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»Ja«, sagte Martin fast tonlos.

Er konnte sich über sein glimpfliches Davonkommen nicht so recht freuen. Er sah seinen Freund an, und Jacobs Schicksal erschien ihm im Moment wichtiger als sein eigenes. Der Zimmermann war ihm in Hamburg zu Hilfe gekommen, als Martin sich gegen eine gefährliche Bande von Straßendieben verteidigte. Vielleicht hatte Jacob ihm damit sogar das Leben gerettet. Und jetzt sollte er nichts für ihn tun können?

Martin fühlte sich hundeelend, als er mit ansehen mußte, wie zwei der Bewaffneten Jacob abführten.

*

Wieder wurde Jacob erst über Deck und dann durchs Zwischendeck in den Frachtraum geführt. Er rechnete damit, erneut mit Stricken gefesselt und an seinen alten Platz gebracht zu werden. Aber er sah sich getäuscht, als an der Treppe hinunter zum Frachtraum Bob Maxwell, eine Laterne in der Hand, zu der kleinen Gruppe stieß. Ein hämisches Grinsen lag auf seinem Narbengesicht.

»Jetzt haben wir dich, du Krautfresser«, sagte er und entblößte dabei ein schlechtes Gebiß, dem einige Zähne fehlten; die anderen war tiefgelb bis schwarz. »Deine ganze Lügerei hat dir nicht geholfen. Du wirst die amerikanische Küste niemals sehen, so wahr ich Bob Maxwell heiße!«

»Mit dem Lügen kennen Sie sich gewiß aus«, entgegnete Jacob. »Sie haben dem Kapitän ein hübsches Märchen aufgetischt, was den nächtlichen Überfall auf Fräulein Sommer betrifft.«

»Halt die Schnauze!« stieß der Erste Steuermann hervor und schlug Jacob mit der flachen Linken so heftig ins Gesicht, daß dieser nach hinten taumelte und mit dem Rücken gegen den Treppenaufgang prallte. Jacob hatte plötzlich einen ungewohnten süßlichen Geschmack im Mund, den Geschmack von Blut.

Die Wut auf Maxwell packte ihn. Er stieß sich vom Treppenaufgang ab, sprang den Steuermann mit einem riesigen Satz an und riß ihn zu Boden. Die Laterne entglitt Maxwells Hand und kullerte über die feuchten Planken.

Der Angegriffene erholte sich schnell von der Überraschung und zauberte irgendwie ein Klappmesser in seine Hand, die eben noch die Laterne gehalten hat. Mit einer geschickten Drehung der Hand ließ er die Klinge ausschnappen. Schon fuhr der tödliche Stahl auf Jacobs Gesicht zu.

Der junge Deutsche packte Maxwells rechten Arm mit beiden Händen und schlug ihn so stark auf die Planken, daß der Seemann einen Schmerzensschrei ausstieß und das Messer losließ. Jacob riß die Rechte hoch und ballte sie zur Faust, um seinem Gegner einen Hieb unters Kinn zu versetzen, als ihn ein harter Schlag am Hinterkopf traf.

Eine unbeschreibliche Übelkeit überflutete den Zimmermann. Maxwells Gesicht vor ihm verschwamm, und er schien in ein bodenloses Loch zu stürzen.

Es konnten nur Sekunden vergangen sein, bis er wieder zu sich kam. Er lag auf den Planken und blickte in die Gesichter der drei Seeleute.

Die beiden Matrosen schienen entschlossen, keine weitere Aufmüpfigkeit ihres Gefangenen zu dulden.

Die Mündungen ihrer Karabiner zeigten auf Jacobs Brust. Einer der Männer mußte ihm zuvor die Waffe über den Schädel gezogen haben.

Ganz nah über ihm kauerte Maxwell, das Messer wieder in der Rechten, das Gesicht wutverzerrt. Jacob konnte jetzt erkennen, daß die große Narbe auf seiner linken Wange tief ins Fleisch schnitt, als habe jemand versucht, Maxwells Gesicht von dieser Seite aus in zwei Hälften zu spalten. Das Meer der Pockennarben verunstaltete den Steuermann zusätzlich. Vielleicht war sein häßliches Äußeres einer der Gründe für seinen schlechten Charakter.

Maxwell drückte die Messerspitze so fest gegen Jacobs Hals, daß dicke Bluttropfen hervorquollen. »Jetzt schneide ich dir den Kopf ab, Krautfresser!«

Jacob sah keine Möglichkeit, seinem Schicksal zu entgehen. Wenn er sich gegen den Steuermann zu wehren versuchte, würden die Bewaffneten abdrücken. Ihm schien nur die Wahl zu bleiben, ob er durch das Messer oder durch zwei Bleikugeln starb.

Das Messer schnitt tiefer in Jacobs Fleisch. Aus der kleinen blutenden Stelle wurde ein langer Riß, als einer der Matrosen erregt etwas auf englisch sagte. Maxwell antwortete ebenso erregt, und zwischen den beiden entspann sich ein heftiger

Disput.

Schließlich zog Maxwell widerwillig das Messer zurück, wischte die blutende Klinge an Jacobs Hosenbein ab und ließ sie wieder einschnappen. »Du hast Glück, Krautfresser, daß dich sowieso ein schlimmes Schicksal erwartet. Sonst wärst du deinen Kopf jetzt los gewesen.«

Maxwell stand auf und warf dem Seemann, mit dem er gesprochen hatte, einen bösen Blick zu. Wahrscheinlich hatte der seinen Vorgesetzten darauf hingewiesen, daß er einen Mord an einem wehrlosen Gefangenen nicht dulden könne.

Jacob verdankte dem Mann sein Leben und war ihm überaus dankbar. Er zweifelte nicht daran, daß Maxwell seine Drohung in die Tat umgesetzt hätte. In seinen dunklen Augen hatte Jacob unverkennbare Blutgier gelesen.

Mit einem pochenden Schmerz im Hinterkopf stand der junge Deutsche auf, als sein Retter mit dem Karabiner eine entsprechende Geste machte.

Der Marsch ging tiefer in den Frachtraum hinein und endete vor einer Art Verschlag mit dicken Holzwänden. Die Tür war mit einer dicken Kette und einem großen Schloß gesichert. Maxwell zog einen Schlüssel hervor und sperrte die Tür auf.

Als der Schein seiner Laterne in den etwa zehn Quadratfuß großen Verschlag fiel, sah Jacob, daß es Kapitän Haskin wörtlich gemeint hatte, als er davon sprach, den Gefangenen in Ketten legen zu lassen. An kleinen Eisenringen waren mehrere dicke Ketten in die Wände eingelassen, die wiederum in großen Eisenringen ausliefen. Hier konnte ein halbes Dutzend Gefangene angekettet werden.

Beim genaueren Hinsehen entdeckte Jacob viele dunkle Flecken auf dem Boden und an den Wänden, die aussahen wie verkrustetes Blut. Welche Tragödien mochten sich hier unten abgespielt haben?

Das ungute Gefühl in Jacob verstärkte sich noch. Er fragte sich, ob ein solches Gefängnis auf einem Schiff üblich war, das

Frachtgut und Auswanderer transportierte. Die ominösen Worte, die Piet Hansen in Hamburg über die ALBANY verloren hatte, kamen ihm wieder in den Sinn. Es war ihm, als liege ein düsteres Geheimnis über dem Segler. Oder ein Fluch.

Jacob mußte sich an eine Wand setzen, und einer der großen Ringe wurde von Maxwell um seinen rechten Fuß geschlossen. Als das Eisen zuschnappte, fühlte Jacob sich ganz und gar verloren. Der Steuermann vergewisserte sich sorgfältig, daß der Ring auch richtig saß.

»Jetzt kannst du hier vermodern, Krautfresser! Es kann noch Tage dauern, bei schlechtem Wetter noch länger, bis die ALBANY einen Hafen anläuft. Vielleicht vergessen wir dich auch ganz.« Maxwells Blick wanderte zu einer der getrockneten Blutlachen. »Du wärst nicht der erste.«

Er stand auf und versetzte dem Gefangenen einen schmerzhaften Tritt in die Seite, bevor er den Verschlag verließ und die Tür zusperrte.

Es rasselte, als die Kette vorgelegt und der Schlüssel herumgedreht wurde. Schritte entfernten sich rasch. Einmal noch hörte Jacob Maxwells boshaftes Lachen. Dann waren wieder Dunkelheit und Stille um ihn herum, wie schon ein paar Stunden zuvor.

Aber diesmal fühlte sich Jacob ungleich mutloser.

*

Martin Bauer begleitete Irene Sommer nach der Verhandlung zurück ins Zwischendeck. Bei den Verhältnissen an Bord wunderte er sich fast darüber, daß der Kapitän nicht auch noch die schwangere Frau in Eisen legen ließ. Die beiden jungen Deutschen waren gleichermaßen niedergeschlagen und sprachen kaum miteinander. Irene dachte wohl an das nahe Ende ihrer Schiffsreise, und Martins Gedanken beschäftigten sich mit dem Schicksal seines Freundes.