Das würde sicherlich nicht lange anhalten. Widerstrebend drosselte Malfurion seine Anstrengungen, Ysera zu befreien.
NEIN!, dröhnte Eranikus in seinem Kopf. Sie muss gerettet werden! Ich werde schon mit Lethon fertig!
Lethon bekam das offensichtlich mit, weil der verderbte Drache ob solcher Anmaßung lachte. Die Macht des Albtraums erfüllte ihn. Er war nun größer als Yseras Gemahl.
„Du bist erledigt, Eranikus! Gib dich dem Albtraum hin! Lass ihn dich umarmen! Die Mauern zwischen Azeroth und hier werden schwächer! Schon bald werden wir ungehindert über Azeroths Himmel fliegen können...
Azeroths Himmel..., wiederholte Eranikus.
Plötzlich umgab ein Leuchten Yseras Gemahl. Das Gesicht des Drachen wurde grimmig.
Zur gleichen Zeit blickte Lethon unsicher.
„Was machst du da?“, wollte er von Eranikus wissen.
Doch der Drache sagte nichts. Stattdessen spürte Malfurion, wie er andere Energien anzog. Dann durchschaute der Erzdruide plötzlich Eranikus’ Plan.
Und als die beiden titanischen Gestalten zu schwinden begannen, begriff es auch Lethon. „Das könnt ihr nicht machen! Tut es, und ihr vernichtet euch selber! Ich schwöre es! Die Instabilität wird euch mit mir nehmen!“
So sei es dann, hörte Malfurion Eranikus antworten.
Mein Gemahl!, rief Ysera... aber es war zu spät.
Der Albtraum versuchte, den Smaragdgrünen Traum und Azeroth zu vereinen. Die Macht dieses neuen Reiches wäre unüberwindbar.
Doch die Vereinigung war noch nicht vollendet... und hier, in der Nähe des Auges, dem zentralen Punkt des Smaragdgrünen Traums, erkannte Malfurion, dass die schwindenden Grenzen zwischen beiden Reichen instabil waren. Dadurch wurde der Aufenthalt im Zentrum die reinste Einladung zur völligen Vernichtung...
Eranikus weigerte sich, die korrumpierte Gestalt loszulassen. Die beiden gelangten in den Bereich der Instabilität zwischen beiden Welten.
Wie Lethon vorhergesagt und Malfurion und Ysera befürchtet hatten, zog der verzweifelte Lethon die Kraft seines Herrn in sich hinein, in dem sinnlosen Versuch, das Unausweichliche zu vermeiden.
Das Monster heulte auf, als es auseinandergerissen wurde. Die furchterregenden Kräfte, die alles waren, was von ihm übrig blieb, wurden freigesetzt.
Ein feuriger Mahlstrom brach dort aus, wo Lethon eben noch gestanden hatte. Dieser Mahlstrom verschlang Eranikus, der gar nicht erst zu fliehen versuchte.
Die entfesselten Kräfte schlugen nach überall hin aus. Malfurion spürte, wie Ysera ihn drängte, etwas zu tun, um sie zu absorbieren. Der Erzdruide war sich nicht sicher, was sie von ihm erwartete, doch er versuchte es trotzdem.
Plötzlich hatte er einen verzweifelten Plan. Er lenkte die Energien zu einem ganz besonderen Ort.
Sie trafen Yseras Gefängnis und verwandelten das Zentrum des Auges vollständig in eine Art Dampf... und befreiten schließlich Ysera.
Die Herrin des Smaragdgrünen Traums brüllte vor Erleichterung und stieg über den Überresten ihres Gefängnisses in die Lüfte auf. Eine smaragdgrüne Aura umgab sie, eine Aura, die kurzzeitig das ganze Auge erhellte.
Doch der Nebel zog sich bereits wieder um sie herum zusammen. Ysera stieß ein weiteres Brüllen aus, und die Aura verdreifachte sich. Alles, was sie berührte, erwachte plötzlich wieder zu frischem Leben und einer Schönheit, für die der Smaragdgrüne Traum bekannt war. Der Nebel zog sich augenblicklich zurück...
Und in diesem besonderen Moment verschwand der Aspekt.
Malfurion spürte sie nicht mehr innerhalb des Reiches. Ysera hatte sich nach Azeroth zurückgezogen. Sie wusste besser als jeder andere, wie die Verbindung zwischen diesen beiden Orten funktionierte, und materialisierte nahe den Druiden, die in Darnassus kämpften.
Danke... Malfurion Sturmgrimm..., sagte sie traurig. Du... und Eranikus...
Er tat, was er tun musste, antwortete der Erzdruide schnell. Und ehrte das Opfer des Drachen. Doch er wusste, dass noch weitere Opfer nötig sein würden. Aber er war auch voller Hoffnung, nun, da die Herrin des Smaragdgrünen Traums frei war. Xavius hatte keine mächtige Gefangene mehr. Mit Yseras Kraft, die sie alle leitete, würden sie...
Nein – Malfurion – ich fürchte – ich fürchte, dass nur wenig übrig ist, was ich dir anbieten kann... Meine Bemühungen, den Albtraum daran zu hindern, mich auszusaugen, waren kräftezehrender... als ich dachte...
Die Worte lähmten Malfurion, sodass er beinahe die Verbindung zu den anderen verloren hätte. Er hatte auf diese Hoffnung gebaut! Welche Macht war größer als ihre, wenn es um den Smaragdgrünen Traum und die Verderbtheit ging? Sie hatte den Albtraum nur deshalb nicht schon längst vernichtet, weil er dummerweise in Gefangenschaft geraten war. Hätte Xavius seine mäßigen Fähigkeiten nicht durch ihre Energie verstärkt, wäre all das Chaos nie passiert...
Das ist... nicht wahr, Malfurion! Ysera hatte offensichtlich Probleme, bei Bewusstsein zu bleiben. Du kennst doch die Kräfte, die hier am Werk sind und weißt, wie lange sie das schon tun!
Aber was macht das aus?, antwortete er. Wenn selbst Ihr nicht in der Lage seid es zu beenden, dann sind wir verloren!
Der Aspekt verlor beinahe das Bewusstsein. Es war alles, was sie tun konnte, um sich selbst zu schützen. Es gibt Hoffnung... Ich bin... Ich bin der Smaragdgrüne Traum... doch du... du kommst aus dem Smaragdgrünen Traum... und aus Azeroth! Darin... liegt deine Chance... Was meint Ihr...?
Der Kontakt brach ab. Der Aspekt hatte den Kampf gegen den Schlaf verloren. Die Anstrengungen waren zu viel gewesen.
Und als Yseras Gedanken schwanden, schien der Albtraumlord in Malfurions Kopf aufzulachen.
Ysera hatte das Schicksal beider Reiche in Malfurions Hände gelegt... der aber keine Vorstellung hatte, was er zu tun hatte.
28
Vor dem Baum
Broll Bärenfell mühte sich, Thura davon abzuhalten, vor ihm herzulaufen. Die Orcfrau drängte zur Eile, obwohl sie sich womöglich an einem der übelsten Orte überhaupt befanden.
Der Nachtelf war hier, weil Malfurion ihn hier brauchte. Malfurion hatte ihm nicht erklärt warum, doch Broll traute seinem Shan’do. Er hätte aber gerne gewusst, was die Orckriegerin hier tun sollte. Thura hatte keine nützliche Waffe, und ihre dickköpfige Art würde sie in die Arme des Albtraums treiben.
„Wir müssen da lang!“, zischte sie nicht zum ersten Mal. „Da lang!“
Nichts hatte sie bislang behindert, außer dem schrecklichen Nebel. Broll hielt das für kein gutes Omen. Der Albtraum schätzte sie möglicherweise nicht als große Bedrohung ein, und der Druide war sogar geneigt, ihm darin recht zu geben.
Was habt Ihr vor, Malfurion?, wollte Broll wissen. Was?
Vor ihm machte der Nebel plötzlich etwas völlig Neues und Beunruhigendes. Er zog sich zurück. Nicht vollständig, doch der entstehende Weg reichte aus, dass sie beide nebeneinander hergehen konnten.
Thura stürmte natürlich einfach weiter.
„Wartet!“, rief der Druide.
Aber sie ignorierte ihn. Stattdessen erhöhte sie das Tempo. „Da ist es!“
Broll, der sich um ihr Leben sorgte – und ihre geistige Gesundheit, sollte der Albtraum sie überwältigen – verstand zuerst nicht, was sie wollte. Dann sah er die Axt.
Die magische Axt. Kein Wunder, dass Thura sie haben wollte. Mit der Waffe konnte sie sich den Schatten und dem Albtraum entgegenstellen.
Doch der Druide bezweifelte, dass sie die Axt einfach nur aufheben mussten.
Thura griff danach... und die Axt leuchtete smaragdgrün auf.
Zur gleichen Zeit ertönte ein Wutschrei. Broll wirbelte herum, weil der Laut von überallher zu kommen schien. Zuerst fürchtete er, dass es eine neue Manifestation seiner eigenen alten Wut war. Jener rohen Wut, die er nur mit großer Mühe besiegt hatte, als er das letzte Mal im Smaragdgrünen Traum gewesen war. Doch fast augenblicklich wusste der Druide, dass die Wut eine andere, schrecklichere Quelle hatte.