Broll blickte in Hamuuls besorgte Augen. Er erkannte, dass er und der Tauren allein waren, die anderen war nur noch in der Ferne zu sehen und verließen die Lichtung bereits.
„Broll Bärenfell, etwas plagt dich.“ Hamuul wandte sich um, sah seinen Freund an. „Den anderen ist nichts aufgefallen. Denn als ich bemerkte, wie du dich versteift hast, tat ich so, als würden wir uns unterhalten. Selbst dieses vorgetäuschte Gespräch konnte nicht zu dir durchdringen. Du warst völlig reglos – so wie zurzeit auch unser Shan’do.“
Broll spürte, wie ihm die Beine schwach wurden, und er griff nach Hamuuls Arm. Als er antwortete, erschrak er selbst über seine raue Stimme. „Nein... es war nicht wie bei Malfurion. Ich hatte... ich hatte eine Vision...“
„Eine Vision? Wie kann das sein?“
Der Nachtelf überlegte. „Nein. Es war keine richtige Vision. Es war, als würde... als würde Azeroth... oder etwas anderes... versuchen, mich zu warnen.“
Broll erkannte, dass er jetzt zu irgendjemandem Vertrauen haben musste. Deshalb berichtete er dem Tauren kurz und knapp, was er erlebt hatte,
Hamuul machte sich auf die ihm eigene Art Luft, während Broll berichtete. Typisch für ein Geschöpf seiner Herkunft, wenn es erschüttert oder aufgeregt war, schnaubte der Tauren mehr als nur einmal. „Wir sollten es den anderen sagen“, schlug Hamuul vor, nachdem Broll geendet hatte.
Broll schüttelte den Kopf. „Fandral würde es als nichts anderes als Furcht betrachten... oder vielleicht Wahnsinn. Für ihn ist Teldrassil der Schlüssel – und er hat vielleicht recht.“
„Aber deine Visionen – die du nun schon zweimal hattest – müssen wichtig sein, Broll Bärenfell.“
„Da bin ich nicht so sicher... wenn stimmt, was ich gesehen habe – was immer es auch genau war -, warum bin ich dann der Einzige, der es sieht?“
Der Tauren dachte einen Moment lang darüber nach, dann antwortete er: „Vielleicht weil du am geeignetsten dafür bist...“
„Am geeignetsten wofür“
„Auch wenn ich mittlerweile selbst Erzdruide bin, birgt Azeroth doch noch viele Geheimnisse, deren Antworten ich nicht kenne. Die Antwort auf deine Vision musst du wahrscheinlich selbst finden, so wie Azeroth es verlangt...“
Der Nachtelf furchte die Stirn, dann nickte er. Da sie nichts mehr zu ihrer geheimen Diskussion beitragen konnten, beeilten sie sich, um die anderen einzuholen.
Doch als sie gingen, blickte Broll verstohlen zu dem Tauren, und eine Welle der Schuld überkam den Nachtelf. Er hatte eine Sache verschwiegen, die er in seinen Visionen gesehen hatte... eigentlich nur in der letzten Vision, um genau zu sein. Kurz, bevor Hamuul ihn von dem düsteren Bild losgerissen hatte, hatte Broll schließlich erkannt, was da erschienen war – beinahe wie ein Schutzschild gegen all das Böse, das auf ihn herabregnete.
Es war das Götzenbild von Remulos gewesen.
4
Die Schatten rühren sich
„Diese räudigen Hunde müssen in den tieferen Stollen lauern“, knurrte Marschall Dughan, an seine Männer gewandt, als er durch die Augenschlitze seines Helms in den Schacht der Jaspismine blickte. Staub geriet ihm in den Hals, und er wandte sich ab, um auf den Boden zu spucken. „Ich glaube, hier ist es sicher genug für einen kurzen Halt.“
Die Geräusche klirrender Rüstungen hallten von den Wänden der Mine wider, als die fünfzehn Männer des Marschalls sich lockerten. Doch Zaldimar Wefhellt, ein eher mittelmäßiger Magier aus Goldhain, der die Gruppe auf ihrer Mission begleitete, behielt seine Position bei, wobei seine Augen in den dunklen Tunnel gerichtet waren.
„Ich sagte, dass Ihr eine Pause einlegen könnt“, zischte Dughan.
Der grauhaarige bärtige Magier schlenderte zu den anderen. Obwohl in Goldhain angesehen, hatte Zaldimar sich noch keinen Namen in den Hauptstädten gemacht. Doch auch wenn der von Dughan zusammenwürfelte Haufen eigentlich stark genug war, um die Bastarde zu besiegen, konnten die Zauber des Magiers bei einer raschen und umfassenden Säuberung überaus hilfreich sein.
In den Hügeln des Waldes von Elwynn gelegen, war die Jaspismine einer der wichtigen Lieferanten jenes Erzes gewesen, das für die Herstellung von Waffen und Rüstungen gebraucht wurde. Doch da Sturmwind militärisch stark unter Druck stand, ging die Zahl der Streitkräfte, die für den Schutz der Minen des Waldes abgestellt wurden, gegen Null. So hatte es geschehen können, dass die Jaspismine und einige andere Stollen von Kobolden besetzt worden waren.
Unbehelligt waren die Kobolde – schnurrbärtige Gesellen mit langen Schnauzen, die normalerweise mehr störend als gefährlich waren – in die Gegend zurückgekehrt. Sie waren weder versierte Kämpfer noch sonderlich schlau. Doch sie vermehrten sich wie die Karnickel und traten in großer Zahl auf.
Aber nicht mehr lange, wenn es nach Marschall Dughan ging. Er hatte im Gebiet zwischen der Jaspismine und der Tiefenschachtmine weiter im Südwesten während der vergangenen Wochen gute Fortschritte gemacht. Er konnte nicht mehr zählen, wie viele Gegner er bereits erschlagen hatte, so regelmäßig hatten sie die Feinde besiegt.
Dughan nahm seinen Helm ab. Der Marschall hatte ein breites Gesicht, kurz geschorene Haare, einen dichten Schnauzbart und ein Kimibärtchen. Schon als er noch jünger gewesen war, hatte er bereits in mancher Schlacht gekämpft. Nach dem mysteriösen Tod seines Vorgängers war Dughan zum Marschall ernannt worden. Er hatte Ruhe und Ordnung nach Goldhain gebracht und sie auch erhalten, indem er sich nicht nur die Kobolde vorknöpfte, sondern ebenso wilde Wölfe, Bären, Banditen, die fischähnlichen Murlocs und dergleichen mehr.
Doch nun waren die Kobolde zurückgekehrt.
„Dieses Ungeziefer wehrt sich mit Händen und Füßen, Hämmern und Äxten, wenn wir es aufstöbern“, sagte Dughan. „Doch wenn wir sie irgendwo in die Enge getrieben haben, kommt Ihr ins Spiel, Zaldimar...“
Der Magier, dessen purpurblaue Robe trotz des Staubes, der jeden anderen aus der Gruppe bedeckte, makellos rein war, nickte ernst. „Eine Reihe von arkanen Explosionen wären am effek – “
Dughan schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Erspart mir die Details. Tötet sie, verwundet sie und versetzt so viele wie möglich in Panik, bevor wir da hineingehen. Kriegt Ihr das hin?“
Zaldimar nickte. Dughan setzte seinen Helm wieder auf und signalisierte der Gruppe den Aufbruch. Er schlug mehrere dichte Spinnweben weg, die ihm im Weg waren. Sie stammten von den großen Minenspinnen, die normalerweise alles jagten, was dumm genug war, sich hier hineinzuwagen. Ganz besonders hatten sie es auf Kobolde abgesehen. Als er ein weiteres Spinnennetz entfernte, fiel ein alter Koboldschädel zu Boden, dessen lautes Scheppern durch die Mine hallte.
Dughan fluchte. Die Kobolde mochten ihre Anwesenheit bereits vermutet haben, doch jetzt hatte er ihnen die Bestätigung geliefert.
Mehrere der Männer husteten vom Staub, der in der Luft flirrte und dichter als üblich zu sein schien. Es dauerte nicht lange, bis der Grund dafür deutlich wurde. Einer der Seitenschächte, der zu einem zweiten Eingang für die Minenarbeiter führte, war eingestürzt. Der Marschall erblickte tonnenweise Felsbrocken, Erde und zerschmetterte Holzstreben.
„Ein Unfall“, verkündete Zaldimar. „Ich hatte davor gewarnt, zu viel Druck auszuüben, als wir zuletzt hier unten waren...“
„Das macht nichts“, sagte Dughan. „Was zählt ist, dass es unsere Aufgabe erleichtert.“
Zaldimar nickte. Es gab nur noch wenige Richtungen, in denen sich die Kobolde aufhalten konnten. Die einzigen Ausgänge waren nun blockiert. Die Konfrontation stand unmittelbar bevor...
Sie stießen auf einen Leichnam, mit dem sie nicht gerechnet hatten – eine Minenspinne, etwa so groß wie ein Hund. Mit ihrem Gift und den Extremitäten, die ihr zu Verfügung standen, hätte sie einen Kobold mit Leichtigkeit überwältigen können... vielleicht sogar einen Menschen.
Sie war in zahlreiche Teile zerhackt. Im schwachen Licht konnte der Marschall Fußspuren erkennen.