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Aber der kleine alte Mann fuhr nicht nach Kanton. Er kannte sein eigenes Land und die Erpressungen der Mandarine zu gut, um sich mit dem ansehnlichen Vermögen, das ihm noch geblieben war, dorthin zu wagen. Er reiste nach Makao. Nun hatte Ah Chun lange die Macht eines Königs ausgeübt und besaß auch die Autorität eines Königs. Als er in Makao an Land ging und sich in die Rezeption eines der größten europäischen Hotels begab, um sich in die Gästeliste einzutragen, klappte ihm der Portier das Buch vor der Nase zu. Chinesen wurden nicht aufgenommen. Ah Chun ließ den Direktor holen und wurde auch von ihm von oben herab abgefertigt. Er fuhr weg, kam aber zwei Stunden später wieder. Er ließ den Portier und den Direktor rufen, gab ihnen ein Monatsgehalt und entließ sie. Er hatte das Hotel gekauft und bezog dort während der vielen Monate, in denen sein prächtiger Palast am Stadtrand gebaut wurde, die schönste Suite. In der Zwischenzeit erhöhte er mit der ihm eigenen unvermeidlichen Tüchtigkeit die Einkünfte seines großen Hotels von drei auf dreißig Prozent.

Die Schwierigkeiten, vor denen Ah Chun geflüchtet war, begannen schon bald. Einige Schwiegersöhne hatten das Geld schlecht angelegt, andere brachten die Achunsche Mitgift mit einem verschwenderischen Lebensstil durch. Nachdem sie sich nicht mehr an Ah Chun wenden konnten, richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf Mama Achun und die halbe Million, und dadurch gewannen ihre Gefühle füreinander nicht gerade an Wärme. Die Rechtsanwälte wurden dick und fett bei den Bemühungen, Treuhandverträge auf ihre Hieb- und Stichfestigkeit hin abzuklopfen. Die Gerichte Hawaiis konnten sich vor Klagen, Nebenklagen und Gegenklagen kaum mehr retten. Auch die Strafkammer entging dieser Prozeßflut nicht.

Es gab wütende Zusammenstöße, bei denen harte Worte fielen und noch härtere Schläge ausgeteilt wurden. Es wurden sogar Blumentöpfe geworfen, um den Worten, die hin- und herflogen, noch mehr Gewicht zu verleihen. Und es kam wiederum zu Verleumdungsklagen, die sich durch die verschiedenen Instanzen schleppten und ganz Honolulu mit den Enthüllungen der Zeugen in Atem hielten.

In seinem Palast raucht unterdessen Ah Chun, von allen ihm teuren Köstlichkeiten des Orients umgeben, friedlich sein Pfeifchen und lauscht dem Tumult von jenseits des Ozeans. Mit jedem Postdampfer geht ein auf einer amerikanischen Schreibmaschine in fehlerlosem Englisch getippter Brief von Makao nach Honolulu, in dem Ah Chun mit goldenen Worten und Ratschlägen seine Familie ermahnt, in Eintracht und Harmonie miteinander zu leben. Was ihn selbst angeht, so hat er mit der Sache nichts mehr zu tun und ist darüber sehr froh. Er hat Frieden und Ruhe erlangt. Dann und wann kichert er und reibt sich die Hände, und seine kleinen schwarzen Schlitzäugelchen blinzeln heiter bei dem Gedanken an diese seltsame Welt. Denn von seinem ganzen Dasein und seiner Philosophie ist ihm das eine geblieben - die Überzeugung, daß dies schon eine sehr komische Welt ist.

DAS HAUS DES STOLZES

Percival Ford fragte sich, weshalb er eigentlich gekommen war. Er tanzte nicht. Er machte sich auch nicht viel aus Militärangehörigen. Aber er kannte sie alle, die dort über den breiten Lanai des Hotel Seaside dahinglitten und sich im Kreise drehten, die Offiziere in ihren frischgestärkten weißen Uniformen, die Zivilisten in Weiß und Schwarz und die Damen mit entblößten Schultern und Armen. Nach zweijährigem Aufenthalt in Honolulu sollte das Zwanzigste Regiment nun zu seinem neuen Standort in Alaska abziehen, und Percival Ford mußte als einer der wichtigen Männer auf den Inseln nun einmal mit den Offizieren und ihren Damen Umgang pflegen.

Doch zwischen Kennen und Mögen lagen Welten. Die Offiziersfrauen machten ihm ein wenig Angst. Sie waren in ihrer Art ganz anders als die Frauen, die ihm am besten gefielen - die älteren Frauen und die alten Jungfern, die bebrillten jungen Mädchen und die überaus seriösen Damen jeden Alters, denen er in Kirchen-, Bibliotheks- und Kindergartenkomitees begegnete und die ihn demütig um Geldspenden und Rat baten. Diese Frauen beherrschte er durch seinen überlegenen Geist, seinen großen Reichtum und den hohen Rang, den er in der Geschäftswelt Hawaiis einnahm. Und vor ihnen hatte er auch keinerlei Scheu. Ihr Geschlecht drängte sich bei ihnen nicht in den Vordergrund. Ja, das war es. Sie besaßen etwas anderes oder etwas mehr als die lebensbejahende grobe Sinnlichkeit. Er war da eigen; das gestand er sich selbst ein; und diese Offiziersfrauen mit ihren bloßen Schultern und nackten Armen, ihrem direkten Blick, ihrer Vitalität und herausfordernden Weiblichkeit verletzten sein Zartgefühl.

Nicht viel besser erging es ihm mit den männlichen Armeeangehörigen, die das Leben von der leichten Seite nahmen, sich durch die Welt tranken, rauchten und fluchten und nicht weniger schamlos als ihre Frauen der Derbheit des Fleisches anhingen. Er fühlte sich in ihrer Gesellschaft stets unbehaglich. Auch sie schienen sich in seiner Gegenwart nicht recht wohl zu fühlen. Und immer glaubte er, daß sie ihn heimlich auslachten oder bemitleideten oder sich eben einfach mit ihm abfanden. Zudem schienen sie durch ihre bloße Nähe das hervorzuheben, was ihm fehlte, die Aufmerksamkeit auf Eigenschaften zu lenken, die er nicht besaß, Gott sei dank nicht besaß. Pfui! Sie waren wie ihre Frauen!

Tatsächlich war Percival Ford ebensowenig ein Freund der Frauen, wie er ein Freund der Männer war. Schon der erste Blick verriet den Grund dafür. Er besaß zwar eine kräftige Konstitution, hatte noch nie nähere Bekanntschaft mit Krankheiten gemacht, nicht einmal mit leichten Unpäßlichkeiten, aber es mangelte ihm an Vitalität. Sein Organismus war negativ. Kein heiß aufwallendes Blut konnte dieses lange, schmale Gesicht, diese dünnen Lippen, diese mageren Wangen und diese kleinen, scharfen Augen genährt und geformt haben. Der sandfarbene, struppige und spärliche Haarschopf zeigte den kargen Nährboden an ebenso wie die schmale, fein modellierte Nase, die entfernt an einen Schnabel erinnerte. Sein verwässertes Blut hatte ihm viel vom Leben vorenthalten und ihm die Ausschweifung nur in einem gestattet, und das war Tugendhaftigkeit. Er rang verzweifelt um untadeliges Verhalten und grübelte darüber nach; und das Rechte zu tun war für seine Natur ebenso notwendig, wie es für den gewöhnlichen Sterblichen notwendig ist, zu lieben und geliebt zu werden.

Er saß unter den Johannisbrotbäumen zwischen dem Lanai und dem Strand. Sein Blick schweifte über die Tanzenden, dann wandte er den Kopf und starrte über die sanft rauschende Brandung hinweg aufs Meer hinaus zu dem tief unten am Horizont leuchtenden Kreuz des Südens. Die entblößten Schultern und Arme der Frauen irritierten ihn. Hätte er eine Tochter, er würde ihr so etwas nie erlauben, niemals. Aber seine Hypothese war rein abstrakter Natur. Die Überlegung wurde von keinem Phantasiebild begleitet. Vor seinem geistigen Auge entstand keine Tochter mit Armen und Schultern. Statt dessen lächelte er über die entfernte Möglichkeit einer Heirat. Er war fünfunddreißig, und da er bis jetzt die Liebe noch nicht selbst erlebt hatte, sah er sie nicht als etwas Mythisches, sondern als etwas Animalisches an. Heiraten konnte jeder. Die japanischen und chinesischen Kulis, die sich auf den Zuckerrohrplantagen und Reisfeldern plagten, heirateten auch. Sie heirateten unweigerlich bei der erstbesten Gelegenheit. Und zwar deshalb, weil sie auf einer so niederen Lebensstufe standen. Für sie gab es keine Alternative. Sie waren wie die Soldaten und ihre Frauen. Doch er war für andere, höhere Dinge bestimmt. Er unterschied sich von ihnen, ihnen allen, und war stolz darauf, so zu sein, wie er war. Er war nicht aus einer unbedeutenden Liebesbeziehung entstanden, sondern aus der hehren Auffassung von Pflicht und Hingabe an eine Sache. Sein Vater hatte nicht aus Liebe geheiratet. Liebe war eine Tollheit, die Isaac Ford nie heimgesucht hatte. Als er der Berufung folgte, den Heiden die Botschaft des Lebens zu bringen, verschwendete er keinen Gedanken an Heirat, noch hatte er das Verlangen danach. Darin glichen sie einander, sein Vater und er. Aber der Missionsrat dachte ökonomisch. Mit neuenglischer Sparsamkeit wog er das Für und Wider ab, entschied, daß verheiratete Missionare pro Kopf billiger kämen und wirksamer seien. Also ordnete der Missionsrat an, daß Isaac Ford zu heiraten habe. Darüber hinaus besorgte er ihm eine Ehefrau, eine ebenso glaubenseifrige Seele, der der Sinn nicht nach Verehelichung stand, sondern die nur danach strebte, bei den Heiden das Werk des Herrn zu verrichten. Sie sahen sich zum ersten Mal in Boston. Der Missionsrat brachte sie zusammen, arrangierte alles, und gegen Ende der Woche waren sie verheiratet und begaben sich auf die weite Reise um das Kap Hoorn.