Aber es kam anders, ganz anders. Bis Mittag war klar, dass der Wetterbericht falsch gelegen hatte. Am äußersten Horizont braute sich ein Unwetter zusammen. Von erhöhten Stellen wie dem AMP Tower zeigte der Blick nach Süden aufgewühlte, dunkle Wolkenmassen. Die meisten Touristen hatten keine Ahnung, wie ungewöhnlich das war, aber den Einheimischen – den Aufsehern und Bademeistern auf der Aussichtsplattform – kam die Sache äußerst seltsam vor. Da stimmte etwas nicht. Es war unheimlich.
Im Meteorological Bureau änderte man die Wetterprognose. Die normale Luftströmung war binnen weniger Stunden zusammengebrochen. Die Konstellation war nun so wie im Juli – im australischen Winter. Der Sprecher des Radiosenders AXM erhielt einen neuen Wetterbericht: »… bis zum Abend kühler mit Temperaturen bis 14 Grad. Nach Sonnenuntergang aufkommender Regen und böiger Wind.«
Sydney wurde von einem Sturm überrascht, und die Temperaturen fielen rapide. Um 19.00 Uhr war es am Kingsford-Smith Airport nur noch 12 Grad warm. Eiskalter Regen peitschte durch die Straßen, die bald menschenleer waren. Verstörte Touristen, die keine warme Kleidung bei sich hatten, suchten Schutz in ihren Hotels. In Sydney kam das ansonsten so aktive Nachtleben völlig zum Erliegen. Einheimische, denen inzwischen klar war, dass etwas sehr Merkwürdiges passierte, machten sich auf den Weg nach Hause. Der Hafen war wie ausgestorben; das ganze Zentrum glich einer Geisterstadt.
Der Wind fegte durch die Träger des »Coathanger«, der berühmten Brücke am Hafen von Sydney, und kreischte beängstigend in den komplexen Vorsprüngen des Sydney Opera House – ein seltenes Geräusch, das niemand vergaß, der es einmal gehört hatte. Einige witzelten, das sei der Geist der großen australischen Diva Nellie Melba, die den Verlust ihrer Stimme betrauerte.
Die Restaurants leerten sich, als der Regen in Schneeregen überging. Um vier Minuten vor neun forderte der Sturm das erste Todesopfer: Ein indonesischer Tourist, der unerklärlicherweise auf den rutschigen Hängen des South Head (der südlichen Hafenbegrenzung) unterwegs war, wurde vom Wind davongetragen und stürzte in den tobenden Ozean.
In der Öffentlichkeit führte das Australian Meteorological Bureau das seltsame Wetter auf ein ungewöhnliches Frontensystem zurück, das sich infolge des Taifuns gebildet hatte, der auf Japan zusteuerte. Hinter den Kulissen jedoch war die gesamte meteorologische Zunft in Aufruhr, und zwar nicht nur in Australien. In der nördlichen Hemisphäre herrschte noch viel schlechteres Wetter, und die Lage verschärfte sich immer weiter. Moskau meldete starke Schneefälle, Peking ebenfalls. In der Arktis bildeten sich noch immer riesige Sturmgebiete, deren Zentrum jetzt über dem östlichen Polarmeer lag. Erst einige Wochen vorher hatte die Meldung, dass das Eis am Nordpol zum ersten Mal seit Jahrmillionen getaut war, für Schlagzeilen gesorgt.
Aber diese Ereignisse schienen weit entfernt von Südaustralien, und außerdem hatte man mit den eigenen Problemen ohnehin alle Hände voll zu tun. Aus Neuseeland kamen schlimme Nachrichten: Über der South Island tobte der schlimmste Blizzard seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Es konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sowohl für die dortige Lage als auch für das Geschehen in Victoria und New South Wales dieselben miteinander verbundenen Sturmmassen verantwortlich waren.
Das Merkwürdigste war, dass die Antarctic Automatic Weather Station, ein Netz von Wetterstationen auf dem gesamten antarktischen Kontinent, keine besonderen Vorkommnisse meldete. Die Temperaturen waren normal. In der Antarktis gab es keine ungewöhnlichen Sturmaktivitäten.
Aber Satellitenfotos konnten die Meteorologen in Sydney entnehmen, dass sich aus dem Blizzard, der in Neuseeland so große Schäden anrichtete, ein noch stärkerer Sturm bildete. Eine neue Unwetterfront mit einem noch nie zuvor beobachteten Verlauf hatte sich entwickelt. Diese Front stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten: eine gewaltige, aggressive Masse von Regen- und Schneestürmen, die sich 3000 Kilometer weit über einem Meer erstreckte, das um diese Jahreszeit hätte warm sein sollen.
Das Antarctic Meteorology Research Center (Zentrum für Wetterforschung in der Antarktis) konnte ebenso wenig eine Erklärung liefern wie die automatischen Wetterstationen und -satelliten. Doch was da passierte, war leicht zu erkennen: In der südlichen Hemisphäre war der Sommer plötzlich zum Winter geworden.
Aber warum? Warum raste auf einmal ein Wintersturm mit Spitzengeschwindigkeiten von 160 Stundenkilometern auf Australien zu? Warum war dieser Sturm noch heftiger als sein Vorgänger, der soeben abflaute wie die meisten Stürme in Australien, wenn sie gegen den Great Dividing Range gedrückt wurden, dessen Höhenzüge die Küstenregion von der Wüste im Landesinneren trennte?
Wie würden sich die Menschen zurechtfinden? Nachdem die Temperaturen eine Woche vorher noch bei 20 Grad gelegen hatten, beschwor der krasse Wetterumschwung die Gefahr einer großen Katastrophe herauf. Die Regierung forderte die Fluglinien auf, die Touristen so schnell wie möglich nach Hause zu bringen. Auf den Flughäfen des Landes herrschte ein Chaos wie zu Kriegszeiten.
Dann färbte sich der südliche Horizont schwarz, und über Nacht brach der Sturm los. Er brachte eine gewaltige Flut mit sich und überzog ganz New South Wales mit einer Eisdecke. Voll belaubte und zum Teil blühende Bäume wurden umgerissen.
Man schätzte zunächst, dass bis auf 80 Kilometer landeinwärts 20 Prozent der Bäume Schaden leiden würden. Dann korrigierte man die Schätzung auf 50 Prozent. Zuletzt, als der Eissturm immer heftiger wurde, auf 100.
Nacheinander brachen unter der Last des Eises Stromleitungen zusammen. Die gesamte regionale Energieversorgung kam zum Erliegen, und die Reparaturdienste waren durch die Wetterverhältnisse und die Vielzahl an Stromausfällen völlig überfordert.
Weite Teile der Region würden über Monate ohne Strom sein. Unterdessen fielen die Temperaturen immer weiter. In Schulen, Fabriken und anderen größeren Gebäuden, die relativ geschützt lagen, wurden provisorische Notunterkünfte eingerichtet. Die Koordination der Nothilfemaßnahmen war chaotisch, weil die Katastrophe so unerwartet gekommen war.
Der Wind heulte durch die schönen Parks von Sydney und durch einen stahlgrauen Hafen, in den schwere Wellen brandeten. Hier und da kämpfte sich ein Schiff mühsam voran, und am leeren grauen Horizont waren andere Schiffe zu sehen, die in ihrer Bedrängnis sehnsüchtig auf die Nachricht warteten, dass sie in den Hafen einlaufen konnten.
Zu diesen Schiffen gehörte auch der Supertanker Seaborne Master. Seine letzte Meldung ähnelte der der Exxon Invincible: »… hoher Seegang… wir sinken.«
Von Russland bis Frankreich, von Japan bis nach Amerika herrschte ein zunehmend hektischer E-Mail-Austausch zwischen Meteorologen und Klimatologen: »Was passiert ‘ hier eigentlich?«
Niemand erkannte, dass die Ereignisse über der Antarktis und dem Nordpolarmeer auf eine gemeinsame irdische Ursache zurückzuführen waren. Die einzig logisch scheinende Erklärung war, dass sich der Energieausstoß der Sonne verändert hatte. Die NASA wurde gebeten, diese Vermutung anhand ihrer Sonnensatelliten zu überprüfen.
Dann wechselte Taifun Max, der in einer relativ unbevölkerten Gegend des Pazifiks an Stärke gewonnen hatte, plötzlich die Richtung und raste auf Japan zu. Die Welt vergaß alle Diskussionen zwischen der NASA und dem National Severe Storms Laboratory über die Frage, ob sich die Sonne plötzlich abgekühlt hatte. Was würde geschehen, wenn ein Sturm mit Windgeschwindigkeiten von 350 Stundenkilometern über Tokio hereinbrach?