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Einen Mann sah ich, der geradewegs Kurs auf den Steuerbordpolier nahm. Sein Schädel zerschellte daran wie eine Eierschale. Mir war klar, was passieren würde, und ich kletterte auf das Kajütendach und von dort in das Großsegel. Ah Choon und einer der Amerikaner versuchten, mir zu folgen, aber ich war ihnen eine Nasenlänge voraus. Der Amerikaner wurde nach achtern mitgerissen und verschwand hinter dem Heck wie ein Stückchen Spreu im Wind. Ah Choon bekam eine Speiche des Steuerrades zu fassen und duckte sich dahinter. Doch eine stämmige Wahine (Frau) aus Raratonga -sie muß mindestens zwei Zentner gewogen haben - wurde gegen ihn gedrückt und schlang einen Arm um seinen Hals. Er packte den eingeborenen Rudergänger mit der anderen Hand -und gerade in dem Moment holte der Schoner nach Steuerbord über.

Der Strom von Körpern und Seewasser, der sich durch den Backbordgang zwischen Kajüte und Reling wälzte, änderte jäh seine Fließrichtung und ergoß sich nach Steuerbord. Weg waren sie - Wahine, Ah Choon und der Rudergänger; und ich schwöre, Ah Choon grinste mich mit philosophischer Schicksalsergebenheit an, als er über die Reling gespült wurde und versank.

Die dritte Sturzsee - die größte von den dreien - richtete nicht so viel Schaden an. Als sie kam, waren fast alle in der Takelage. Auf Deck rollten vielleicht noch ein Dutzend keuchender, halbertrunkener und halbbetäubter armer Teufel umher oder versuchten sich kriechend in Sicherheit zu bringen. Sie gingen über Bord, ebenso wie die Trümmer der beiden übriggebliebenen Boote. Die anderen Perlenhändler und ich konnten noch etwa fünfzehn Frauen und Kinder in die Kajüte bringen und hinter ihnen die Luken schließen.

Letzten Endes half es jedoch den armen Wesen auch nicht viel.

Sturm? Nach allem, was ich erlebt hatte, hätte ich es nie für möglich gehalten, daß ein Sturm so wüten konnte. Man kann es einfach nicht beschreiben. Wie kann man einen Alptraum in Worte fassen? Mit dem Sturm war es ebenso. Er riß uns die Kleider vom Leib. Und ich meine das wörtlich, wenn ich sage, er riß sie uns vom Leib. Ich verlange ja nicht, daß man mir glaubt. Ich erzähle nur, was ich sah und was ich fühlte. Es gibt Zeiten, da ich es selbst nicht für möglich halte. Ich habe es durchgemacht, und das genügt. Man konnte sich diesem Sturm nicht entgegenstemmen, ohne mit dem Leben zu bezahlen. Er war ein Ungeheuer, und das Ungeheuerlichste an ihm war, daß er immer noch an Stärke zunahm.

Man muß sich ungezählte Millionen, ja Milliarden Tonnen von Sand vorstellen, sich vorstellen, daß sich dieser Sand mit einhundertfünfzig, einhundertsechzig, einhundertneunzig oder noch mehr Stundenkilometern vorwärtsbewegt. Man muß sich überdies auch noch ausmalen, daß diese Materie zwar unsichtbar und nicht zu greifen ist, jedoch die Wucht und Dichte von Sand besitzt. Wessen Einbildungskraft dabei nicht versagt, der bekommt vielleicht eine vage Ahnung davon, was für ein Sturm das war.

Sand ist möglicherweise nicht der richtige Vergleich. Eher war es wie Schlamm, unsichtbar, ungreifbar, aber schwer wie Schlamm. Nein, es war noch schlimmer. Man denke sich jedes einzelne Luftmolekül als einen ganzen Schlammwall für sich. Dann muß man versuchen, sich den ständigen Aufprall dieser Schlammassen vorzustellen. Nein, das übersteigt mein Ausdrucksvermögen. Die Sprache mag ausreichen, um die durchschnittlichen Lebensumstände zu schildern, aber sie kann unmöglich die Bedingungen beschreiben, die bei einem derartigen Sturm herrschen. Ich wäre besser bei meiner ursprünglichen Absicht geblieben und hätte erst gar keine Schilderung versucht.

Nur so viel will ich sagen: Die See, die sich zuerst aufgebäumt hatte, wurde durch diesen Wind niedergewalzt. Mehr noch - es schien, als sei der ganze Ozean in den Schlund des Orkans gesogen und durch den Teil des Raumes hochgerissen worden, den zuvor die Luft eingenommen hatte.

Unsere Segel waren natürlich längst verschwunden. Doch Kapitän Oudouse hatte etwas auf der Petite Jeanne, das ich vorher nie auf einem Südseeschoner gesehen habe - einen Treibanker. Er bestand aus einem spitz zulaufenden Segeltuchbeutel, dessen Öffnung durch einen großen Eisenreifen aufgehalten wurde. Der Treibanker war aufgehängt etwa wie ein Papierdrache, so daß er im Wasser schwebte wie ein Drache in der Luft - nur mit einem Unterschied. Der Seeanker blieb knapp unter der Wasseroberfläche in senkrechter Stellung. Ein langes Tau verband ihn mit dem Schoner. Infolgedessen drehte die Petite Jeanne ihren Bug immer in den Wind und gegen die anrollende See.

Die Situation wäre eigentlich recht günstig gewesen, hätten wir uns nicht mitten in der Bahn des Sturmes aufgehalten. Zwar riß der Wind unsere Segel aus den Zeisingen, hievte die Marsstengen heraus und verknäulte das laufende Gut, doch würden wir noch heil davongekommen sein, wenn wir uns nicht genau vor dem herannahenden Sturmzentrum befunden hätten. Dadurch saßen wir in der Klemme. Ich war durch den ständigen Winddruck am Ende meiner Kräfte, fühlte mich wie betäubt und gelähmt und war wohl drauf und dran, aufzugeben und mit dem Leben abzuschließen, als uns das Sturmzentrum traf. Der Schlag, den wir erhielten, bestand in absoluter Windstille. Kein Lufthauch war zu spüren. Die Wirkung auf uns war gräßlich.

Man darf nicht vergessen, daß wir stundenlang unter furchtbarer Muskelanspannung gestanden hatten, um dem schrecklichen Andruck zu widerstehen. Und dann war dieser Druck plötzlich nicht mehr da. Ich weiß, daß ich das Gefühl hatte, mich unaufhaltsam aufzublähen und fast schon zu zerplatzen. Jedes einzelne Atom meines Körpers schien jedes andere Atom abzustoßen und nahe daran zu sein, sich im Weltraum zu verlieren. Doch dieser Zustand dauerte nur einen Augenblick. Dann kam der Untergang.

Nun, da der Winddruck gewichen war, bäumte sich die See auf. Sie sprang, schnellte, schoß geradewegs auf die Wolken zu. Dieser unvorstellbare Sturm, das darf man nicht vergessen, toste aus allen Himmelsrichtungen auf das Ruhezentrum zu. Die Folge war, daß die Sturzseen auch aus allen Himmelsrichtungen aufschossen. Kein Wind hielt sie in Schach. Sie tauchten plötzlich auf wie Korken, die sich vom Boden eines Wassereimers gelöst haben. Sie besaßen keinerlei System, keine Stabilität. Es waren hohle, kochende Sturzseen. Sie waren mindestens fünfundzwanzig Meter hoch. Es waren überhaupt keine Wellen. Sie glichen keiner Welle, die je ein Mensch gesehen hat.

Es waren Spritzer, monströse Spritzer - mehr nicht. Fünfundzwanzig Meter hohe Spritzer. Fünfundzwanzig! Sie waren höher als fünfundzwanzig. Sie reichten über unsere Masttopps. Es waren Fontänen, Explosionen. Sie benahmen sich wie Betrunkene. Sie entstanden, irgendwie und überall. Sie rempelten sich gegenseitig an; stießen aneinander. Sie stürmten aufeinander los und brachen übereinander zusammen und zerstoben wie tausend Wasserfälle auf einmal. Kein Mensch hätte sich je einen Ozean auch nur träumen lassen, der aussah wie dieses Orkanzentrum. Es war ein dreimal verfluchtes, heilloses Chaos. Es war Anarchie. Es war ein Hexenkessel tobenden Seewassers.

Die Petite Jeanne? Ich habe keine Ahnung. Der Heide erzählte mir später, er hätte es auch nicht richtig mitbekommen. Sie wurde buchstäblich auseinandergerissen, aufgeschlitzt, zu Brei zerstoßen, zu Kleinholz zermalmt, völlig vernichtet. Als ich wieder zu mir kam, war ich im Wasser, und obwohl ich mehr als halb ertrunken war, machte ich automatisch Schwimmbewegungen. Wie ich dorthin gekommen war, konnte ich nicht sagen. Ich entsann mich, daß ich noch sah, wie die Petite Jeanne zerlegte, aber in diesem Augenblick muß mir der Orkan auch mein eigenes Bewußtsein ausgeblasen haben. Doch da war ich nun, und es blieb mir nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen, und dieses Beste schien nicht gerade vielversprechend. Der Sturm hatte wieder eingesetzt, der Seegang war viel geringer und regelmäßiger geworden, und ich wußte, daß das Zentrum über mich hinweggezogen war. Zum Glück waren keine Haie in der Nähe. Der Orkan hatte die gefräßige Bande zerstreut, die das Todesschiff umschwärmt und sich an den Leichen gütlich getan hatte.