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»Später, als er bei der Eisenbahn, Ihrer Eisenbahn, untergekommen war, hat man ihm ohne Grund gekündigt«, wandte Kennedy ein.

»Keineswegs«, wurde ihm lebhaft widersprochen. »Ich ließ ihn in mein Privatkontor kommen und unterhielt mich eine halbe Stunde mit ihm.«

»Sie entließen ihn wegen Unfähigkeit?«

»Wegen seines unmoralischen Lebenswandels, wenn Sie gestatten.«

Dr. Kennedy lachte trocken auf. »Wer, zum Teufel, hat Sie zum Richter und Geschworenen eingesetzt? Verleiht Ihnen Ihr Grundbesitz die Macht über die unsterblichen Seelen jener Menschen, die für Sie arbeiten? Ich bin immer Ihr Arzt gewesen. Muß ich deshalb morgen Ihren Ukas erwarten, daß ich entweder auf meinen Whisky mit Soda oder auf Ihre Gönnerschaft zu verzichten habe? Pah! Ford, Sie nehmen das Leben viel zu ernst. Außerdem, als Joe in diese Schmuggel affäre geraten war (er stand damals nicht in Ihren Diensten), Ihnen eine Nachricht schickte und Sie bat, die Geldstrafe für ihn zu bezahlen, da ließen Sie ihn lieber seine sechs Monate Schwerarbeit auf dem Riff ableisten. Vergessen Sie nicht, daß Sie damals Joe Garland schmählich im Stich gelassen haben. Sie ließen ihn fallen, und er fiel hart; aber ich erinnere mich noch an den Tag, als Sie an unsere Schule kamen - wir gehörten zum Internat, und Sie waren nur ein Externer - und Ihre Feuertaufe erhalten sollten. Dreimal Untertauchen im Schwimmbecken - Sie wissen, das war die übliche Dosis, die jeder neue Junge bekam. Und Sie sträubten sich. Sie sagten, Sie könnten nicht schwimmen. Sie hatten einfach Angst, schreckliche Angst.«

»Ja, ich weiß«, sagte Percival Ford langsam. »Ich hatte Angst. Und es war eine Lüge, denn ich konnte schwimmen. Und ich hatte wirklich Angst.«

»Und erinnern Sie sich noch, wer sich für Sie einsetzte? Wer für Sie log, schlimmer, als Sie selbst lügen konnten, und alles bestätigte und beschwor? Wer ins Bassin sprang und Sie nach dem ersten Untertauchen herauszog und dafür von den anderen Jungen, die inzwischen herausgefunden hatten, daß Sie doch schwimmen konnten, fast ertränkt wurde?«

»Natürlich weiß ich das«, entgegnete der andere kühl. »Aber eine edelmütige Tat als Knabe entschuldigt nicht ein lebenslanges Fehlverhalten.«

»Er hat Ihnen doch nie etwas Unrechtes getan? - Ihnen persönlich und direkt, meine ich?«

»Nein«, lautete Percival Fords Antwort. »Das ist es ja, was meine Position unangreifbar macht. Ich hege keinen persönlichen Groll gegen ihn. Er ist schlecht, das ist alles. Sein Leben ist schlecht - «

»Was anders ausgedrückt heißt, daß er bei der Frage, wie man sein Leben führen soll, nicht Ihrer Auffassung ist«, unterbrach ihn der Doktor.

»Nennen Sie es meinetwegen so. Es ist nebensächlich. Er ist ein Tagedieb - «

»Aus gutem Grund«, kam der Einwurf, »wenn man bedenkt, aus wieviel Arbeitsstellen Sie ihn vertrieben haben.«

»Er ist unmoralisch - «

»Jetzt hören Sie aber auf, Ford. Reiten Sie nicht dauernd darauf herum. Sie stammen aus einer rein neuenglischen Familie. Joe Garland ist zur Hälfte Südseeinsulaner. Ihr Blut ist dünn. Das seine ist heiß. Sie verstehen unter Leben etwas ganz anderes als er. Er lacht und singt und tanzt durchs Leben, heiter, selbstlos, wie ein Kind und als jedermanns Freund. Sie gehen durchs Leben wie eine wandelnde Gebetsmühle, sind nur der Freund der Rechtschaffenen, und die Rechtschaffenen sind jene, die mit Ihnen darin übereinstimmen, was recht ist. Aber wer weiß das schließlich schon? Sie leben als Eremit. Joe Garland lebt als liebenswürdiger Zeitgenosse. Wer hat dem Leben mehr abgewonnen? Wir werden für das Leben belohnt. Ist der Lohn zu dürftig, werfen wir die Arbeit hin. Das ist der Grund, glauben Sie mir, für jeden vernunftbedingten Selbstmord. Joe Garland würde bei dem Lohn, den Sie vom Leben erhalten, verhungern. Sehen Sie, er ist anders beschaffen. Und ebenso würden Sie verhungern bei seinem Lohn, der Singen ist und Liebe - «

»Sinnliche Begierde, wenn Sie gestatten«, unterbrach Ford ihn.

Dr. Kennedy lächelte.

»Liebe ist für Sie ein Wort mit fünf Buchstaben und eine Definition, die Sie dem Lexikon entnommen haben. Aber Liebe, wirkliche Liebe, die zärtlich, erquickend wie Tau ist und die das Herz höher schlagen läßt, kennen Sie nicht. Wenn Gott Sie und mich und Männer und Frauen erschaffen hat, glauben Sie mir, dann hat er auch die Liebe erschaffen. Aber um darauf zurückzukommen - es ist jetzt an der Zeit, daß Sie aufhören, Jagd auf Joe Garland zu machen. Es ist Ihrer unwürdig, und es ist feige. An Ihnen ist es jetzt, ihm die Hand zu reichen und ihm zu helfen.«

»Warum ausgerechnet ich und nicht Sie?« fragte der andere. »Warum helfen Sie ihm nicht?«

»Das habe ich getan. Ich helfe ihm gerade im Moment. Ich versuche, Sie dazu zu bringen, daß Sie den Vorschlag der Werbekommission, ihn ins Ausland zu schicken, nicht boykottieren. Ich habe ihm die Stellung in Hilo bei Mason und Fitch besorgt. Ich habe ihm ein halbes Dutzend Jobs verschafft, und aus jedem haben Sie ihn vertrieben. Aber lassen wir das. Vergessen Sie nur eins nicht - ein wenig Offenheit wird Ihnen nicht schaden -, es ist nicht fair, Joe Garland den Fehler eines anderen zur Last zu legen; und Sie wissen, daß Sie, Sie am allerwenigsten das Recht dazu haben. Mann, das ist doch geschmacklos. Es ist geradezu unanständig.« »Jetzt kann ich Ihnen nicht mehr folgen«, antwortete Percival Ford. »Sie schweben in den Wolken irgendeiner unverständlichen wissenschaftlichen Theorie über Vererbung und persönliche Unverantwortlichkeit. Aber wie selbst die abstruseste Theorie Joe Garland seine Missetaten abnehmen und gleichzeitig mich persönlich dafür verantwortlich machen kann - verantwortlicher als jeden anderen, einschließlich Joe Garland -, das geht über meinen Verstand.«

»Vermutlich sind es wieder die Gebote des Feingefühls oder des guten Geschmacks, die Sie daran hindern, mir zu folgen«, brauste Dr. Kennedy auf. »Es mag ja schön und gut sein, in Gesellschaft gewisse Dinge stillschweigend zu übergehen, aber Sie tun mehr, als sie schweigend zu übergehen.«

»Darf ich fragen, was ich stillschweigend übergehe?«

Dr. Kennedy wurde zornig. Eine tiefere Röte als die übliche von Whiskey mit Soda hervorgerufene überzog sein Gesicht, als er antwortete:

»Den Sohn Ihres Vaters.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Verdammt noch mal, Mann, Sie können doch von mir nicht verlangen, daß ich noch deutlicher werde. Aber schön, wenn Sie unbedingt wollen - Sie übergehen Isaac Fords Sohn Joe Garland, Ihren Bruder.«

Percival Ford rührte sich nicht, sein Gesicht zeigte einen verstörten und entsetzten Ausdruck. Kennedy sah ihn neugierig an, dann, als die Minuten sich endlos hinzogen, wurde er verlegen und bekam es mit der Angst zu tun.

»Mein Gott!« rief er schließlich, »Sie wollen mir doch nicht etwa weismachen, daß Sie nicht im Bilde waren!«

Als Antwort wurden Percival Fords Wangen allmählich aschfahl.

»Das ist ein abscheulicher Witz«, sagte er, »ein abscheulicher Witz.«

Der Doktor hatte sich wieder in der Gewalt.

»Jeder weiß es«, sagte er. »Ich dachte, Sie wüßten es auch. Andernfalls wird es höchste Zeit, daß Sie es endlich erfahren, und ich bin froh, daß sich die Gelegenheit ergeben hat, Ihnen reinen Wein einzuschenken. Joe Garland und Sie sind Brüder -Halbbrüder.«

»Das ist eine Lüge«, rief Ford. »Das ist nicht Ihr Ernst. Joe Garlands Mutter war Eliza Kunilio.« (Dr. Kennedy nickte.) »Ich kann mich noch gut an sie erinnern, mit ihrem Ententeich und ihrem Taro-Feld. Sein Vater war Joseph Garland, der sich immer am Strand herumtrieb.« (Dr. Kennedy schüttelte den Kopf.) »Er starb erst vor zwei oder drei Jahren. Er hat sich immer betrunken. Von ihm hat Joe seine Zügellosigkeit. Da haben Sie Ihre Vererbung.«