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Fandral hatte sich nicht auf die Hoffnung allein verlassen. Der Zirkel hatte Versuche unternommen, nicht nur den Körper wieder herzustellen, sondern auch Malfurions Geist zurückzuholen. Doch die Versuche scheiterten allesamt. Sie hatten sich sogar an die Herrin des Smaragdgrünen Traums gewandt – den großen grünen Drachen Ysera -, aber das hatte ebenfalls nicht funktioniert. Auch Ysera konnte keine Verbindung zu dem Erzdruiden herstellen.

Bis vor Kurzem war all das vor dem Volk der Nachtelfen geheim gehalten worden. Selbst die meisten Angehörigen der Schwesternschaft und der Druiden wussten nichts davon. Doch als immer mehr Fragen aufkamen, sah sich der zögerliche Fandral schließlich dazu gezwungen, wenn schon nicht den Rest des Volkes, dann doch zumindest seine Druiden von der Hoffnungslosigkeit der Situation zu unterrichten. Das war auch der Hauptgrund gewesen, warum so viele Druiden zu der plötzlich einberufenen Versammlung gekommen waren. Broll war überzeugt davon, dass die anderen Druiden wie er selbst geglaubt hatten, dieses Treffen würde irgendwie mit Malfurions Rettung zusammenhängen.

Doch Teldrassil war auch ein wichtiger Grund, wenn nicht sogar noch wichtiger für alle Nachtelfen. Denn das eigentliche Ziel des neuen Weltenbaums war es ursprünglich gewesen, ihre Unsterblichkeit zurückzuerhalten und letztlich ihre Kräfte zu vergrößern. Fandral hatte ihnen erklärt, dass der magische Baum zugleich auch ihre einzige Hoffnung sein könnte, um die Traumgestalt ihres Gründers zu finden und somit zu seiner Rettung beizutragen.

Wenn Teldrassil wirklich so krank ist, dann... Broll runzelte die Stirn und sah, wie sich seine Besorgnis auf den Gesichtern von Hamuul und dem Rest der Druiden widerspiegelte.

Fandral mischte sich unter die anderen. Sein scharfer Blick blieb kurz auf Broll liegen. Obwohl es eindeutig nicht die Absicht des Erzdruiden war, erinnerte dieser Blick Broll an sein schreckliches Versagen. Allerdings war ihm diese Erinnerung sowieso stets gegenwärtig.

Der ältere Erzdruide lächelte wie ein Vater, der zu seinen Kindern spricht. „Doch verzweifelt nicht, meine Freunde“, sagte er. „Ich habe Euch nicht hierher gerufen, um über den Untergang zu sprechen...“

„Gibt es denn Hoffnung?“, stieß ein anderer Druide hervor.

„Es gibt mehr als Hoffnung!“, verkündete Fandral. „Ich habe Euch an diesem Ort versammelt, hier bei Teldrassils Wurzeln, damit wir dem Weltenbaum bei seiner Heilung helfen.“ Er lächelte aufmunternd. „Und wenn es Teldrassil wieder gut geht, können wir uns auf unsere Suche nach Malfurion Sturmgrimm konzentrieren...“

„Aber wie können wir Teldrassil helfen?“, rief ein anderer.

„Hiermit.“ Der Erzdruide streckte die Hand aus. Darin lag ein Objekt, das alle erkannten... und das Broll einen Seufzer der Bestürzung und Überraschung entlockte.

Fandral hielt das Götzenbild von Remulos in der Hand.

Der Name war vielleicht irreführend, weil das Götzenbild so gar nicht nach der Gottheit aussah, nach der es benannt worden war. Die Figur glich einem sich aufbäumenden grünen Drachen und war vom Halbgott Remulos geschaffen worden, dem unsterblichen Sohn des Cenarius. Der bot seinerseits selbst einen erstaunlichen Anblick. Die untere Hälfte von Remulos’ Körper war wie die eines stolzen Hirsches geformt, doch wo die Vorderbeine auf den Hals hätten treffen sollen, befand sich eine menschliche Brust. Seine Hufe waren gespalten und mächtig. Wie sein Vater war der Halbgott halb ein Waldtier, dessen Oberkörper jedoch einem Nachtelfendruiden glich. Seine Arme liefen in belaubten hölzernen Krallen aus, und sein Haar und der Bart bestanden aus Blättern, Gestrüpp und Moos.

Remulos war zugleich der Wächter der Mondlichtung. Broll hatte sich schon gefragt, ob der unsterbliche Druide hier erscheinen würde, obwohl Remulos bereits seit einiger Zeit nicht mehr an den Treffen teilnahm. Gerüchtweise führte er seine eigene Suche nach Malfurion durch...

Das Götzenbild war ein mächtiges magisches Artefakt, das sicherlich in der Lage war, die Zauber der Druiden zu verstärken... wenn es nicht vorher größeren Schaden anrichtete.

Tatsächlich konnte Broll sich kaum zurückhalten. Es platzte aus ihm heraus: „Erzdruide, bei allem Respekt... sollen wir das Götzenbild wirklich benutzen?“

Fandral wandte sich ihm zu und bückte Broll ernst an. „Eure Sorgen sind verständlich, guter Broll. Anessas Verlust war nicht Euer Fehler. Ihr habt getan, was Ihr konntet, um viele Leben zu retten und die Dämonen zurückzuschlagen.“

Broll bemühte sich, bei Fandrals Worten nicht zu erschaudern, auch wenn sie ihn eigentlich nur beruhigen sollten. Ein menschliches Gesicht regte sich in Brolls Erinnerungen. Ein entschlossener dunkelhaariger Mann mit Augen, die von einem größeren Verlust erzählten, als ihn selbst der Nachtelf erfahren hatte. Varian Wrynn war gemeinsam mit Broll losgezogen, um die verfluchte Figur von einem verrückt gewordenen Furbolg zurückzuholen. Sie beide hatte bereits zuvor ein starkes Band verbunden, als sie noch Sklaven und Gladiatoren gewesen waren. Varian hatte ihm geholfen, obwohl er seine eigene Vergangenheit nicht kannte. Er wusste nicht, dass ein ganzes Reich seines Königs beraubt war...

Fandral wandte sich wieder Broll zu. Er hielt die Figur hoch, dann richtete er sie auf den Weltenbaum. „Einst speisten wir ihn, damit er aus einer einzelnen Nuss zu dem wunderbaren Riesen heranwuchs, der er jetzt ist. Diese Mühen kosteten uns viel, doch die Belohnung war mannigfaltig... eine neue Heimat, Nahrung, Wasser und Schutz vor unseren Feinden...“

Die Druiden nickten, obwohl Broll bemerkte, dass Fandral nicht die Unsterblichkeit erwähnte, die sein Volk immer noch verloren hatte. Doch vielleicht reagierte er empfindlich darauf, weil Teldrassil sie noch nicht wieder hergestellt hatte.

Der Erzdruide richtete das Götzenbild auf einen anderen Druiden, der ihm am nächsten stand. Der andere Nachtelf trat instinktiv einen Schritt zurück. „Doch als er uns so viel gab, wurde Teldrassil für Krankheiten anfällig. Er braucht uns wieder. Im Gegenzug... wird er uns dann sicherlich den Weg weisen, um unseren Shan’do zu finden!“

Fandrals Enthusiasmus war ansteckend. Die anderen raunten ihre Zustimmung.

„Der Traum wird rasend schnell vom Albtraum verzehrt...“, fuhr er feierlicher fort und fasste das furchtbare Wissen zusammen, das bereits alle teilten. „Ohne Nachricht von seiner Herrin habe ich seit den letzten törichten Versuchen allen anderen den Zutritt verboten...“ Fandral blickte die Versammlung an, als wollte jemand nicht gehorchen. „Denn Malfurion wollte sicherlich nicht, dass um seinetwillen weitere Leben gefährdet werden...“

Er legte die Hand an die Brust, dann malte er einen Kreis in die Luft, dem er zwei senkrechte geschwungene Striche hinzufügte. Die Striche symbolisierten das Geweih des Cenarius. Das ganze Symbol repräsentierte den Zirkel des Cenarius.

Die Druiden schlugen in Vorbereitung ihres Zaubers die Hände zusammen. Broll reinigte seinen Geist von Bedenken und kleinlichen Moralvorstellungen und begann stattdessen, sich selbst in eine meditative Trance zu versetzen. Neben ihm tat Hamuul es ihm gleich.

Fandral wandte sich Teldrassil zu und berührte den großen Stamm mit der Hand. Seine Finger fuhren die raue Rinde hinunter.

In dem Weltenbaum begann sich etwas zu regen, etwas, das jeder Druide spüren konnte, als wäre es ein Teil von ihm selbst. Selbst in seiner Meditation fühlte Broll die Gegenwart des Riesen... Teldrassils Essenz berührte diejenigen, die ihm beim Wachsen geholfen hatten.

Der Weltenbaum war mehr als nur die Heimat der Nachtelfen. Er war mit der Gesundheit von Azeroth verbunden. War er krank, dann beeinflusste er nicht nur die direkte Umgebung, sondern auch die Länder jenseits der Insel. Selbst die Luft und die rauschende See waren nicht immun dagegen. Und schließlich konnte ein Teldrassil, dem es schlecht ging, nicht die Balance zwischen Natur und Verfall halten.

Der Boden bebte, doch weder Broll noch einer der anderen verspürte Furcht, nicht einmal, als etwas unter ihnen hervorbrach, das wie Tentakel wirkte.