»In dem Fall, daß Sie sich bereiterklären, als Schiffszimmermann auf der ALBANY zu arbeiten, bis das Schiff den Hafen von New York erreicht, wird das Urteil aufgehoben. Ihre Strafe besteht dann im unentgeltlichen Dienst auf dem Schiff.« »Ich nehme das Angebot an«, sagte Jacob. »Aber nur unter einer Bedingung.«
Martin und Piet Hansen blickten ihn überrascht und erschrocken an.
»Eine Bedingung?« schnarrte Haskin ungläubig.
»So ist es. Ich nehme das Angebot nur unter der Bedingung an, daß auch meine Verlobte bis New York an Bord bleiben darf und keine Bestrafung oder Auslieferung an die Behörden zu erwarten hat.«
Bob Maxwell hieb mit der Faust auf den Tisch. »Das ist eine gemeine Erpressung!«
Jacob schüttelte den Kopf. »Nein, das ist eine geschäftliche Abmachung. Sie können darauf eingehen oder es bleibenlassen.«
»Und wenn wir es bleibenlassen?« fragte der Erste Steuermann lauernd.
Jacob hob seine breiten Schultern und ließ sie wieder sinken. »Dann müssen Sie sich jemand anderen suchen, der Ihr Schiff wieder auf Vordermann bringt.«
»So was lassen wir uns nicht bieten!« brüllte Maxwell. »Ich werde dich unverschämten Kerl wieder in Eisen legen lassen und.«
»Nein«, entschied Kapitän Haskin. »Das werden Sie nicht, Mr. Maxwell! Noch entscheide ich, was an Bord geschied.« Er richtete seinen Blick auf Jacob. »Ich akzeptiere Ihre Bedingung. Beginnen Sie sofort mit der Arbeit. Mr. Hansen wird Ihnen sagen, was am dringendsten zu tun ist.«
Als Jacob die Kapitänskajüte verließ, konnte er noch gar nicht so richtig glauben, daß er wieder ein freier Mann war. Erst als Martin ihm freudestrahlend auf die Schulter schlug, begann er es als Tatsache anzusehen.
*
Auf Deck blieb Jacob stehen, hielt sich am Kajüteneingang fest und hielt das Gesicht in den noch immer von achtern kommenden Wind. Er genoß die frische, förmlich nach Salz schmeckende Seeluft und das Gefühl, sie immer einatmen zu können, wann er es wollte.
Als Martin hinter ihm heraufkam, meinte Jacob: »Ich vermute wohl richtig, daß du etwas mit meiner Beförderung vom Kettensträfling zum Schiffszimmermann zu tun hast?«
Der Bauernsohn grinste breit. »Ich hatte mir seit deiner Festsetzung den Kopf zerbrochen, wie ich dir helfen könnte. Als ich heute morgen von Piet Hansen hörte, daß Slocum, der stets betrunkene Zimmermann, vermutlich von einem Brecher über Bord gespült worden ist, kam mir die Idee für diesen Vorschlag. Hansen befand ihn für gut und unterbreitete ihn dem Kapitän. Und siehe da, es hat geklappt!«
Jacob sah seinem Freund fest in die Augen. »Ich stehe immer tiefer in deiner Schuld, Martin.«
»Pah«, machte dieser und winkte ab. »Ich habe nur aus Eigennutz gehandelt. Schließlich will ich irgendwann mal nach New York kommen. Auf einem Schiff, das nur noch aus Einzelteilen besteht, ist das kaum möglich. Deshalb braucht die ALBANY einen tüchtigen Schiffszimmermann. Ich hoffe, du bist wirklich so tüchtig, wie ich es Hansen und dem Kapitän gegenüber ausgemalt habe.«
Bob Maxwells Auftauchen enthob Jacob einer Antwort. Er war, wie die meisten Männer an Bord, aufgrund der stürmischen letzten Stunden und der Folgeschäden nicht zum Rasieren gekommen und sah mit seinem Stoppelbart noch verwegener aus als sonst. Als er auf die beiden jungen Deutschen traf, blieb er stehen und bohrte seinen flackernden Blick erst in die Augen des einen, dann in die des anderen. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich ab und marschierte mit so sicherem Schritt über das schwankende Deck, als habe er sein ganzes Leben lang nicht anderes getan.
»Ein höchst unangenehmer Bursche«, sagte Martin, während die beiden ihm nachsahen. »Wenn er einen so ansieht, läßt mich das richtig frösteln.«
»Von dem Narbengesicht haben wir nichts Gutes zu erwarten«, murmelte Jacob nachdenklich. »Erst hatte er diesen unbändigen Haß nur auf mich, weil ich ihm bei Fräulein Sommer dazwischengekommen bin. Aber so, wie er dich eben angeschaut hat, kann das nur bedeuten, daß du jetzt auch auf seiner Liste stehst. Wir sollten ihm besser aus dem Weg gehen.«
»Wird nicht so einfach sein auf diesem Kahn.«
»Sprecht ihr von Maxwell?« fragte Piet Hansen, der aus dem Kajüteneingang kam und an seiner frisch entzündeten Pfeife sog.
»Woher wissen Sie das, Piet?« erwiderte Martin.
»Wenn es auf der ALBANY jemanden gibt, dem jeder aus dem Weg zu gehen wünscht, so ist das der Erste Steuermann.«
Der Mann, über den sie sich unterhielten, stand jetzt unterm Großmast und zitierte lautstark die Freiwache herbei, um die Trümmer von Deck zu räumen.
»Aber er hat ausnahmsweise einmal recht«, fuhr der Zweite Steuermann fort. »Wir sollten zusehen, daß wir unseren Segler so schnell wie möglich wieder flottmachen. Der nächste Sturm kommt bestimmt!«
»Meinen Sie wirklich?« fragte Jacob besorgt und ließ seinen Blick über das Trümmerfeld schweifen.
Hansen sah ahnungsvoll in den stark bewölkten Himmel. »Darauf verwette ich meine Pfeife, und das tu' ich nicht häufig.«
»Dann sagen Sie mir, was am dringendsten zu reparieren ist«, verlangte der frischgebackene Schiffszimmermann zu wissen.
*
Die nächsten Tage waren für Jacob mit Arbeit angefüllt und vergingen für ihn wie im Flug. Sobald die Sonne aufging, begann er mit Hämmern und Sägen, und er hörte erst auf, wenn die rote Scheibe wieder im grauen Meer versank. Sein Freund ging ihm dabei nach besten Kräften zur Hand und zeigte sich als so gelehriger Schüler, daß Jacob spaßhaft zu ihm sagte, er könne Martin bald den goldenen Ring durchs Ohr ziehen.
Er spielte damit auf den Goldring an, das Standeszeichen der Zimmerleute, den jeder Lehrbub nach bestandener Probezeit von seinem Meister durchs rechte Ohr gezogen bekam. Auch in Jacobs Ohrläppchen hing der Ring, von seinem Vater, dem Zimmermann Heinrich Adler aus Elbstedt, eingefügt. Jacob war sehr stolz darauf.
»Soll mir nur recht sein, wenn ich dein Handwerk ein wenig beherrsche«, entgegnete Martin. »Schließlich will ich mir drüben in den Staaten irgendwann mal ein eigenes Haus bauen.«
Weil die Instandsetzung des Schiffes so wichtig war, ordnete Kapitän Haskin an, daß Jacob sich seine Helfer unter allen Leuten der jeweiligen Freiwache aussuchen durfte. Außerdem standen ihm sämtliche Auswanderer, die während der Reise Haskins Befehlsgewalt unterstanden, zur Verfügung.
Für die Arbeit in der Takelage konnte Jacob aber nur die Seeleute gebrauchen. Die Passagiere hätten sich da oben bei dem schweren Seegang keine fünf Minuten halten können.
Die Besatzung der ALBANY stand Jacob zunächst mürrisch und ablehnend gegenüber, befolgte seine Anordnungen nur widerwillig. Mehrmals mußte Piet Hansen aufsässigen Männern eine Standpauke halten. Sie waren es einfach nicht gewohnt, von einem Passagier Befehle zu empfangen. Zudem hatte der versoffene Jack Slocum nicht gerade dazu beigetragen, dem Schiffszimmermann bei der Besatzung Achtung zu verschaffen. Aber als die Männer sahen, daß Jacob etwas von seinem Handwerk verstand, wurden sie zunehmend williger.
Er verdiente sich vollends ihren Respekt, als er trotz rauher See mit ihnen hinauf in die Wanten stieg, um die Anbringung der neuen Großmastspitze zu überwachen. Selbst Martin traute sich das nicht zu und beobachtete die Aktion lieber von Deck aus. Volle zwei Stunden blieb der junge Zimmermann da oben in schwindelerregender Höhe und hing nur mit einer Hand am Leben. Als er mit den Seeleuten wieder hinabgeklettert war, sprudelten sie des Lobes für Jacob über. Er ließ das über sich ergehen und zog sich anschließend in einen stillen Winkel zurück, um sich zu übergeben.
Die See schüttelte das Schiff kräftig durch, als es den Ärmelkanal durchfuhr, aber ein zweiter Sturm von jener Stärke, wie er Jack Slocum zum Verhängnis geworden war, blieb der ALBANY erspart.
Als der Dreimaster die Kanalinseln und die Landspitze von Brest hinter sich ließ, riß der bis dahin graue Himmel auf, und die Sonne begrüßte Auswanderer und Seeleute mit ein paar wärmenden Strahlen auf dem Atlantischen Ozean. Alles Gerede von einem Fluch, der über dem Segler liegen sollte, erschien Jacob und Martin auf einmal so ersponnen wie Altweibergewäsch.