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Die geisterhaften Visionen seiner Vergangenheit umschwärmten ihn, doch der Stab schnitt durch sie hindurch, als bestünden sie aus Luft. Sie verschwanden mit schrecklichen Seufzern.

Er kam in Sichtweite der Axt, näherte sich ihr aber nicht. Stattdessen ging Malfurion weiter auf den Schatten des Baumes zu.

Doch der Schattenlord zog sich nicht länger zurück. Xavius spürte vielleicht, was Malfurion von Anfang an gewusst hatte.

Ein langer, knochiger Schatten schoss aus dem Baum hervor. Er wollte in die Brust des Erzdruiden eindringen. Malfurion hatte keine andere Wahl, als sich zu verteidigen. Stab und Schatten trafen sich in einem kurzen, düsteren Blitz.

Ein kleines Stück des Schattens löste sich und verschwand augenblicklich. Doch im Kopf des Nachtelfen ertönte Xavius’ Lachen. Der Albtraumlord wusste, dass er nicht vernichten konnte, was er mit seiner physischen Essenz genährt hatte. Aber es reichte auch nicht aus, um ihm Schaden zuzufügen.

Das Ende dieses kleinen Dramas ist nahe, spottete Xavius. Und alles, was du noch tun kannst, ist zu versagen, zu versagen, zu versagen, Malfurion Sturmgrimm...

Der Schatten breitete sich plötzlich weit über den Erzdruiden hinaus aus. Die Silhouette der skelettartigen Äste kratzte an Malfurion. Einer näherte sich der Brust des Nachtelfen.

Malfurion nahm den Stab und stieß ihn mit der Spitze voran in den Schatten. Sein Schlag verfehlte jedoch sein Ziel. Stattdessen traf die Spitze den Boden.

Die Äste versuchten, den Erzdruiden in ihrem Griff zu zerquetschen. Sie versagten, doch Malfurion verlor den Stab aus der Hand.

Xavius’ Gelächter erklang von überall her. Die Schatten umgaben den Erzdruiden.

Malfurion verschwand – und erwachte.

Doch er stellte fest, dass die Situation auf Azeroth kaum besser war.

„Mal! Gepriesen sei Elune!“, rief Tyrande.

Um sie herum schossen dunkle schwere Ranken aus dem ausgetrockneten Boden. Wie hungrige Blutegel stürzten sie sich auf den Erzdruiden und die Hohepriesterin. Malfurion wehrte mehr als ein Dutzend ab, doch es kamen immer mehr aus den großen Spalten, die sich nun öffneten.

Tyrande bekämpfte sie, so gut sie konnte. Sie hatte das Licht von Elune zu einer Waffe gemacht, die ihrer Gleve glich. Damit sprang die agile Kriegerin zwischen die suchenden Ranken. Einige waren so dick wie die Stämme von Eichen. Sie zerteilte alles, was sich zu nah an sie und Malfurion heranwagte. Mehrere abgeschnittene Teile lagen bereits um sie herum, aber der Erzdruide bemerkte, dass keiner der Angreifer verwundet wirkte.

Warum das so war, erkannte er einen Augenblick später, als sie ein weiteres Stück abschnitt. Die Ranke versiegelte augenblicklich die Wunde, und die Spitze wuchs neu.

„Zieht Euch zurück!“, rief Malfurion Tyrande zu.

Doch in ihrer Entschlossenheit, sie beide zu schützen, machte die Hohepriesterin schließlich einen Fehler. Eine der Ranken packte ihr Bein und wollte sie auf einen qualmenden Spalt zuziehen.

Malfurion warf sich zur Seite. Aber die Ranke erwies sich als stärker als sie beide zusammen. Tyrandes Bein rutschte in den Spalt. Sie griff nach Malfurion, als er zu verhindern versuchte, dass sie in die dunkle Tiefe gerissen wurde.

Seine Hand glitt zu der angreifenden Ranke. Dabei bemerkte der Erzdruide, dass sie, obwohl sie der Pflanzenwelt entstammte, auch noch etwas anderes war. Er blickte nach oben, wo er die wahre Quelle vermutete. Selbst er konnte nicht erkennen, woher die Ranken – nein, eigentlich waren es eher Wurzeln – kamen.

Als Malfurion sich noch in der Gewalt des Albtraumlords befunden hatte, hatte er Wurzeln erschaffen, die er so lange hatte wachsen lassen, dass er sie für seine Zwecke einsetzen konnte. Xavius hatte während seiner zehntausend Jahre währenden Gefangenschaft in Baumgestalt offensichtlich dasselbe getan, nur auf einer weit komplexeren Ebene.

Seine Wurzeln erstreckten sich über etliche Meilen. Und ihre Beweglichkeit erklärte, warum er hier war, statt auf dem Grund des Meeres, wo er eigentlich hingehörte.

Malfurion hatte keine Zeit, den richtigen Zauber zu wirken, keine Zeit, Xavius aus der Ferne anzugreifen. Stattdessen bat er Azeroth selbst um Hilfe, doch zunächst fand er nur tote Erde. Nichts Lebendiges war darin, keine Insekten, keine Pflanzen... nichts. Xavius hatte ihr alles Leben entzogen, um noch stärker und tödlicher zu werden. Der letzte, am besten sichtbare Teil der Verwüstung war erst vor Kurzem geschehen. Der Albtraumlord war schlau vorgegangen. Hatte sich den Weg von unten her gebahnt mit seinen tödlichen Wurzeln und den Rest erst erledigt, als er schließlich zum Angriff bereit war.

Und Xavius hatte diese große Rolle nur spielen können, weil Malfurion ihn in einen Baum verwandelte.

Gemeinsam mit Tyrande kämpfte er dagegen an, nicht nach unten gezogen zu werden. Doch ständig griffen weitere Wurzeln an. Malfurion schaffte es, sie abzuwehren, aber er wusste, dass der Albtraumlord die Hohepriesterin unerbittlich immer tiefer zog.

Der Erzdruide stieß mit seinem Geist immer weiter vor, suchte das Leben, das irgendwo sein musste. Er weigerte sich zu glauben, dass Xavius die ganze Region in eine Wüste verwandelt hatte. Nicht so langsam und im Geheimen.

Stattdessen fand Malfurion etwas, das ihn noch mehr schockierte. Es war etwas Böses, so intensiv, so monströs, dass er vor Schreck beinahe Tyrande losließ. Nur seine Liebe zu ihr bewahrte den Erzdruiden davor zu versagen. Wieder hatte er ein Teil des Puzzles enthüllt. Jetzt war ihm klar, wie Xavius den Ort verändert hatte.

Etwas wühlte Malfurion auf. Erneut suchte er nach Azeroths Lebenskräften und fand sie schließlich auch. Der Erzdruide nahm sie in sich auf.

Donner krachte. Der Boden erbebte wieder.

Ein Blitz leuchtete weiter vorne auf, wo sich der Albtraumlord wirklich befand.

Die Wurzeln ließen Tyrande los. Doch der Boden begann sich zu schließen. Malfurion zerrte Tyrande gerade noch rechtzeitig heraus, bevor ihre Beine von dem Spalt zerquetscht werden konnten.

Beide stützten sich gegenseitig, als sie den Bereich der Erschütterung verließen. Der Boden bebte, und hohe Hügel wurden aufgeworfen, wo Erde auf Fels traf.

„Was geht hier vor?“, rief Tyrande.

„Zwei Kräfte prallen aufeinander! Eine stammt vom Albtraum!“

„Und die andere?“

Er antwortete nicht, obwohl er die Wahrheit kannte. Irgendwie hatte Malfurion Azeroth derart in Aufruhr versetzt wie noch nie zuvor. Das Land wehrte sich gegen das Böse, gegen Xavius.

Nein... der Erzdruide runzelte die Stirn. Das Böse war stärker als Xavius.

Sie rannten, bis sie nicht mehr konnten. Hinter ihnen veränderten große Umwälzungen das Land. Jetzt bedeckte nicht mehr der Nebel allein es, sondern auch riesige Wolken aus Staub und Dampf.

Und es ging noch weiter.

Doch obwohl Malfurion eine Kraft entfesselt hatte, die ihn selbst erstaunte, spürte er keine Hoffnung. Malfurion war tiefer in den Boden vorgedrungen, als er geglaubt hatte. Er hatte nicht nur Azeroths Kern berührt, sondern auch die Quelle, aus der Xavius seine düstere Macht zog. Ein Ort, jenseits der Welt der Sterblichen und des Smaragdgrünen Traums gelegen, aber beide betreffend.

Und an diesem schrecklichen Ort spürte er etwas unglaublich Altes – und irgendwie Vertrautes. Der hartgesottene Erzdruide erschauderte.

Eine andere, noch dunklere Macht stand hinter dem Albtraumlord.

27

In das Auge hinein

Menschen, Elfen verschiedener Art, Orcs, Zwerge, Trolle, Tauren, Gnome, Furbolgs, Untote und noch viele mehr setzten den Kampf gegen die unerbittliche Flut von Feinden fort. Krieger, Druiden, Magier, Priester – sie und alle anderen nutzten ihre besonderen Fähigkeiten.

Varians Armee aus Traumgestalten opferte sich weiterhin an der Front und tötete eine unlässbare Zahl von Feinden. Die Kämpfer starben nicht nur durch die Klauen der Satyre, sondern auch, weil ihre physischen Körper vermehrt versagten. Hamuul, der all dies beaufsichtigte, überlegte angestrengt, warum die Traumgestalten nicht weiterexistierten, wenn ihre echten Körper tot waren. Er nahm an, dass die Magie des Albtraums dabei eine große Rolle spielte, die über die bestehende Verbindung von Azeroth in die Traumgestalten floss.