Gleichzeitig sind parallel zum Abnehmen der Ozonschicht über der Antarktis dramatische Veränderungen an der Eismasse beobachtet worden. Bereits 1988 lösten sich riesige Eisberge von dem Larsen-Schelfeis nahe der Landspitze von Südamerika. Und das war erst der Anfang. Bis 1998 ist die Hälfte des Schelfs Stück für Stück ins Meer gerutscht, und die andere Hälfte droht ebenfalls zu schmelzen.
1994 brach ein besonders großer Teil des Larsen-Schelfeises ab, eine Scholle von 34 Kilometern Breite und 70 Kilometern Länge. »Wir haben zwar vorausgesagt, dass das Schelf in den nächsten zehn Jahren auseinander bricht«, bemerkte dazu der argentinische Glaziologe Rodolfo Del Valle, »aber jetzt ist es schon nach weniger als zwei Monaten so weit.«
Die weitere Entwicklung in der Antarktis hat Del Valles schlimmste Befürchtungen noch in den Schatten gestellt. Im Februar 1998 löste sich eine 580 Quadratkilometer große Eisscholle vom Larsen-B-Schelf. Das veranlasste Dr. Ted Scambos vom National Snow and Ice Center in Boulder, Colorado zu der Mutmaßung, dass der Verlust eines derart massiven Teils die Umgebung extrem destabilisiert. Wörtlich sagte er: »Dinge, die jahrhundertelang stabil waren, sind es nicht mehr.« Als im März 1998 eine weitere Eismasse ins Meer stürzte, schrumpfte das Larsen-B-Schelf auf ein historisches Minimum. »Das könnte der Anfang vom Ende sein«, bilanzierte Scambos.
Die Zeitschrift The British Antarctic Survey hat einen ungewöhnlichen Rückzug des antarktischen Schelfeises im Verlauf der letzten fünf Jahre festgestellt. Im Januar 1995 hatte sich das Larsen-A-Schelf nach einem Verlust von beinahe 3000 Quadratkilometern Packeis vollständig aufgelöst. Jeder Quadratmeter Eis, der schmilzt, mindert den Salzgehalt des Meerwassers, und gerade vom Salzgehalt hängt die so wichtige Zirkulation der ozeanischen Strömungen ab. Ein Abnehmen des Salzgehalts in den arktischen und antarktischen Gewässern, in die die Strömungen münden, ist besonders gefährlich.
Der Grund für diese Entwicklung könnte nicht einleuchtender sein: Beide Pole erwärmen sich, und zwar schnell. Seit 1940 ist die jährliche Durchschnittstemperatur in der Antarktis um etwa zwei Grad gestiegen, in der Arktis sogar um beinahe drei Grad.
Sollten die dickeren Schelfeise der Antarktis wie das Ross oder das Filchner-Ronne auseinander brechen, würden sie den Meereshaushalt mit Unmengen von Süßwasser belasten.
Wenn die Schelfeise an den Rändern des Kontinents weiter schmelzen und zerfallen, ist ebenfalls mit einem erhöhten Abfluss zu rechnen.
Sowohl das reale Geschehen in der Antarktis als auch die Prognosen einer globalen Erwärmung lassen vermuten, dass das irgendwann tatsächlich der Fall sein wird. Doch als unmittelbare Bedrohung betrachten es die wenigsten unter den Experten. Ob sie die Lage richtig einschätzen, wird sich erweisen. Allerdings fand sich 1985 so gut wie kein Wissenschaftler, der einen auch nur annähernd so großen Verlust von Eis voraussagte, wie wir ihn heute erleben.
In einem Beitrag für die Nature-Ausgabe vom 23. Juni 1998 befasste sich Dr. Michael Oppenheimer mit der westantarktischen Eisplatte. Darin kam er zu dem Schluss, es bestünde eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Eisplatte irgendwann abschmelzen würde. Die Folge wäre die Überflutung weiter Küstengebiete auf dem gesamten Globus. Bezeichnenderweise befänden sich gerade dort zwei Dutzend der größten Städte der Welt mit mehr als einer Milliarde Einwohnern. Nun, immerhin in einem Punkt verbreitete der Aufsatz Optimismus: Demnach gilt es als nicht sehr wahrscheinlich, dass das in den nächsten fünfhundert Jahren geschieht. Allerdings lagen Dr. Oppenheimers Prognosen noch nicht die Entwicklungen in der Polarregion zugrunde, die heute beobachtet werden.
Im Juli 1998 dann erschien in Nature ein beunruhigender Bericht über einen der Gletscher, die für die Stabilität der westantarktischen Eisplatte von zentraler Bedeutung sind. Laut Dr. E. J. Ringot vom Jet Propulsion Laboratory schrumpft der Pine Island Glacier, der in die Amundsensee mündet, seit nun bereits vier Jahren. Der Kardinalpunkt – der Punkt, ab dem sich das Eis vom Festland löst und zu treiben beginnt – ist zwischen 1992 und 1996 um über einen Kilometer zurückgewichen. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird der Gletscher am Ende auseinander brechen und sehr schnell ins Meer abfließen. Das ist höchst beunruhigend, denn dieser große Gletscher gilt in der Wissenschaft als einer der Garanten für die Stabilität der westantarktischen Eisplatte. Wenn er wegfällt, könnte hinter ihm noch sehr viel mehr Eis abschmelzen. Weil Gletscher andererseits für ihre Unberechenbarkeit berüchtigt sind, kann gegenwärtig niemand sagen, wie groß die Gefahr tatsächlich ist. Es spricht allerdings wenig dafür, dass dieser Gletscher noch fünfhundert Jahre überleben wird. Für sein baldiges Auseinanderbrechen gibt es dagegen eine Fülle von Hinweisen.
Mit entscheidend für den Erhalt unseres gegenwärtigen Klimas sind zwei Faktoren: die Stabilität des Nordatlantikstroms und die Temperatur in der oberen Atmosphäre. Je größer die Temperaturunterschiede zwischen der oberen und der unteren Atmosphäre, desto extremer das Wetter. Und, wie wir gesehen haben, sinken die Temperaturen in der oberen Atmosphäre zurzeit rapide ab, weil die Treibhausgase die Wärme mehr und mehr daran hindern, nach oben zu entweichen.
Bedingungen, die letztlich zu einem Klimawandel führen werden, bauen sich jetzt gerade überall auf.
Wenden wir uns nun dem arktischen Packeis zu, bei dem Wissenschaftler 1997 und 1998 einen in dieser Form noch nie da gewesenen Schwund beobachteten. In Sibirien begannen Gebäude einzustürzen, als der Permafrostboden auftaute und Grundsteine absackten. In Alaska starben Millionen von Bäumen ab, weil Schmelzwasser ihre Wurzeln überflutete.
Im September 1998 erklärte die National Oceanic and Atmospheric Administration, dass der vorangegangene Monat weltweit der heißeste August seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und der achte Rekordaugust in einer ununterbrochenen Folge von »heißesten Monaten« gewesen war. Dem Bericht zufolge lagen 1998 die Durchschnittstemperaturen weltweit um 0,6 Grad Celsius über den Normalwerten. In Paris meldete das Thermometer im August beinahe 40 Grad, und Neu Delhi führte die Weltstädte mit einem Spitzenwert von 46 Grad an. Überall gab es einen weit größeren Temperaturanstieg, als 1995 selbst die radikalsten Erwärmungsmodelle vorausgesagt hatten. 1998 ging als das bisher wärmste Jahr in die Geschichte ein, und 1999 bestätigte sich, dass die Temperaturen viel schneller anstiegen, als man nur wenige Jahre zuvor vermutet hatte.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass wir in eine sich verselbständigende globale Erwärmung schlittern. In einem solchen Szenario verliert die Erde schließlich die Fähigkeit, genügend Wärme abzustrahlen, und die Atmosphäre kapselt sich in einem Prozess unaufhaltsamer Erwärmung ab. Binnen weniger Jahre erreichen die Temperaturen einen Punkt, von dem an die Umwelt, wie wir sie kennen, zusammenbricht und die Erde wegen der dann radikal zunehmenden Erwärmung letztlich nicht mehr in der Lage ist, Menschen oder andere höhere Lebensformen zu ernähren. Bevor es so weit kommt, ist freilich davon auszugehen, dass das Klima sein Gleichgewicht wieder findet. Anhand von grönländischen Eishöhlen ließ sich feststellen, dass es vor der letzten plötzlichen Abkühlung schon einmal ein unvermitteltes Ansteigen der arktischen Temperaturen um über 15 Grad gegeben hat, das wahrscheinlich auf ein oder zwei Jahre beschränkt war.
Was unser Wetter bestimmt, sind die ozeanischen Strömungen, genauer gesagt, die Art und Weise, wie sie zirkulieren und Wärme über diesen Planeten verteilen. Wenn sich die großen ozeanischen Strömungen verändern, wandelt sich mit ihnen auch das Wetter. Und bei plötzlichen Veränderungen in diesen Strömungen reagiert das Klima nicht minder schnell. 1997 berichtete Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimaforschung, dass der Golfstrom durch erhöhte Süßwasserzufuhr in den Nordatlantik bereits geschwächt ist. »Die Nordatlantikströmung hat eine bestimmte Toleranzschwelle. Wird sie überschritten, kann der Zyklus abrupt zusammenbrechen.« Seinen weiteren Ausführungen ist zu entnehmen, dass dies im 22. Jahrhundert der Fall sein könnte. Doch, so warnt er, »es könnte auch viel früher geschehen«.