraten, damit er Jacob auch bestimmt bald an Land brachte? Er kam sich bei diesem Gedanken als Verräter an seinem Freund vor. Aber wenn er es nicht tat, wurde er dann nicht zu seinem Mörder?

*

Stundenlang saß Jacob still da und lauschte in die Dunkelheit, um zu hören, ob die Ratten zurückkamen. Er wollte nicht wieder von ihnen überrascht werden. In seinem Kopf verfestigte sich der Gedanke, sie könnten ihn im Schlaf überfallen und bei lebendigem Leib auffressen. Deshalb reagierte er auf jedes Geräusch, auch wenn es sich nur als Ächzen der Planken oder als lauter Stiefeltritt auf dem Zwischendeck herausstellte.

Er konnte nicht immer wachsam sein. Die öde Warterei ermüdete ihn und schläferte ihn schließlich ein.

Geräusche schreckten ihn aus dem Schlaf. Laute Geräusche, ganz nah.

Die Ratten?

Jacob sprang auf, drückte seinen Rücken gegen die Wand und verhielt sich völlig still, auf das Huschen der gefräßigen Nager lauschend.

Aber sie waren es diesmal nicht, die ihn besuchten. Die Geräusche waren Schritte, die sich von draußen näherten. Die Tür des Schiffsgefängnisses wurde geöffnet. Jacob schloß die Augen, als Laternenlicht hereinfiel.

»Dein Abendessen«, sagte eine Stimme in schlechtem Deutsch, und etwas wurde auf den Boden gestellt.

Dann wurde die Tür auch schon wieder zugeschlagen, und die Finsternis hatte den Gefangenen wieder. Er wartete, bis sich die Schritte entfernt hatten, bevor er in die Knie ging und nach seinem Abendessen tastete.

Es war eine Schale mit Linsensuppe, in der ein Brotkanten schwamm. Jacob konnte nicht sehen, ob das Brot schimmelte, wie es auf dem feuchten Schiff häufig der Fall war. Aber es war ihm auch egal. Er hatte Hunger und stopfte die Mahlzeit schnell in sich hinein.

Das Essen vermittelte ihm zusätzlich das Gefühl von Wärme in dem kalten Schiffsbauch. Er genoß das angenehme Gefühl, lehnte sich zurück und schloß die Augen. Bald schlief er wieder.

Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, als er von dem heftigen Schlingern der ALBANY geweckt wurde. Das Schiff schien auf den Wellen herumzuhüpfen wie ein außer Rand und Band geratener Klabautermann. Jacob wurde in seinem Gefängnis hin und her geworfen.

Das laute Krachen, das er hörte, mußte von den Brechern stammen, die gegen den Schiffsrumpf schlugen. Und von den Frachtstücken, die sich im Laderaum selbständig gemacht hatten und, den Bewegungen der Bark folgend, gegen die Wände polterten. Auch oben im Zwischendeck schien einiges los zu sein, denn er hörte mehrmals aufgeregtes Geschrei, das aber wegen des allgemeinen Lärms zu undeutlich war, um es zu verstehen.

So ging es fort, Stunde um Stunde, und der von der Außenwelt abgeschnittene Gefangene fragte sich, ob die

ALBANY geradewegs in die Hölle segelte.

*

Irgendwann kehrte Ruhe ein, und irgendwann fand Jacob auch wieder Schlaf.

Erneut weckten ihn Geräusche, Schritte, die sich von draußen näherten. Er rechnete damit, daß man ihm sein Frühstück brachte, und war überrascht, als ihn die Männer, die er im blendenden Laternenlicht nicht erkennen konnte, von seiner Fußfessel befreiten. Sie zogen ihn mit sich durch den Frachtraum. Als Jacob sich an das Licht gewöhnte, sah er, daß es sich um zwei Seeleute handelte, diesmal ohne Karabiner.

Er fragte die Männer, wohin sie ihn brachten. Sie schienen ihn nicht zu verstehen. Er wiederholte die Frage mehrmals, bis schließlich einer der beiden etwas zu ihm sagte. Der Deutsche verstand nur ein Wort, das sich wie »Käpten« anhörte. Damit mußte er sich zufriedengeben, wenn er sich auch fragte, was Haskin von ihm wollte.

Als sie ins Zwischendeck hinaufstiegen, war Jacob überrascht von dem hier herrschenden Chaos. Er hatte nicht damit gerechnet, daß der Sturm derart schlimm gewütet hatte. Menschen, Strohsäcke, Gepäckstücke, alles lag kreuz und quer durcheinander. Die Auswanderer, die meisten bleich im Gesicht, machten einen zutiefst gequälten Eindruck. Der bestialische Gestank verriet, daß kaum einer von ihnen noch etwas im Magen haben konnte.

Es ging weiter hinauf an Deck, wo Jacob die frische Luft willkommen hieß. Es war früh am Morgen, und die Sonne bemühte sich vergeblich, ihre Strahlen durch die Wolkendecke zu schicken. Noch immer war rund um das Schiff nur das unbegrenzte Meer zu sehen, das sich ein wenig beruhigt hatte, aber rauh genug war, einen nicht ganz standfesten Mann auf die Planken zu schicken. Jacob, durch die vielen Stunden im Kerker geschwächt, widerfuhr genau dies.

Als er zu Füßen seiner Begleiter lag, bemerkte er erst, in welchem verheerenden Zustand sich das Schiff befand. Überall lagen abgesplitterte Holzstücke unterschiedlicher Größe herum, wo Teile der Takelage aufs Deck geschlagen waren. Der Sturm mußte in der Nacht Angst und Schrecken an Bord der ALBANY verbreitet haben.

Sogar die Spitze des Großmastes war abgebrochen und hatte eines der Ruderboote zertrümmert. Es war das Boot, unter dem sich Jacob versteckt hatte. War es eine Fügung des Schicksals gewesen, die ihn Irene Sommer hatte beistehen lassen und ihn vor dem Tod durch die herabfallende Mastspitze bewahrt hatte?

Die Seeleute halfen Jacob auf. Die drei Männer stiegen über die verstreuten Trümmer und suchten sich ihren Weg zur Kapitänskajüte, wo sie von Haskin, Piet Hansen, Bob Maxwell und Martin Bauer erwartet wurden. Während die drei Schiffsoffiziere an dem großen Tisch saßen, stand Martin in der Mitte des Raumes und sah seinem Freund erwartungsvoll entgegen.

Eine neue Gerichtsverhandlung? schoß es Jacob durch den

Kopf.

»Sie sollen ein guter Zimmermann sein, Adler«, begann Haskin das Gespräch ohne Umschweife. »Ihr Freund hier hat das zumindest behauptet.«

Da alle Blicke auf ihm ruhten, nahm Jacob an, daß von ihm eine Antwort erwartet wurde. Er glaubte, ein Augenzwinkern von Martin zu bemerken, mit der dieser ihm ein zustimmendes Zeichen machte.

»Mein Vater ist ein guter Zimmermann, so wie es sein Vater und dessen Vater waren. Es gibt kaum einen Ort in meiner Heimat, an dessen großen Gebäuden meine Familie nicht mitgearbeitet hat. Ich habe das Handwerk bei meinem Vater gelernt und bin dann auf Wanderschaft gegangen. Über meine Zeugnisse muß ich Ihnen nichts erzählen, Kapitän; meine Papiere liegen Ihnen vor. Nur sovieclass="underline" Ich bilde mir ein, meinem Vater keine Schande zu bereiten.«

»Haben Sie schon einmal auf einem Schiff gearbeitet?« fragte Haskin.

»Nein, noch nie.«

»Trauen Sie sich das zu?«

»Weshalb nicht? Holz ist Holz, ein Hammer ist ein Hammer, und ein Nagel ein Nagel.«

»Jack Slocum, unser Schiffszimmermann, ist letzte Nacht wohl über Bord gespült worden. Er ist nirgends mehr zu finden. Gerade jetzt, wo er so dringend gebraucht wird. Sie haben selbst gesehen, wie der Sturm auf der ALBANY gewütet hat. Sind Sie bereit, seinen Posten zu übernehmen?«

Wieder gab ihm Martin zustimmende Signale, aber Jacob zögerte noch. »Was ist mit dem Urteil des Schiffsgerichtes?«