Der Nordatlantikstrom kehrt jetzt südlich von New York um und nicht mehr bei Grönland. Außerdem fließt der Golfstrom, der bisher immer milde Winter nach Europa gebracht hat, nicht mehr so weit nach Norden. Stattdessen endet er bereits vor der Bucht von Biscaya auf der Höhe von Südfrankreich und Nordspanien. England hat jetzt ein Klima wie Lappland vor dem Sturm. Im nächsten Winter wird die Frostgrenze in Amerika bis nach Zentralflorida reichen.
Die Zivilisation der nördlichen Völker, die die Menschheit jahrtausendelang geprägt hat, hat eine nie für möglich gehaltene Katastrophe erlebt. In dem einstmals produktivsten Teil der Welt liegen unter dem Eis eine Milliarde Tote begraben.
In dem, was von Amerika erhalten geblieben ist – ein schmales Gebiet zwischen dem Atlantik und dem Golf von Mexiko –, setzt der Zerfall ein. Weil es keine zentrale Regierung mehr gibt, brechen die Staaten in voneinander unabhängige Einzelgebilde auseinander.
Die westliche Zivilisation, wie wir sie kennen, existiert nicht mehr.
15.
Fernes Donnern
Bisher sind fünf Phasen identifiziert worden, in denen eine große Zahl von Gattungen ausgestorben ist. Benannt wurden sie nach der jeweiligen geologischen Epoche. Im Einzelnen sind das: die Umwälzungen des Ordovicium, die vor 439 Millionen Jahren das Verschwinden von 85 Prozent aller Gattungen mit sich brachten; es folgten die Vernichtungen in den Zeitaltern Devon, Perm und Trias und schließlich die der Kreidezeit, die das Ende der Saurier bedeuteten.
Jeder einzelne dieser Prozesse hatte seine spezifischen Merkmale, und noch ist nicht restlos geklärt, wodurch sie ausgelöst wurden. Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass meistens Kometen- oder Asteroideneinschläge die Wende zum nächsten Zeitalter einleiteten.
Das Massenaussterben im Perm, bei dem 95 Prozent aller Gattungen verschwanden, war die schlimmste dieser Katastrophen. Geologische Spuren lassen vermuten, dass es durch eine extreme globale Erwärmung ausgelöst wurde, die sich über eine längere Periode hinweg anbahnte. Wie bei den anderen Katastrophen ging dem Höhepunkt ein Absinken des Meeresspiegels voraus. Dieser Prozess fand etwa zwei Millionen Jahre davor statt und leitete eine lang andauernde Auflösung der Biosphäre ein, die zum Aussterben von immer mehr Tierarten führte.
Am Scheitelpunkt des Perm begannen die Thecodonten, Vorläufer der späteren Säugetiere, in einem verzweifelten Versuch, der Hitze zu entrinnen, sich in die Erde zu graben. Ihre Fossilien sind in der südafrikanischen Karroo-Wüste in Tunnels gefunden worden, in denen sie vor ungefähr 250 Millionen Jahren verendet waren. Das Aussterben in der Kreidezeit, dem auch die Saurier zum Opfer fielen, vernichtete ungefähr drei Viertel allen Lebens.
Wie muss man sich die Bedingungen vorstellen, die so viele Gattungen verschwinden ließen? Auf der einen Seite gibt es seit jeher die Vorstellung von einer plötzlichen Katastrophe, die quasi über Nacht eine Massenvernichtung herbeiführte. Doch tatsächlich wurde das Aussterben wohl eher durch eine Kombination aus klimatischem und geologischem Wandel bedingt, der sich schrittweise zu einer dramatischen Krise auswuchs. So scheint das Aussterben im Perm erst aufgetreten zu sein, als geologische Veränderungen die Meeresströmungen blockierten, worauf erst in den Meeren und dann in der Luft ein Stillstand eintrat. Dieser Vorgang spielte sich wahrscheinlich im Laufe von Hunderttausenden von Jahren ab. Parallel dazu starben Lebewesen in immer kürzeren Abständen aus. Diese Entwicklung erreichte schließlich ihren Höhepunkt, als die Meere sich so stark erwärmten, dass sämtliches Plankton abstarb und mit ihm das zentrale Bindeglied in der Nahrungskette verschwand.
Dass dieser Wendepunkt abrupt eintrat, belegen die vielen Fischfossilien aus dieser Zeit. Weil oft die Überreste ganzer Schwärme gefunden wurden, liegt der Schluss nahe, dass diese Tiere auch zusammen gestorben sind – in diesem Fall vermutlich an Erschöpfung, verursacht durch Überhitzung, Sauerstoff- und Nahrungsmangel.
Das endgültige Verschwinden der Saurier schließlich führten verheerende Umwälzungen herbei, die wahrscheinlich vom Einschlag eines gewaltigen außerterrestrischen Objekts in der Nähe des heutigen Yukatan in Mexiko ausgelöst wurden. Bei diesem Zusammenprall wurden Staub und riesige Schutttrümmer in die Atmosphäre geschleudert, während gleichzeitig in einem Umkreis von Tausenden Kilometern Brände ausbrachen, die den ganzen Planeten so stark mit Rauch verdunkelten, dass kein Sonnenstrahl mehr die Erdoberfläche erreichte und die Temperaturen drastisch sanken.
Unter solchen Umständen entwickelten sich vermutlich extreme Orkane, die allerdings nicht vergleichbar mit der Art von Supersturm waren, die offenbar über Nacht eine Wärmeperiode zwischen zwei Eiszeiten beenden kann.
Dieses letzte Ereignis muss jedenfalls eine derart zerstörerische Kraft entfaltet haben, dass aus einer ursprünglich langsamen, kontinuierlichen Entwicklung – wie während des Rückzugs im Perm – eine relativ abrupte Massenvernichtung wurde. Die tatsächliche Dauer dieses Vorgangs ist umstritten, aber dem Anschein nach erfolgte er in einem Zeitraum zwischen 10000 und 20000 Jahren. Seit ähnlich langer Zeit bahnt sich der Höhepunkt des Aussterbens an, von dem wir heute betroffen sind.
Was für ein Bild bietet die Welt nach einer solchen Verwüstung? Die Fossilien der Saurier gewähren uns die aufschlussreichsten Anhaltspunkte, und die sind ernüchternd. Nicht nur diese Riesen wurden restlos vernichtet, mit ihnen verschwanden auch die meisten anderen Gattungen. Im Meer entstanden verheerende Verluste gleichermaßen unter Pflanzen, Säugetieren, Reptilien und Fischen. Es war ein Aussterben, das sich nach dem auslösenden Moment noch jahrtausendelang hinzog. Selbst 1000 Jahre danach muss die Atmosphäre von Schutt, Asche und Rauch verdunkelt gewesen sein, da Vulkane auf den Einschlag aus dem All hin jäh aktiv geworden waren. Durch diese vulkanische Tätigkeit gelangte mehr Verschmutzung in die Atmosphäre, als die Menschheit mit ihren Industrieanlagen je erzeugen wird. Mehr noch, so viel Schwefeldioxid wurde frei, dass sich der Regen damit zu Schwefelsäure verband und alles zersetzte, was er berührte.
Am Ende war sämtliches Land mit gestrüppartigen Pflanzen bedeckt, und in den Ozeanen rührte sich so gut wie kein Leben mehr. Auf dem Land waren Tierpopulationen äußerst selten geworden. Die einzigen Ausnahmen bildeten Insekten und kleine Säugetierarten mit kurzem Vermehrungszyklus, die anpassungsfähig waren und fast alles fraßen, was sie schlucken konnten.
Die widrigen Umweltbedingungen hielten Hunderttausende von Jahren an, und das Leben kehrte nur sehr langsam zurück. Insgesamt dauerte es vermutlich fünf bis zehn Millionen Jahre, ehe sich die Arten wieder in einer Vielfalt zeigten wie vor der Katastrophe. Wären in einer solchen Periode Menschen auf der Welt gewesen, hätten sie wohl genauso wenig davon gewusst, dass sie in einer Phase nach einem Massenaussterben lebten, wie wir heute wahrhaben wollen, dass unsere gesamte Geschichte sich in einer Phase abspielt, die auf ein Massenaussterben zuläuft.
Das gegenwärtige Verschwinden von Arten hat unabhängig vom Menschen eingesetzt, und das übermäßige Wachstum der menschlichen Population spiegelt eher ein klimatisches Ungleichgewicht wider, das vorübergehend unsere Spezies gegenüber anderen begünstigt, die weniger intelligent und anpassungsfähig sind. Die Bevölkerungsexplosion ist Teil des sich weltweit beschleunigenden Aussterbens. Wenn sich die gegenwärtige Beschleunigungsrate nicht ändert, ist damit zu rechnen, dass am Ende dieser Periode etwa zwei Drittel aller Gattungen verschwunden sein werden. Diese Katastrophe wird demnach nicht so verheerend sein wie das Ende des Perm, aber schlimmer als die Umwälzungen des Jura.