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Jacob riß zwei von ihnen im ersten Ansturm um. Einer der beiden, ein stoppelbärtiger, untersetzter Kerl, verkrallte sich in den jungen Zimmermann, und sie rollten über das Deck, bis sie gegen den Großmast prallten.

Sein Gegner war auf ihm zu liegen gekommen und wollte ihm die zur Faust geballte Rechte mitten ins Gesicht jagen. Aber Jacob nahm den Kopf zur Seite, und die Faust krachte gegen den Mast. Der Untersetzte verschluckte seinen darob ausgestoßenen Schmerzensschrei, als ihn Jacobs Faust unter das Kinn traf und in die Pardunen des Großmastes schleuderte.

Gerade noch rechtzeitig kam Jacob wieder auf die Beine, denn inzwischen hatten ihn die beiden anderen Seeleute eingekreist. Einer von ihnen, ein pockennarbiger Kerl mit einer großen feuerroten Narbe quer über der linken Wange, hielt ein geöffnetes Klappmesser in der Rechten. Der andere, ein baumlanger, knochiger Mann, hatte seine bloßen Hände mit gespreizten Fingern klauenartig ausgestreckt, als warte er nur auf eine Gelegenheit, Jacob zu erwürgen.

Der Knochige sprang auf einmal vor, und seine Hände streiften Jacobs Gesicht. Aber der junge Deutsche tauchte unter seinem Klammergriff weg, schnappte sich ein Bein des Langen und brachte ihn mit einem heftigen Zug zu Fall.

Das geschah schnell, aber nicht schnell genug. Aus den Augenwinkeln bemerkte Jacob das Aufblitzen des Messers dicht an seinem Gesicht. Gleichzeitig hörte er den warnenden Schrei der auf Deck liegenden Frau.

Blitzartig wirbelte er herum, sah das Narbengesicht vor sich und das große Messer. Diese Bewegung rettete ihn, weil die

Klinge jetzt nicht sein Gesicht traf, sondern nur der Messerknauf gegen seine Schläfe schlug. Für Sekunden war ihm, als habe der Schöpfer Mond und Sterne schlagartig ausgelöscht und die Deckslaternen noch dazu.

Als die Dunkelheit verschwand, lag er rücklings auf dem Deck, und der Mann mit dem roten Mal beugte sich über ihn. Sein von unzähligen Pockennarben gesprenkeltes Gesicht war ausdruckslos, mit Ausnahme seiner dunklen, von dichten schwarzen Brauen beschatteten Augen. In ihnen schien die Vorfreude darauf zu glimmen, Jacob im nächsten Moment den Garaus zu machen.

Jacob wollte seine Arme hochreißen, um den anderen abzuwehren, aber sein Gegner kniete sich auf den linken Arm. Der rechte wurde brutal aufs Deck genagelt, als der Knochige auf den Ellbogen trat und auf den am Boden Liegenden herabgrinste.

»Fahr zur Hölle, du deutsches Schwein!« zischte der Mann mit dem Messer in seinem englisch geprägten Deutsch und stieß die Klinge auf Jacobs Gesicht herab.

Jacob sah die stählerne Spitze schon seine Haut aufreißen, als ein schwerer Schuh gegen die Waffenhand krachte. Das Messer wurde durch die Luft geschleudert, bis es mit der Klinge ins Deck fuhr und dort federnd steckenblieb.

»Einen Unbewaffneten abstechen?« fragte der alte Seebär, dessen Annäherung niemand bemerkt hatte. »Ist der Messerheld in dir mal wieder zum Leben erwacht, Bob?«

Jacob kannte ihn. Er war ein deutscher Seemann und hieß Piet Hansen. Jacob und Martin hatten sich mit ihm vor der Abfahrt der ALBANY im Hamburger Hafen unterhalten. Martin hatte seinem Freund erzählt, daß Hansen mitbekommen hatte, wie der Zimmermann sich unter dem Ruderboot versteckte. Aber irgendwie schien er die beiden Freunde zu mögen und hielt deshalb dicht. Allerdings spendierte Martin ihm dafür jeden Tag eine Extraration Rum.

Der narbige Messerheld mußte jener Bob Maxwell sein, von dem Hansen ihnen in Hamburg erzählt hatte. Ein ziemlich übler Geselle, der gleichwohl der Erste Steuermann der ALBANY war und somit gleich nach dem Kapitän kam. Hansen dagegen, das wußte Jacob von Martin, segelte als Zweiter Steuermann auf der Bark.

»Was mischst du dich ein, Piet?« entgegnete Maxwell mit haßverzerrtem Gesicht. »Die Sache hier geht dich nichts an!«

»Es soll mich nichts angehen, wenn du einen Passagier in Stücke schneidest?«

»Einen blinden Passagier!« Der Messerstecher zeigte auf das Ruderboot. »Er hatte sich unter dem Boot versteckt.«

»Das ist noch lange kein Grund, ihn umzubringen.« Der Seebär mit dem dunklen, von vielen grauen Fäden durchzogenen Bart drehte sich um und zeigte auf die junge halbnackte Frau, die jetzt aufgestanden war und zitternd vor dem Eingang zum Zwischendeck stand. »Und was ist mit ihr? Kannst du das auch erklären, Bob?« »Das kann ich!« »Da bin ich aber gespannt.«

»Die Deutsche ist schwanger, und sie hat keinen Mann!« Für ein paar Sekunden klappte Hansens Kinnlade herunter, und er sah die Frau mit einer Spur von Mitleid an. »Schwanger«, wiederholte er nachdenklich und ließ dann seinen Blick über alle Beteiligten der nächtlichen Auseinandersetzung schweifen. »Ich glaube, wir sollten jetzt besser den Käpten benachrichtigen.«

*

Weitere Seeleute erschienen, von Piet Hansen alarmiert, auf Deck. Sie fesselten Jacobs Arme mit einem dicken Seil an den Oberkörper und brachten ihn tief unter Deck in den Laderaum. Auf dem Weg dorthin sah er zum erstenmal das

Zwischendeck, wo die Auswanderer wie Vieh zusammengepfercht waren. Es roch hier auch wie in einem Viehstall. Ein paar Augen blickten die kleine Gruppe neugierig an, aber die meisten der Schlafenden und Schlafsuchenden kümmerten sich nicht um die Unruhe. So etwas waren sie gewöhnt, wo Hunderte von Menschen auf engstem Raum zusammenhockten.

Jacob war fast erleichtert, als sie das Zwischendeck hinter sich ließen und über hohe Stufen hinabstiegen ins Dunkel des riesigen Frachtraums, der jetzt von der Laterne eines Seemanns erhellt wurde. Sie beleuchtete Kisten und Fässer verschiedener Größen sowie die unterschiedlichsten Gepäckstücke, in denen die Habseligkeiten der Auswanderer verstaut waren.

Im Zwischendeck war nicht genug Platz, um dort alles unterzubringen, weshalb das meiste Gepäck der Passagiere hier gelagert wurde. Wer etwas von den Sachen aus dem Frachtraum benötigte, mußte Geduld zeigen, wie Jacob später erfuhr. Der Frachtraum wurde nur an bestimmten Tagen für die Passagiere geöffnet, und auch dann immer nur für einen bestimmten Teil der Auswanderer, damit das Gedränge nicht zu groß wurde.

Einer seiner Bewacher versetzte Jacob einen groben Stoß, der ihn zu Boden warf, wo er hart mit dem Kopf gegen ein großes Faß stieß. Der Seemann sagte etwas auf englisch, und seine Begleiter brachen in Gelächter aus.

Die Männer stiegen die Treppe wieder hinauf ins Zwischendeck und verschlossen die Luke, die den Zugang zum Frachtraum von den Auswanderern trennte. Völlige Finsternis umgab Jacob, als er das Knarren der schweren Riegel über sich vernahm und dann das Quietschen des großen Schlüssels.

Die Schritte der das Zwischendeck verlassenden Seeleute entfernten sich. Bald hörte der Gefangene nur noch die Geräusche des Schiffes. Das Plätschern des Wassers klang hier unten viel lauter als oben an Deck, befand sich der Frachtraum doch zu einem guten Teil unterhalb der Wasserlinie. Auch das Knarren der Schiffsplanken hörte sich lauter an und vermischte sich mit dem leisen, beständigen Stöhnen der Fracht, die durch die Schiffsbewegungen um ein paar Zoll hin und her geschoben wurde.

Ab und zu hörte Jacob Geräusche von oben aus dem Zwischendeck. Wütende Flüche von Leuten, die im Schlaf gestört worden waren. Schritte, wenn es einer der Passagiere in dem stickigen Quartier nicht mehr aushielt und an Deck ging, um frische Luft zu schnappen, War auch die junge Frau, die von Maxwell und seinen Begleitern überfallen worden war, nach oben gegangen, um frischen Atem zu schöpfen?

Als ihn die Seeleute nach unten schafften, war Jacob an ihr vorbeigeführt worden. Er hatte in ihre grünblauen Augen gesehen, die Dankbarkeit und Erleichterung ausdrückten, aber auch Angst.

Angst um Jacob?

Oder hatte die Frau Angst um sich selbst?

Was hatte dieser narbengesichtige Maxwell noch gesagt? Die Frau war schwanger. Jacob hatte davon nichts bemerkt, als er an ihr vorbeiging. Aber es war nicht besonders hell dort oben, und er hatte sie nur für wenige Sekunden angesehen. Er hatte nicht auf ihren Leib geschaut, sondern in ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht, das von golden schimmernden Locken umrahmt wurde.