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Es waren gegen Mittag, als die Petite Jeanne in Stücke ging, und es mußte zwei Stunden später gewesen sein, als ich auf einen Lukendeckel stieß. Um diese Zeit regnete es in Strömen, und es war reiner Zufall, der mich und den Lukendeckel aneinander geraten ließ. Ein kurzes Stück Leine hing vom Griff herab, und ich wußte, daß ich zumindest für einen Tag gerettet war, falls die Haie nicht zurückkehrten. Drei Stunden, vielleicht auch etwas mehr, hielt ich mich an dem Deckel fest und konzentrierte mich mit geschlossenen Augen ganz auf die Aufgabe, genug Luft einzuatmen, um am Leben zu bleiben, ohne gleichzeitig soviel Wasser zu schlucken, daß ich ertrank. Dann schien es mir, als hörte ich Stimmen. Der Regen hatte aufgehört, und Wind und Wellen beruhigten sich auf wunderbare Weise. Keine sechs Meter von mir entfernt, sah ich Kapitän Oudouse und den Heiden mit einem anderen Lukendeckel. Sie kämpften um seinen Besitz - zumindest der Franzose tat es.

»Pai’en noir!« hörte ich ihn schreien und sah zur gleichen Zeit, wie er nach dem Kanaken trat.

Nun hatte Kapitän Oudouse alle seine Kleider außer seinem Schuhwerk, derben Stiefeln, verloren. Es war ein roher Tritt, denn er traf den Heiden am Mund und an der Kinnspitze und betäubte ihn halb. Ich wartete darauf, daß er zurückzahlen würde, doch er begnügte sich damit, drei Meter entfernt und folglich außer Reichweite hilflos umherzuschwimmen. Sobald ihn eine Welle näher heranwarf, trat der Franzose, der sich mit beiden Händen festhielt, nach ihm. Und bei jedem Tritt schimpfte er den Eingeborenen einen schwarzen Heiden.

»Für zwei Centimes würde ich rüberkommen und dich ertränken, du weißes Ungeheuer!« schrie ich.

Das einzige, was mich davon abhielt hinüberzuschwimmen, war meine Erschöpfung. Allein schon der Gedanke an die damit verbundene Anstrengung verursachte mir Übelkeit. So lud ich den Kanaken ein, meinen Lukendeckel mitzubenutzen. Sein Name sei Oto’o, sagte er mir; er erzählte mir auch, daß er von Bora Bora, der westlichsten der Gesellschaftsinseln, stamme. Wie ich später erfuhr, hatte er den Lukendeckel zuerst erwischt, war nach einiger Zeit auf Kapitän Oudouse gestoßen, hatte ihm angeboten, den Deckel mit ihm zu teilen und war zum Dank dafür von dem Neuankömmling heruntergestoßen worden.

Und so begegneten Oto’o und ich uns zum erstenmal. Er war kein Kämpfer. Er bestand nur aus Sanftmut und Milde, ein Wesen voller Liebe, obwohl er fast einsachtzig maß und mit Muskeln wie ein Gladiator ausgestattet war. Er war kein Kämpfer, aber er war auch kein Feigling. Er besaß das Herz eines Löwen - und in den folgenden Jahren sah ich ihn Gefahren auf sich nehmen, denen ich mich nicht im Traum ausgesetzt hätte. Ich meine damit, daß er, obwohl er kein Kämpfer war und es stets vermied, einen Streit heraufzubeschwören, dennoch niemals vor irgendwelchen Schwierigkeiten davonrannte. Und wenn Oto’o dann einmal in Aktion trat, hieß es »aufgepaßt«. Ich werde nie vergessen, wie er mit Bill King verfuhr. Es passierte auf Deutsch-Samoa. Bill King war zum Schwergewichtsmeister der amerikanischen Marine ausgerufen worden. Er war ein großer, roher Kerl, ein wahrer Gorilla, einer dieser aggressiven Schlägertypen, die ihre Fäuste zu gebrauchen wissen. Er brach den Streit vom Zaun, und er trat zweimal nach Oto’o und schlug ihn einmal, bevor Oto’o es für nötig hielt, zu kämpfen. Ich glaube, es dauerte keine vier Minuten, bis Bill King der unglückselige Besitzer von vier gebrochenen Rippen, einem gebrochenen Unterarm und einem ausgerenkten Schulterblatt war. Oto’o verstand nichts von der hohen Schule des Boxens. Er schlug einfach drauflos, und Bill King brauchte etwa drei Monate, um sich von den paar Schlägen zu erholen, die er an jenem Nachmittag am Strand von Apia einstecken mußte.

Doch ich greife dem Gang meiner Geschichte vor. Wir teilten uns den Lukendeckel. Abwechselnd lag einer flach auf dem Deckel und ruhte sich aus, während der andere sich, bis zum Hals im Wasser, nur mit den Händen festhielt. Zwei Tage und zwei Nächte trieben wir so, jeder turnusmäßig eine Weile auf dem Deckel, dann wieder im Wasser, auf dem Ozean dahin. Gegen Ende zu halluzinierte ich die meiste Zeit; und zuweilen hörte ich auch Oto’o in seiner Muttersprache stammeln und phantasieren. Unser ständiges Eintauchen bewahrte uns zwar vor dem Verdursten, dafür lieferte Meerwasser und Sonnenschein aber auch die schönste Kombination von Pökellake und Sonnenbrand, die sich denken läßt.

Am Ende rettete Oto’o mir das Leben, denn als ich zu mir kam, lag ich, durch ein paar Palmblätter vor der Sonne geschützt, sechs Meter vom Wasser entfernt am Strand. Kein anderer als Oto’o konnte mich dorthin geschleppt und die Blätter als Schattenspender aufgepflanzt haben. Er lag neben mir. Ich verlor erneut das Bewußtsein, und als ich wieder aufwachte, war kühle, sternklare Nacht, und Oto’o hielt mir eine Kokosnuß zum Trinken an die Lippen.

Wir waren die einzigen Überlebenden der Petite Jeanne. Kapitän Oudouse mußte der Erschöpfung erlegen sein, denn einige Tage später trieb sein Lukendeckel ohne ihn an. Oto’o und ich lebten eine Woche lang bei den Eingeborenen des Atolls, bevor wir von einem französischen Kreuzer aufgenommen und nach Tahiti gebracht wurden. Unterdessen hatten wir jedoch die Zeremonie des Namenstausches vollzogen. In der Südsee bindet eine derartige Zeremonie zwei Männer fester aneinander als Blutsbrüderschaft. Die Anregung war von mir ausgegangen, und Oto’o war von meinem Vorschlag mehr als angetan.

»Das ist gut«, sagte er in der Sprache der Eingeborenen. »Denn wir sind zwei Tage lang Gefährten auf den Lippen des Todes gewesen.«

»Aber der Tod kam ins Stottern«, lächelte ich.

»Es war eine gute Tat, die du getan hast, Herr«, antwortete er, »und der Tod war nicht niederträchtig genug, um sich zu Wort zu melden.«

»Warum nennst du mich >Herr<?« fragte ich und tat, als sei ich verletzt. »Wir haben unsere Namen getauscht. Für dich bin ich Oto’o. Für mich bist du Charley. Und was uns beide angeht, wirst du immer und ewig Charley, und ich werde Oto’o sein. So ist es Brauch. Und wenn wir sterben und dann irgendwo hinter den Sternen und dem Himmel weiterleben sollten, so wirst du für mich immer noch Charley und ich werde für dich Oto’o sein.«

»Ja, Herr«, entgegnete er mit leuchtenden, vor Freude glänzenden Augen.

»Da sagst du’s schon wieder!« rief ich entrüstet.

»Was spielt es für eine Rolle, was mein Mund redet?« wandte er ein. »Es sind ja nur meine Lippen. Aber denken werde ich immer Oto’o. So oft ich an mich denke, werde ich an dich denken. So oft mich Menschen beim Namen nennen, werde ich an dich denken. Und hinter dem Himmel und hinter den Sternen wirst du für immer und ewig Oto’o für mich sein. Ist es so recht, Herr?«

Ich verbarg mein Lächeln und erwiderte, das es so recht sei.

In Papeete trennten wir uns. Ich blieb an Land, um mich zu erholen, und er fuhr mit einem Kutter nach Bora Bora, seiner Heimatinsel. Sechs Wochen später war er wieder da. Das überraschte mich, denn er hatte mir von seiner Frau erzählt und gesagt, daß er zu ihr zurückkehren und die weiten Reisen aufgeben wolle.

»Wohin gehst du, Herr?« fragte er nach unseren ersten Begrüßungsworten.

Ich zuckte die Achseln. Das war eine schwierige Frage.

»Um die ganze Welt«, lautete meine Antwort - »um die ganze Welt, über alle Meere und auf alle Inseln, die es im Meer gibt.«