Dieser Sturm besaß die gleiche dichte, symmetrische Struktur wie alle mächtigen Taifune. Nur war diesmal alles anders als bei den sonstigen Zyklonen, die auf dem Weg nach Japan zuerst Taiwan oder die Philippinen heimsuchten und dabei deutlich an Fahrt verloren, sodass Japan normalerweise höchstens eine Flutwelle drohte. Dieser Sturm dagegen hatte sich lange im Mittleren Pazifik zusammengebraut und war nirgendwo auf größere Hindernisse gestoßen.
Japans schlimmster Albtraum sollte sich bewahrheiten. Das Land begann mit den Vorbereitungen. Aber was konnte man schon tun? In wenigen Tagen würde diese entfesselte Urgewalt über das Land hereinbrechen, und man konnte unmöglich sämtliche Küstenorte mit ihren fünfzig Millionen Einwohnern evakuieren. Kurz, Japan musste sich Max an seinen Stränden und Häfen stellen.
Flutwellen von zehn Metern Höhe und mehr wurden erwartet. Millionen würden ertrinken.
Um zu verstehen, warum trotz einer Vorwarnzeit von fast einer Woche so wenig getan werden konnte, muss man sich die Struktur von Tokio vor Augen führen. Entfernt man irgendwo ein Teilchen aus dem Gefüge, führt das unweigerlich zu einer Kettenreaktion und zum Zusammenbruch des Ganzen. Diese Anfälligkeit teilt Tokio mit allen technisch und infrastrukturell hochmodernen Millionenstädten der Welt, nur ist es eben noch gigantischer, komplexer und somit verwundbarer.
Ein großer Teil Tokios besteht aus Glas, Aluminium und Beton, aber viele Häuser sind nicht so stabil gebaut. Eine erstaunliche Anzahl von Japanern lebt immer noch so, wie es früher einmal gang und gäbe war, in zierlichen, schlichten Einfamilienhäuschen aus Holz.
Der Taifun Max kam mit der gespenstischen Anmut einer Schlange. Er würde das Land angreifen, sich dann wieder in sein Nest im Pazifik zurückziehen, auf seinem Weg über ein paar Inseln herfallen und dann scheinbar ruhen… oder irgendwelchen Schiffen auflauern.
Schon während er über dem Mittleren Pazifik wütete, zerstörte er nicht weniger als neun größere und vierzehn kleinere Schiffe. Stets hatten sich die Besatzungen sicher gewähnt, als das Chaos, das in der Erdatmosphäre tobte, den Sturm unvermittelt die verrücktesten Kapriolen schlagen ließ, bis ein Schiff nach dem anderen verzweifelt funkte: »… bricht bei extremem Seegang auseinander…«
Erste Regeclass="underline" Ein Sturm dauert so lange, bis das Ungleichgewicht, das ihn ausgelöst hat, behoben ist. Solange der Taifun über warmes Wasser zieht und die Atmosphäre darüber kalt ist, bleibt er in Bewegung.
Max war in derselben Pazifikregion ausgebrochen wie der Taifun Stella, der am 26. September 1998 in Japan gewütet und 23 Menschen in den Tod gerissen hatte, obwohl er auf seinem Höhepunkt nur 105 Stundenkilometer erreicht hatte.
Für Japan sind Stürme, die aus dem Mittleren Pazifik heranziehen, besonders gefährlich, wenn sie wie Stella und Max auf halbem Weg nach Nord-Nord-West drehen. Auf diese Weise nehmen sie über dem offenen Meer an Stärke zu, zumal ihnen keine Inseln im Weg sind, bis sie mit voller Wucht gegen die Klippen von Honschu und Okinawa prallen.
Nun, normalerweise ist das Wasser in dieser Gegend dank der durch den Pazifik ziehenden Strömungen viel kälter und sorgt dafür, dass sich die Winde abschwächen. Doch diesmal waren die Pazifik-Ströme durcheinander geraten. Ursache für diese Störung war ein Problem auf der anderen Halbkugel der Erde, das noch niemand verstand. Infolgedessen unterlief dem Japanischen Institut für Meteorologie eine Fehleinschätzung von historischem Ausmaß: Es sagte voraus, dass Max sich auf seinem Weg nach Japan abschwächen würde, und gab nur eine Warnung vor Überschwemmungen heraus. Die Verantwortlichen waren zu der Auffassung gelangt, dass die Daten des Satelliten hinsichtlich der Windstärke nicht stimmen konnten.
An einem schwülen, schweißtreibenden Donnerstag schlug Max kurz nach Mittag zu. Allenthalben rechnete man mit massiven Überflutungen und hohen Sachschäden. In aller Eile hatte man Notfallbunker für eine Million Flüchtlinge errichtet.
Am ersten Tag kam es ungefähr so, wie es vorausgesagt worden war. Die Regenmenge erreichte vielerorts 300 Millimeter pro Stunde. Straßen wurden überflutet. 1000 Menschen mussten evakuiert werden, als Deiche längs des Flusses Arakawa brachen.
Das erste Anzeichen einer extremen Gefahr stellte die Meldung einer kleinen Küstenstadt in der Präfektur Shizukoa dar, dass Wellen das Rathaus zu zertrümmern drohten. Dann brach der Funkverkehr zusammen. Den Meteorologen wurde schnell klar, dass diese Wellen gut 13 Meter hoch gewesen sein mussten.
Die Satellitendaten stimmten also doch: Das war tatsächlich der schlimmste Taifun seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Dabei war der Hochsommer längst vorbei.
Und hieß es nicht, Taifune würden sich über kälterem Wasser nicht ausbreiten?
Das konnte nur eines bedeuten: Das Wasser war nicht so kalt wie angenommen, jedenfalls nicht so kühl wie vor einem Monat.
Etwas hatte die Oberflächentemperatur des westlichen Pazifiks verändert, und zwar rasend schnell.
Die Winde waren schrecklich. Sie brachen über das ganze Land herein, rissen Häuser nieder, wirbelten Autos und sogar Lastwagen durch die Luft, deckten Wolkenkratzer ab und verwandelten Glasfenster in tödliche Schrapnelle. Überall drängten sich die Menschen um Kofferradios. Bald fielen die Rundfunkstationen aus, weil ein Sendeturm nach dem anderen aus seiner Verankerung gerissen wurde und einstürzte. Auch das Fernsehen konnte nicht mehr empfangen werden, egal ob über Antenne oder Kabel. Sämtliche Satellitenschüsseln wurden landesweit von den Böen zerstört.
Am ersten Tag des Sturms brach kurz nach Mitternacht das Stromnetz zusammen.
Und erst danach erreichte der eigentliche Taifun das Festland. Aller bisheriger Schrecken war nur ein Vorspiel gewesen, der Sturm hatte sich sozusagen aufgewärmt. Wasser schoss in die Bucht von Tokio, und die Bewohner mussten entsetzt zusehen, wie ihre Straßen unter den Fluten verschwanden.
Das Tosen des Wassers, das Donnern der einstürzenden Häuser und das wütende Heulen des Windes übertönten jeden anderen Laut – eine Verständigung war nicht mehr möglich.
Tausende mussten sich vor dem steigenden Wasser in die Straßen retten, nur um von den Fluten ins Meer gerissen oder vom Wind davongeweht zu werden.
Und so ging es weiter, tagelang und ohne jede Gnade, bis der Taifun – so wie alle Stürme – sich von selbst beruhigte.
Supertaifun Max: höchste Windgeschwindigkeit: 348,8 Stundenkilometer; Todesopfer: 1288704. Der tödlichste Sturm der Geschichte – bisher.
Doch das war nur der Anfang, ein Vorgeschmack, wie Wetterleuchten. Paris, London, Berlin, Stockholm und Brüssel – alle schauten nach Tokio und stießen ein lautloses Stoßgebet aus. New York ebenso. Den Big Apple konnte etwas derart Schreckliches doch bestimmt nicht heimsuchen.
So dachte man wenigstens. Doch der Supersturm sollte erst noch kommen.
7.
Die letzte Katastrophe
Superstürme treten selten auf. Unter welchen Bedingungen sie entstehen können, werden wir später im Detail erörtern. Vorläufig soll es genügen festzustellen, dass in Versteinerungen möglicherweise das Echo einer solchen Wetterkatastrophe erhalten geblieben ist, die sich vor 7000 bis 10000 Jahren ereignet hat.