Auyuittuq bedeutet »das Land, das nie taut«, doch jetzt traf das nicht mehr zu – weder für den gleichnamigen Nationalpark noch für die gesamte Baffin Island, ja, die Arktis schlechthin. Wie Wissenschaftler schon 1998 vorausgesagt hatten, war im Vorjahr im Gebiet um den Nordpol das ewige Eis blauem Wasser gewichen.
Unvermittelt wütete über Baffin Island ein Sturm, der so plötzlich aufgekommen war, dass die Bewohner der drittgrößten Insel der Welt überhaupt keine Vorbereitungen treffen konnten. Von einer Minute auf die andere verdunkelte er den klaren Winterhimmel, und in der Baffin Bay schlugen die Wellen derart hoch, dass das Meer sich in eine brodelnde Hölle aus Gischt verwandelte, in der Wasser und Luft eins waren. Von Nanasivik bis Iqualuit tobten Windböen mit einer Geschwindigkeit von 320 Stundenkilometern über den Weiten der Insel. Riesige Schneemengen peitschten auf das Land herab, erstickten Tiere auf der Stelle, begruben Leute unter sich, die dieses Land und sein Klima so gut kannten wie ihre Westentasche, und rissen die Gebäude nieder, die dem Wind noch widerstanden hatten.
Die Temperaturen waren so tief gesunken, dass ungeschützte Hautpartien auf der Stelle abstarben. Wer zu schnell einatmete, riskierte den Tod durch Vereisung der Lunge. Karibus und Grizzlybären erfroren zuerst, bald auch Menschen. Große Lebewesen, die sich nicht in Spalten oder Ritzen verkriechen konnten, waren am verletzlichsten.
In den weiter südlich gelegenen Wetterstationen verfolgten die Meteorologen, wie der Sturm weiter wuchs, die ganze Insel verwüstete und sich dann wie ein entfesseltes Monster über den Polarkreis hinaus nach Süden wälzte. Der kanadische Wetterdienst gab Katastrophenalarm, aber der erreichte weite Gebiete schon nicht mehr, weil dort jegliche Verbindung nach außen zerstört war.
Menschen, deren Vorfahren seit 10000 Jahren in diesem kargen Land gelebt hatten, starben in Massen. Sie erfroren stehend, obwohl sie in warme Kleider gehüllt waren. Sie erfroren in Last- und Geländewagen, die in südliche Richtung krochen, bis der Schnee sie endgültig stoppte. Einige wenige starben sogar in Flugzeugen, die wie Schmetterlinge zu flattern begannen, als der Sturm sie einholte.
Sie alle starben letztlich in einem Moment, als die Natur eine Grenze überschritt, hinter der sich nichts als primitive Lebensformen wie Geflechte halten konnten.
Der Tag war zur Nacht geworden, zu einer heulenden, brüllenden, brodelnden Nacht.
Und dann organisierten sich die Serien von Superzellen, die den Sturm bedingt hatten, aufs Neue. Den Meteorologen, die auf ihre flackernden Monitore starrten, kamen sie vor wie Lebewesen, die zu etwas noch Größerem und Entsetzlicherem verschmolzen.
Den kanadischen Behörden war klar, dass der Sturm weiter nach Süden zog. Er würde ihr Land schnell erreichen, vielleicht schon in wenigen Tagen. Von Vancouver bis Calgary, von Winnipeg bis Toronto wurden die Einsatzkräfte mobilisiert. Der Befehl lautete: Notunterkünfte bereitstellen, Lebensmittelvorräte anlegen, der Bevölkerung Anweisungen erteilen.
Aber im Grunde konnte man nur eines tun, etwas, das so drastisch war, dass es das Fassungsvermögen der meisten überstieg: Überleben konnte nur, wer floh. Man musste in den Süden ziehen, und zwar sofort. Ansonsten war man tot. Das war die grausame Mathematik des Klimas und der Naturgesetze.
13.
Kritischer Zyklus
Niemand denkt gern an Umweltprobleme. Teilweise liegt das wohl daran, dass wir uns selbst die Schuld am Zustand der Welt geben. Aber ist das wirklich nötig? Unserer Meinung nach nicht – zumindest nicht ausschließlich. Im Grunde hat nichts von dem, was die Menschheit getan hat, so schädlich oder nützlich es für die Umwelt auch sein mag, etwas an dem fundamentalen Zyklus der Zerstörung geändert, der diesen Planeten beherrscht.
Wenn wir später diesen Zyklus ausführlich behandeln, werden wir eine massive Einflussnahme vorschlagen, mit der die Menschheit die Katastrophe abwenden könnte. Dieses Projekt wird allerdings so gigantisch sein, dass es vielen unmöglich erscheinen wird. Selbst wenn sich unsere Zivilisation dessen vielleicht nicht immer bewusst ist, so ist sie doch in eine Ära hineingewachsen, in der durch Technologie schier Unvorstellbares bewegt werden kann. Wir sind nicht nur in der Lage, über die Grenzen der Kontinente hinweg Projekte zu planen, sondern haben auch die Mittel, sie durchzuführen.
So wären wir heute theoretisch in der Lage, von der Mündung des Amazonas in Südamerika bis nach Marokko quer durch den Atlantik eine Wasserleitung zu bauen, die die Wüste mit Frischwasser versorgen würde. Aber was geschieht, wenn dann weniger Süßwasser ins Meer fließt und sein Salzgehalt ansteigt? Und wie wirkt sich eine blühende Wüste in Nordafrika auf das weltweite Wetter aus?
Uns stehen keine ausgereiften Umweltmodelle zur Verfügung, um solche Fragen definitiv zu beantworten, aber gerade daran haben wir dringenden Bedarf. Ein gigantischer Aquädukt würde das Leben in Nordafrika revolutionieren. Aber würde er auch das Gleichgewicht des Weltklimas stören? Solange wir keine sicheren Berechnungsmethoden haben, dürfen wir ihn nicht bauen.
Ein anderes Beispieclass="underline" Wir könnten im Weltall Spiegel einsetzen, die das Sonnenlicht sammeln und so die Dunkelheit spürbar reduzieren würden. Genau das wurde 1999 in Russland versucht. Zum Glück ist es nicht gelungen.
Gleichwohl wäre es kein übermäßig teures Unterfangen, zumal sich die strom- und kostenintensive Straßenbeleuchtung erübrigen würde. Die Frage ist nur: Wäre so etwas wirklich in unserem Interesse? Würden wir wirklich auf die Nacht verzichten wollen? Was wäre mit den Sternen? Wenn wir sie gewissermaßen ausschalten, würden zukünftige Generationen dann ganz vergessen, dass sie überhaupt existieren?
Es besteht also wenig ernsthaftes Interesse daran, den Amazonas nach Afrika zu bringen oder die Nacht zum Tag zu machen. Uns geht es in diesem Zusammenhang nur darum zu zeigen, zu welchen Leistungen wir Menschen in der Lage sind. Insofern könnten wir durchaus die fortwährenden klimatischen Umwälzungen beenden, die zwar vermutlich unsere Entstehung ermöglicht haben, jetzt aber eine tödliche Bedrohung darstellen.
Dennoch darf nicht geleugnet werden, dass die Einflussnahme auf unseren Planeten, die wir hier erörtern, enorme Umweltschäden verursachen würde, und über die muss zuallererst Klarheit bestehen. So, wie die natürlichen Abläufe und Zyklen auf dieser Erde aufeinander abgestimmt sind, dient auch der gigantische Kälte-Wärme-Austausch, wie er sich jetzt abspielt, der Verhütung einer galoppierenden globalen Erwärmung.
Oberflächlich gesehen ist unsere Lage, was die Umwelt betrifft, Besorgnis erregend, aber nicht unmittelbar dramatisch. Es gilt, was in der Ausgabe des Life-Magazins vom August 1999 festgestellt wurde: »[…] besteht bei den Klimatologen Einigkeit, dass sich die globale Erwärmung fortsetzen wird, wenn nicht der Ausstoß industrieller Abgase, insbesondere der von Kohlendioxid, die allesamt das Aufsteigen von Wärme ins All verhindern, drastisch reduziert wird.«
An späterer Stelle zitiert das Magazin Jerry Mahlman von der National Oceanic and Atmospheric Administration, der »einen Spielraum von etwa 25 Jahren« sieht, ehe wir anfangen sollten, Maßnahmen zur Einschränkung der Produktion von Kohlendioxid zu ergreifen.
Ist die Lage wirklich so stabil?
Der Zyklus, der unser gegenwärtiges Klima bedingt, ist eine wissenschaftlich nachgewiesene Realität. Was bei der letzten Umwälzung geschehen ist, lässt sich nicht nur anhand geologischer Ablagerungen belegen, es ist auch in Form von Mythen und Legenden im kollektiven Geschichtsbewusstsein der Menschheit verankert. Die momentane Phase könnte sehr wohl eine Zeit sein, in der die Mühle des Hamlet wieder verrückt spielt.