Die Druiden setzten all ihre Zauber ein. Hier explodierten Samen in reinigendem silbernem Feuer, dort setzten andere Druiden in Gestalt von Bären und Raubkatzen ihre magisch verstärkten Klauen, Zähne und selbst ihr Gebrüll ein, um so viele Diener der Finsternis zu töten wie nur möglich.
Doch ihr Angriff verlangsamte sich, geriet ins Stocken...
Und dann entdeckten sowohl die auf Azeroth zurückgebliebenen Krieger wie auch die hier Kämpfenden die nächste Welle des Bösen. Aus den Nebeln beider Ebenen marschierte eine Armee heran, die aus von Schatten besessenen Drakoniden, niederen Drachlingen und anderen korrumpierten Drachen bestand.
Und dann... geschah etwas, das kein Druide, nicht einmal Malfurion, erwartet hätte.
Die Grenze zwischen Smaragdgrünem Traum/Albtraum und Azeroth begann zu schwinden... und beide verschmolzen langsam miteinander.
Die eigentlich unmögliche Verschmelzung überraschte Eranikus. Er verlor kurz die Kontrolle, doch dann versuchte er, sie zurückzuerlangen und gleichzeitig Thura und Lucan nicht zu verlieren.
Lucan hörte eine Stimme, die ihn rief. Sie war nicht ausschließlich an ihn gerichtet, sondern galt jedem, der ihr zuhören wollte. Etwas Vertrautes lag darin, etwas, das ihn an die verlorenen Tage erinnerte, als der Schlaf und seine Träume noch sanft gewesen waren. Er wurde davon angezogen...
Und ohne nachzudenken rutschte er aus Eranikus’ Pranken. Doch er fiel nicht. Stattdessen stürzte Lucan nur einen halben oder ganzen Meter durch die Luft... Dann hatte er das Gefühl, als würde etwas Unsichtbares an ihm ziehen. Eranikus und Thura verschwanden...
Einen Augenblick später tauchte der Kartograf in einer Gegend auf, die auf jeden Fall Teil des Albtraums war. Schreie drangen an seine Ohren. Schreckliche Gestalten bewegten sich im Nebel... aber sie störten Lucan nicht mehr so sehr. Er erhob sich von dem ungezieferverseuchten Boden, der sich eigentlich Hunderte Meter unter dem Drachen und seinen Reitern hätte befinden sollen.
Lucan erkannte, dass etwas vor ihm im Nebel lag. Etwas, das ihn, obwohl es sich mitten im Albtraum befand, doch mit ein wenig Hoffnung erfüllte.
Trotz der Gefahren des Albtraums rannte er darauf zu. Beim Näherkommen wunderte er sich über den Anblick. Das Gebäude – eine Ansammlung von hohen Kuppeln – war nicht von Menschen erbaut worden. Es war zu perfekt. Von seinem Standort aus konnte er nicht erkennen, ob die kleineren Kuppeln eine Größere umstanden oder sich nur daneben befanden.
Alles war von einer wundersamen goldenen Farbe, die Lucan trotz der Fäule des Albtraums auf eigentümliche Art tröstete.
Der Kartograf fühlte sich von der goldenen Kuppel angezogen. Trotz seiner Vorsicht ging er schneller voran. Lucan war so auf die goldene Kuppel fixiert, dass er den Albtraum gar nicht mehr bemerkte. Er wusste nur, dass er das Gebäude erreichen musste.
Später hätte er nicht mehr sagen können, wie lange er gebraucht hatte, um das Gebäude zu erreichen. Es war ihm auch egal. Ein paar Minuten, Stunden... Zeit bedeutete hier nichts. Wichtig war nur, dass er zu dem Eingang gelangte. Dort allerdings stellte er fest, dass er von einer Finsternis verschlossen war, die vom Albtraum stammte.
Diese Entdeckung erinnerte ihn wieder an die wahren Umstände, und Lucan wäre am liebsten fortgerannt. Doch dann spürte er, dass sich das Wesen, das ihn hierher gelockt hatte, im Gebäude befand.
Und dass es ihn brauchte...
Aus einer anderen Richtung hörte er Flügelschlag und wirbelte herum. Kaum hatte er das getan, ragte eine riesige Gestalt über ihm auf.
Obwohl Lucan es für unmöglich gehalten hatte, einen Drachen am Gesicht zu erkennen, war er sicher, dass dieser hier Lethon hieß. Der schwarzgeschuppte Drache, dessen geisterhafte Gestalt im kränklich grünlichen Licht des Albtraums erstrahlte, sah sich misstrauisch um.
Seine Augen, schwarze, bodenlose Klüfte, blickten in Lucans Richtung. Der Blick fand sein Ziel, kurz bevor er auf den Menschen traf.
Lethon schnaubte, dann ging er weiter.
Der Drache verschwand in der Ferne. Seufzend lehnte sich der Kartograf an die Wand.
Die Wand leuchtete auf.
Er fiel hindurch.
Doch er gelangte nicht in einen Raum, sondern in einen Wirbel magischer Kräfte, die ihn herumschleuderten. Dabei spürte Lucan, dass ihn seine eigenen Kräfte verließen. Er wusste, dass er nicht mehr lange wach bleiben konnte.
Ganz ruhig, junger Lucan... Ich wehre diese Effekte lange genug für dich ab... Ich hoffe...
Er kannte die Stimme, kannte sie, selbst bevor sein Körper sich der Quelle zuwandte.
Wie der Mensch schwebte auch der große Drache Ysera im Zentrum der Kräfte. Wenngleich Ysera deutlich mehr davon angegriffen wurde. Ihre Flügel waren weit ausgebreitet, und sie war von einer dünnen smaragdgrünen Aura umgeben, die permanent flackerte, als wollte sie schwinden. Die langen schmalen Drachenaugen waren geschlossen, dennoch schien sie ihn sehen zu können.
Lucan spürte, dass der weibliche Drache alles andere als hilflos war, trotz der Gefangenschaft, und immer noch kämpfte...
Aber das konnte nicht sein. Er hatte gesehen, wie sie verloren hatte. Der Albtraum hatte sie überwältigt, sie seinem Willen unterworfen...
Vom Albtraum und seinem Herrn kommen nur Lügen, antwortete Ysera auf seine unausgesprochene Frage. Ich bin eine Gefangene, aber ich leiste noch ein wenig Widerstand... obwohl er schwindet, wie ich zugeben muss...
Was ist das für ein Ort?, fragte er leise.
Ihr Kopf drehte sich zur Seite. Vor langer Zeit, als Azeroth noch jung war und wir es zusammen mit dem Smaragdgrünen Traum zum ersten Mal beschützen mussten, ehrten mich die Mitglieder meiner Sippe, indem sie diesen Ort, das Auge von Ysera nannten. Von dort aus wachten wir über alles... Ihr Gesichtsausdruck wurde traurig. Nun, durch Lethons Verrat... ist er zu meinem Kerker geworden...
Der große Aspekt knurrte plötzlich vor Schmerz. Yseras Körper erzitterte, und einen Atemzug lang wurde sie feinstofflich.
Obwohl es vergeblich war, streckte Lucan die Hand aus, um Ysera zu trösten.
Die Grenze zwischen dem umkämpften Traum und Azeroth schwindet!, verkündete sie in schrecklicher Sorge. Obwohl ich immer noch kämpfe, binden sie immer schneller meinen Willen und nutzen meine Kräfte, um alles andere zu vernichten!
Was können wir tun?, fragte der Kartograf entsetzt.
Sie sammelte alle Kraft, die sie noch hatte und antwortete: Erfahre die Wahrheit, Lucan Fuchsblut... Ich kenne dich schon, seit Eranikus dich gefunden hat... Ich entschied mich, abzuwarten, was aus dir werden würde... Selbst Eranikus wusste nichts davon... Er handelte nur, wie sein Herz es ihm befahl...
Lucan beobachtete sie mit offenem Mund.
Ich konnte an den Umständen deiner Geburt nichts ändern, doch vielleicht... war ich anmaßend, als ich dir nicht zumindest von Anfang an... ein wenig Schutz gab. Ysera keuchte erneut, dann fuhr sie fort: Aber wir haben keine Zeit, in der Vergangenheit zu schwelgen... Ich habe erfolglos versucht... jemand anderen zu kontaktieren... Doch deine Einzigartigkeit kann mir dabei helfen, ihn noch zu erreichen...
Ich? Was kann ich tun?
Wieder litt der Drache große Schmerzen und verschwand fast. Wir... wir erreichen den Punkt ohne Wiederkehr!, sagte Ysera schließlich. Du könntest mir den Weg bereiten, um die Zauber des Albtraumlords zu überlisten, die mich an der Kontaktaufnahme zu Malfurion Sturmgrimm hindern...
Malfurion? Ich tue alles, um dir zu helfen, selbst wenn es mich mein Leben kostet!, antwortete der Kartograf. Er erkannte, dass er es auch so meinte. Was war sein Leben schon wert, wenn alles andere an den Albtraum fiel?