„Die Kobolde werden offenbar cleverer. Sie schließen sich zu Gruppen zusammen, um es mit den Spinnen aufnehmen zu können.“
„Das sollten wir uns merken“, meinte Zaldimar.
Dughan nickte schroff und umfasste den stachelbewehrten Streitkolben fester. Mit seiner freien Hand strich sich der Marschall mechanisch den Staub vom Waffenrock. Der goldblaue Löwenkopf auf seiner Brust leuchtete wieder markant. Dann gab er den Befehl zum Weitermarschieren.
Plötzlich ertönte in der Dunkelheit zuerst eine raue Stimme, dann noch eine zornige andere.
Ein kurzes Aufflammen wie von einer Kerze weiter unten... dann erlosch es wieder.
„Zaldimar...“, flüsterte Dughan.
Der Magier trat nach vorne. Er hob die Hände und gestikulierte überlegt.
Ein grünes Licht flammte auf, begleitet von einem pulsierenden Geräusch. Der Blitz schoss den Tunnel hinab auf die Stelle zu, wo zuvor das kurze Aufflackern zu sehen gewesen war. Einen Augenblick später schlug er ein... dann wieder... und noch einmal.
Die Mine erbebte. Staub und Geröll regneten auf die Kämpfer herab, und der Marschall verfluchte die Fahrlässigkeit des Magiers.
Der Weg geradeaus wurde kurz von einem grünlichen Schimmer erhellt, der so grell leuchtete, dass Dughan seine Augen abschirmen musste. Von dort erklang ein vielstimmiges Knurren.
Der Marschall blinzelte, als sich seine Augen den Lichtverhältnissen angepasst hatten. „Beim König!“, keuchte er.
Der Gang war bis unter die Decke vollgepackt mit Kobolden. Es waren mehr rattengesichtige Feinde, als alle Berichte hatten ahnen lassen – viel mehr.
Plötzlich wirkte Dughans gut ausgebildete Truppe hoffnungslos unterlegen.
Die Kobolde vorn im Pulk stießen bestialische Schreie aus und schwenkten ihre Waffen. Ihre Schwänze wippten vor und zurück und signalisierten so ihre wachsende Erregung. Nicht einer schien von Zaldimars Angriff verletzt worden zu sein.
„Bereitet den geordneten Rückzug vor“, befahl Dughan. Seine Kämpfer waren auf etwas Derartiges nicht vorbereitet. Statt die Mine zu säubern, liefen er und seine Männer jetzt Gefahr, abgeschlachtet zu werden.
Vor ihm rührte Zaldimar sich nicht. Er starrte die Kreaturen an, während die leuchtenden Effekte des Blitzes zu verblassen begannen.
„Tut etwas, Magier! Schleudert einen weiteren Blitz!“
Der Zauberer drehte sich um. Zaldimars Gesichtsausdruck zeugte von äußerster Verwirrung. „Ich... ich brauche noch eine Minute... diese Aktionen laugen meinen Körper aus...“
Obwohl er kein Magier war, wusste der Marschall, dass Zaldimar alle Kraft würde aufbieten müssen, um sie noch zu retten – und zwar schnell. Er riss Zaldimar am Arm und zog ihn zurück zum Rest der Gruppe. „Ihr müsst es versuchen, Zaldimar! Unser Leben... könnte sehr wohl davon abhängen!“
Bevor der Magier antworten konnte, stürmten die Kobolde vor. Was normalerweise komisch gewirkt und allenfalls kleinen Kindern Angst eingeflößt hätte – Kobolde waren schließlich im besten Fall etwa 1,20 Meter groß -, war nun eine tödliche Gefahr für alle.
„Zurückziehen! Zurückziehen! Ihr drei! Nach vorn, jeder gibt dem anderen Deckung.“ Dughan schob Zaldimar hinter sich. Auch wenn der Magier nicht von großem Nutzen war, würde der Marschall ihn nicht hier zurücklassen.
Der erste Kobold erreichte die Verteidiger. Dughan schlug nach einer der Kreaturen, dann nahm er es mit einer anderen, viel größeren auf.
„Du nicht nehmen Kerze!“, brüllte sie, der fragliche Gegenstand saß auf ihrem Kopf in einer kleinen Halterung. Kobolde konnten gut im Dunkeln sehen, doch in einer Mine brauchten auch sie in den tiefsten Stollen Licht.
„Ich will deine verdammte Kerze nicht!“, brüllte Dughan entnervt zurück.
Er schlug wieder und wieder zu. Ein Rattengesicht nach dem anderen kam in Sicht, nur um von der geübten Hand des Marschalls niedergemetzelt zu werden. Um ihn herum bewiesen die Männer Mut. Sie räumten gnadenlos unter den Kobolden auf.
Das Blatt hatte sich gewendet. Die große Anzahl der Kobolde wurde zu Leichenhaufen. Ein Grinsen bildete sich auf Dughans Gesicht.
Am Ende standen die Streitkräfte von Goldhain knietief im Blut und zwischen verstümmelten Leichen. Der Gestank der toten Kobolde war noch hundertmal ärger als der Geruch, den sie schon lebendig verströmten. Doch die Männer waren bereit, ihn zu ertragen, so allumfassend war ihr Sieg ausgefallen. Selbst die letzte Kerze der Kobolde war ausgelöscht worden.
Marschall Dughan zählte seine Männer. Sie waren alle noch da. Einige hatten kleinere Verletzungen – meistens Kratzer – erlitten, doch alle waren nach wie vor kampfbereit und fit.
Nein... es fehlte doch einer.
„Wo ist der Magier?“
Die anderen schüttelten den Kopf. Dughan stach an einer Stelle in den Leichenhaufen, wo er Zaldimar zuletzt gesehen hatte. Doch der Zauberer blieb unauffindbar.
Dughan vermutete, dass der Versager Zaldimar lieber vor der Schlacht geflohen war. Sie würden den Feigling zweifellos in Goldhain finden. „Weiter geht es“, entschied der Kommandant. „Stellt sicher, dass die anderen Stollen sauber sind.“ Er bezweifelte, dass sie noch mehr als ein paar Kobolde finden würden, doch auch die mussten ausgeschaltet werden.
Sie marschierten weiter, Dughan übernahm die Führung. Der Marschall bedeckte sich die Nase, denn der Geruch der toten Kobolde wurde stetig schlimmer, obwohl die Männer die Leichen allmählich hinter sich zurückließen.
Plötzlich wurde die Jaspismine erschüttert, als hätte weiter unten eine Explosion stattgefunden. Die Stützbalken knackten bedrohlich.
Dughan streckte sein Schwert aus. „Vorwärts!“
Doch als der Boden weiter bebte, knackte einer der entfernteren Balken. Die beiden Hälften brachen auseinander und stürzten herab.
„Vorsicht!“, brüllte der Kommandant.
Die Decke der Mine stürzte an einer Stelle ein. Dadurch kam es zu einer Kettenreaktion. Weitere Balken barsten. Massen von Erde und Stein donnerten herab.
Die Männer flohen zurück, doch dann gab die Decke vollends nach. Der Staub und die Dunkelheit machten Dughan und seine Männer blind, sie stießen miteinander zusammen, als sie zu fliehen versuchten.
Plötzlich hörte der Marschall einen furchteinflößenden Schrei.
Gerade, als das Beben schwächer zu werden begann, taumelte er in eine freie Zone. Hustend versuchte Marschall Dughan, sich zu konzentrieren. Er konnte die schemenhaften Umrisse von mindestens drei Männern ausmachen.
Als es still genug geworden war, um wieder Gehör zu finden, rief er: „Meldet euch!“
Elf Stimmen antworteten, einige mit Schmerz in der Stimme. Elf, nicht fünfzehn.
Die Verwüstung ließ es sinnlos erscheinen, nachzusehen, ob die anderen vier noch lebten. Dughan musste den Rest seiner Männer in Sicherheit bringen. Ihnen blieb nur noch die Möglichkeit, zu der Stelle zurückzukehren, wo sie gegen die Kobolde gekämpft hatten. Manchmal gruben Kobolde unter Tage tiefe Höhlen neben den Stollen, die Fluchtwege nach draußen beinhalteten.
Darauf setzte er all seine Hoffnung.
„Folgt mir!“
Der Weg war dunkler und länger, als er ihn in Erinnerung hatte. Nur der starke Gestank schien Dughan darin zu bestätigen, dass sie sich ihrem Ziel näherten. Doch als er die Gruppe zügig durch einen der Gänge führte, standen sie plötzlich vor einer geschlossenen Felswand.
„Was ist das?“
Die Wand bedeutete, dass sie an dem Punkt, an dem sie die Kobolde das erste Mal gesehen hatten, schon vorbei waren. Aber wo waren die Leichen?
Dughan suchte in seinen Beuteln nach etwas, womit er die Umgebung erhellen konnte, doch er fand nichts.
Plötzlich entstand jedoch ein violettes Leuchten neben ihm. Der Marschall wirbelte mit erhobenem Streitkolben herum.
Zaldimar blickte ihn aus dem Leuchten heraus an. Dughan konnte nichts außer dem Gesicht des Magiers sehen. Sein Gesichtsausdruck wirkte verhärmt.
„Hilft das?“, krächzte er.
„Beim Licht, wo seid Ihr gewesen? Habt Ihr irgendein Anzeichen für einen Weg nach draußen gefunden? Der Gang, durch den wir kamen, ist unpassierbar!“