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- zu schrecklich, um sie zu beschreiben. Aber hier und da bemerkte ich recht gut aussehende Menschen ohne sichtbare Anzeichen der grausamen Krankheit. Ein kleines weißes Mädchen fiel mir auf, nicht älter als zwölf, mit blauen Augen und goldblondem Haar. Auf einer Wange jedoch war die typische Leprabeule zu sehen. Auf meine Bemerkung hin, wie traurig und fremd sie sich unter den braunhäutigen Kranken fühlen mußte, antwortete Dr. Georges: »Ach, ich denke nicht.

Es ist ein glücklicher Tag in ihrem Leben. Sie kommt aus Kauai. Ihr Vater ist ein Scheusal. Und jetzt, wo die Krankheit bei ihr zum Ausbruch gekommen ist, soll sie zu ihrer Mutter in die Kolonie fahren. Ihre Mutter wurde vor drei Jahren dorthin geschickt - ein sehr schlimmer Fall.«

»Man kann nicht immer nach dem Äußeren gehen«, erklärte Mr. McVeigh. »Dieser Mann dort, dieser große Kerl, der so blühend aussieht, als fehlte ihm nicht das geringste, von dem weiß ich zufällig, daß er ein offenes Geschwür am Fuß und am Schulterblatt hat. Und da sind noch andere - dort, sehen Sie die Hand des Mädchens, das eine Zigarette raucht. Sehen Sie ihre verkrümmten Finger. Das ist die mit Schmerzunempfindlichkeit einhergehende Krankheitsform. Sie befällt die Nerven. Man könnte ihr die Finger mit einem stumpfen Messer abschneiden oder auf einer Muskatreibe abhobeln, und sie würde überhaupt nichts dabei spüren.«

»Ja, aber die schöne Frau dort«, fuhr ich fort; »ihr kann doch unmöglich etwas fehlen. Sie sieht einfach zu wundervoll und blendend aus.«

»Ein trauriger Fall«, erwiderte Mr. McVeigh über die Schulter hinweg, da er sich bereits abgewandt hatte, um mit Kersdale den Kai hinunterzugehen.

Sie war eine schöne Frau und eine reinblütige Polynesierin. Nach meiner dürftigen Kenntnis dieser Rasse und ihrer Typen mußte ich zu dem Schluß kommen, daß sie von einem alten Häuptlingsgeschlecht abstammte. Sie konnte nicht älter als drei- oder vierundzwanzig sein. Ihre Gestalt und ihre Proportionen waren prachtvoll, und sie begann eben erst die üppigen Formen der Frauen ihrer Rasse auszubilden.

»Es war für uns alle ein Schlag«, erzählte Dr. Georges. »Sie meldete sich noch dazu freiwillig. Niemand hatte eine Ahnung. Aber irgendwie hat es sie erwischt. Wir waren alle sehr betroffen, das versichere ich Ihnen. Wir haben jedoch dafür gesorgt, daß es nicht in die Presse kommt. Niemand außer uns und ihrer Familie weiß, was aus ihr geworden ist. Ja, wenn Sie irgend jemanden in Honolulu nach ihr fragen würden, so würde er Ihnen antworten, sie sei zur Zeit wohl in Europa. Sie hat darum gebeten, daß wir nichts darüber verlauten ließen. Armes Mädchen, sie besitzt soviel Stolz.«

»Aber wer ist sie?« wollte ich wissen. »So wie Sie von ihr sprechen, muß sie zweifellos eine bekannte Persönlichkeit sein.«

»Haben Sie je von Lucy Mokunui gehört?« fragte er.

»Lucy Mokunui?« wiederholte ich, und irgendwie kam mir der Name bekannt vor. Ich schüttelte den Kopf. »Wenn mir der Name schon begegnet ist, dann muß er mir wieder entfallen sein.«

»Nie von Lucy Mokunui gehört! Der hawaiischen Nachtigall! Ach ja, verzeihen Sie. Sie sind ja ein Malahini, und man kann von Ihnen nicht erwarten, daß Sie sie kennen. Also, Lucy Mokunui war der Liebling von Honolulu - von ganz Hawaii eigentlich.«

»Sie sagen, war«, unterbrach ich ihn.

»Und das meine ich auch. Es ist vorbei mit ihr.« Er zuckte mitleidig die Achseln. »Ein Dutzend Haoles - Verzeihung, Weiße - haben irgendwann einmal ihr Herz an sie verloren. Und ich zähle dabei nicht die große Masse. Das Dutzend Männer, das ich meine, waren Haoles von Rang und Namen.

Sie hätte den Sohn des Oberrichters heiraten können, wenn sie gewollt hätte. Sie finden sie schön, nicht wahr? Aber Sie sollten sie erst singen hören. Die wundervollste eingeborene Sängerin auf ganz Hawaii. Ihre Kehle ist pures Silber und eingeschmolzener Sonnenschein. Wir beteten sie an. Sie machte ihre erste Tournee durch Amerika mit der Royal Hawaiian Band. Danach hat sie allein noch zwei Rundreisen gemacht und Konzerte gegeben.«

»Ah!« rief ich aus. »Jetzt erinnere ich mich. Ich habe sie vor zwei Jahren im Konzertsaal des Bostoner Symphonieorchesters gehört. Das ist sie also. Jetzt erkenne ich sie.«

Eine tiefe Traurigkeit lastete plötzlich auf mir. Das Leben war etwas so Nichtiges, bestenfalls. Zwei kurze Jahre nur, und dieses herrliche Geschöpf, auf dem Gipfel ihres wunderbaren Erfolges, gehörte jetzt zu der Schar der Aussätzigen, die auf ihre Deportation nach Molokai warteten. Die Verse Henleys kamen mir in den Sinn:

»Der arme alte Vagabund rechtfertigt seine armen alten Schwären. Das Leben, mein ich, ist nur Schmach und Pfuscherei.«

Mich schauderte vor meiner eigenen Zukunft. Wenn dieses furchtbare Schicksal Lucy Mokunui traf, was würde dann mein Los sein - oder das der anderen? Mir war sehr wohl bewußt, daß wir mitten im Leben vom Tod umfangen sind. Aber vom lebendigen Tod umfangen zu sein, zu sterben und doch nicht tot, eines von diesen Geschöpfen zu sein, die einst Männer, ja, und Frauen waren wie Lucy Mokunui, der Inbegriff aller Reize Polynesiens und obendrein eine Künstlerin und von der Männerwelt angebetet - ich fürchte, ich muß meine Bestürzung verraten haben, denn Doktor Georges beeilte sich, mir zu versichern, daß sie in der Kolonie alle sehr zufrieden seien.

Es war alles zu unbegreiflich, zu schrecklich. Ich konnte ihren Anblick nicht ertragen. Nicht weit entfernt, hinter einem von einem Polizisten bewachten Seil standen die Verwandten und Freunde der Leprakranken. Sie durften nicht näher herankommen. Es gab keine letzten Umarmungen, keine Abschiedsküsse. Sie konnten sich nur noch etwas zurufen -letzte Botschaften, letzte Liebesworte, letzte wiederholte Anweisungen. Und die hinter dem Seil blickten mit angestrengter, schrecklicher Unverwandtheit hinüber. Zum letzten Mal würden sie die Gesichter ihrer Lieben sehen, denn sie waren lebende Tote, die auf dem Begräbnisschiff zum Friedhof Molokai geschafft wurden.

Doktor Georges gab den Befehl, und die unglücklichen Geschöpfe kamen mühsam auf die Beine und wankten langsam unter der Last ihres Gepäcks zu dem Leichter und an Bord des Dampfers. Es war ein Leichenzug. Auf einmal fing das Wehklagen hinter dem Seil an. Es ließ einem das Blut in den Adern gerinnen, es war herzzerreißend. Nie zuvor hatte ich solches Klagen vernommen, und ich hoffe, nie wieder so etwas zu hören. Kersdale und McVeigh standen noch am anderen Ende des Piers und waren in ein ernstes Gespräch vertieft -über Politik natürlich, denn beide waren mit Herz und Seele dabei. Als Lucy Mokunui an mir vorbeiging, betrachtete ich sie verstohlen. Sie war wirklich schön. Auch nach unserem Maßstab war sie schön - eine dieser seltenen Blumen, wie sie nur einmal in vielen Generationen erblühen. Und von allen Frauen war gerade sie dazu verurteilt, nach Molokai zu gehen. Wie eine Königin schritt sie über den Leichter geradewegs an Bord und nach achtern auf das offene Deck, wo sich die Aussätzigen an der Reling drängten und jetzt ihren Lieben am Ufer zujammerten.

Die Leinen wurden losgeworfen, und die Noeau entfernte sich langsam vom Pier. Das Wehklagen wurde stärker. Welcher Kummer, welche Verzweiflung! Ich hatte gerade beschlossen, nie wieder der Abfahrt der Noeau beizuwohnen, als McVeigh und Kersdale zurückkehrten. Kersdales Augen sprühten, und seine Lippen konnten ein erfreutes Lächeln nicht ganz unterdrücken. Offenbar war ihre politische Unterredung ganz zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Das Absperrungsseil war nun gelöst worden, und die wehklagenden Verwandten drängten sich jetzt rechts und links von uns auf der Landungsbrücke.

»Das ist ihre Mutter«, flüsterte Doktor Georges und deutete auf eine alte Frau neben mir, die hin- und herschwankte und mit tränenblinden Augen auf die Reling des Dampfers starrte. Ich bemerkte, daß Lucy Mokunui ebenfalls weinte. Plötzlich hörte sie auf und blickte zu Kersdale herüber. Dann streckte sie mit dieser anbetungswürdigen, sinnlichen Geste, mit der Olga Nethersole ihr Publikum gleichsam umfängt, die Hände aus. Und mit ausgebreiteten Armen rief sie: