Beide willigten ein. Malfurion fühlte sich immer noch schuldig, weil allen Bemühungen zum Trotz wahrscheinlich noch viele andere sterben würden.
Dann nahm er zu Broll Kontakt auf.
Habt Ihr Thura gefunden?
Broll Bärenfell antwortete augenblicklich. Ja, Shan’do! Doch sie kann hier nicht effektiv kämpfen! Bringen wir sie nach Azeroth zurück, dann...
Nein... Ihr wisst, was sie hier zu tun hat.
So wie Hamuul und König Varian stimmte auch Broll zu.
Malfurion blickte wieder zu Tyrande. Sie stellte sich den Gegnern, wie sie es schon so oft zuvor im Krieg der Ahnen getan hatte. Ihr Gesicht war dunkel verfärbt – so wie es aussah, wenn Nachtelfen erröteten -, und sie warf die Gleve immer wieder. Die leuchtende Waffe trennte Gliedmaßen ab, schnitt den Satyren tief in die Brust und schlug einem von ihnen sogar den Kopf ab.
Doch der Erzdruide bemerkte, dass das Mondlicht um sie herum leicht schwächer wurde, ebenso wie Elunes Wächterinnen. Die Hohepriesterin bekämpfte nicht nur physische Feinde. Xavius leitete seine gesammelten Kräfte in die Satyre und stärkte besonders diejenigen, die gegen Tyrande kämpften. Aus ihr bezogen die Wächterinnen ihre Substanz. Wenn sie fiel, würden sie sich schnell auflösen.
Malfurion wandte sich seinem zweiten Problem zu. Er kontaktierte eilig den Geist des männlichen Drachen. Eranikus! Denkt nach!
Nein! Ich werde das Auge nicht ohne sie verlassen!
Der Blickwinkel des Nachtelfen änderte sich. Malfurion sah durch Eranikus’ Augen, wie der Gemahl des Aspekts hinabflog. Der Drache war beinahe an seinem Ziel angekommen.
Das Auge sah anders aus, als es der Erzdruide in Erinnerung hatte. Und als Eranikus sich näherte, veränderte sich sein Erscheinungsbild. Die Gebäude wurden schroffer, waren voller Spitzen und bereit, den Drachen aufzuspießen. Dann begannen sie, untereinander die Plätze zu tauschen.
Sie können mich nicht narren!, sagte Eranikus. Versteckt sie ruhig an Tausenden solcher Orte, und ich werde sie dennoch finden! Ysera und ich sind miteinander verbunden, und diesmal wird nichts dieses Band auflösen! Ich werde sie immer finden!
Seid vorsichtig!, rief Malfurion vergeblich.
Eranikus stieß auf eines der weniger beeindruckenden Gebäude herab. Plötzlich begann es, vor ihm in die Höhe zu wachsen.
Siehst du?, sagte er triumphierend. Sie ist in dem großen Gebäude, obwohl sie sich sehr bemüht haben, es anders aussehen zu lassen...
Malfurion, der mehr auf die Dinge im Auge achtete, die nicht mit Ysera zu tun hatten, bemerkte eine Bewegung im Albtraum. Eranikus...
Lethon materialisierte über dem anderen Drachen, dann stürzte er sich auf ihn.
„Willkommen zurück, Bruder Eranikus!“, spottete er, als seine Klauen sich in Yseras Gemahl bohrten. Der korrumpierte Drache schleuderte seine dunkelgrüne Energie in Eranikus hinein.
Eranikus schrie, als sein Körper heftig pulsierte. Seine schuppige Haut wand und bewegte sich, als würde ein großer Wurm sich durch das Fleisch und die Knochen bohren und nun zur Oberfläche durchbrechen.
„Dein größter Albtraum wird wahr...“, säuselte Lethon. „Willkommen zurück...“
Malfurion versuchte, die Verbindung zu Eranikus zu halten, aber obwohl es ihm gelang, war sie schwach, sodass er nicht spüren konnte, was der Drache dachte.
Außerdem verstand Eranikus ihn auch nicht mehr. Der Erzdruide befürchtete, dass Lethon die Wahrheit sagte. Malfurion war sich Eranikus’ Angst, wieder korrumpiert zu werden, wohl bewusst.
Und tatsächlich stöhnte der Drache laut, als die verderbten Energien des Albtraums in ihn eindrangen. Obwohl er noch flog, rollte sich Eranikus zu einem Ball zusammen.
Mit einem wütenden Brüllen ließ er seine eigene Kraft auf Lethon los.
Der korrumpierte Drache war zu selbstgefällig gewesen und zuckte nun zurück. Mit einem schmerzerfüllten Brüllen stieg Lethon in einer Spirale vom Auge Yseras auf.
Ohne zu zögern wandte Eranikus seine Aufmerksamkeit wieder dem Gefängnis seiner Königin zu. Er krallte seine vier Klauen in das Gebäude.
Der Kerker schimmerte. Der grüne Drache wurde von der Verderbtheit des Albtraums angegriffen. Eranikus’ Gestalt bog sich, wurde pervertiert, als die Korrumpierung versuchte, ihn zu überwältigen. Doch er hielt stand, ließ seine eigene Macht in das Gebäude fließen.
Weil er sich schon auf so viele Dinge konzentrieren musste, konnte Malfurion nur wenig tun. Doch er gab Yseras Gemahl so viel Hilfe wie möglich. Die Ausbreitung der Verderbtheit wurde plötzlich aufgehalten.
Das Gefängnis erbebte. Der Angriff auf Eranikus endete abrupt. Der Drache stieß einen Triumphschrei aus.
Aber dann riss ihn eine mächtige Kraft von Yseras Gefängnis weg. Hell glühend und gespeist von den schrecklichen Energien des Albtraums schoss Lethon auf ihn hinab.
Malfurion versuchte, Eranikus zu helfen. Doch der Drache wies nun jede Hilfe zurück und brüllte im Kopf des Erzdruiden: Nein! Sie ist beinahe frei! Ich halte ihn auf, während du es zu Ende bringst!
Der Nachtelf stimmte ihm zu. Ysera zu befreien war viel wichtiger. Sie war die Herrin des Smaragdgrünen Traums, an ihn gebunden und mit seiner innersten Kraft vertraut. Der Albtraum brauchte sie, um seine Verbindung zum Smaragdgrünen Traum zu verstärken und so die Magie des Reiches besser manipulieren zu können.
Ysera musste um jeden Preis befreit werden. Das würde den Albtraum sicherlich schwächen und die Chancen der Verteidiger steigern.
Malfurion konnte nun den Aspekt selbst spüren, der seine geschwächte Zelle untersuchte. Eranikus hatte recht. Es gab jetzt viel mehr Hoffnung auf Erfolg.
Der Erzdruide konzentrierte sich, um sowohl aus Azeroth wie auch dem angeschlagenen Smaragdgrünen Traum so viel Kraft zu ziehen, wie er nur konnte. Er war überrascht, wie leicht diese Kräfte, besonders die aus dem Smaragdgrünen Traum, seinem Wunsch nachkamen. Dann entschied Malfurion, dass er es nicht allein schaffen konnte. Ysera musste ihm irgendwie helfen.
Während er gemeinsam mit dem Aspekt versuchte, Ysera zu befreien, spürte Malfurion, wie Eranikus’ Kampf tobte. Die beiden Drachen waren ineinander verschlungen, ihre jeweiligen Kräfte denen des anderen ebenbürtig. Anfangs schien keiner die Oberhand zu gewinnen, obwohl der Nachtelf befürchtete, dass auf kurz oder lang ihre Umgebung schließlich der korrumpierten Bestie zum Vorteil gereichen würde.
Er spürte, wie Ysera immer stärker von innen drängte. Doch sie sorgte sich nicht um sich selbst, sondern um ihre Gefährten, Malfurion und Lucan.
Rette ihn zuerst, denn er ist nicht an den Zauber des Albtraums gebunden wie ich, befahl sie Malfurion und wies auf den Menschen. Obwohl er in die goldene Kuppel hätte eintreten können, schien Lucan zu erschöpft zu sein, um seine merkwürdigen Fähigkeiten einzusetzen. Er war das geringste Problem für Malfurion, der den Kartografen nach Azeroth zu Hamuul zurückbringen konnte.
Ysera bemühte sich stärker. Die Barriere wurde schwächer. Malfurion konnte es spüren...
„Nein... noch nicht ganz.“ Lethon, der die Kräfte seines Herrn einsetzte, hätte beinahe die Bemühungen der beiden zunichte gemacht. Malfurion sah im Geist all seine Aktionen in furchterregenden Bildern. Der Erzdruide wusste, dass es Albträume waren, die von der Finsternis erzeugt wurden. Doch es war schwer, sie zu ignorieren und gleichzeitig den Angriff auf die Zelle des Aspekts fortzusetzen.
Lethon schrie plötzlich auf. Durch seine eigenen Gedanken erhaschte Malfurion die Bilder eines sehr verschreckten, desorientierten Eranikus, der seinen korrumpierten Gegenpart mit Klauen und Magie festhielt. Eranikus hatte offensichtlich einiges abbekommen, aber durch seine Entschlossenheit hatte er dennoch momentan die Oberhand errungen.