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»Ich will mit dir gehen«, sagte er einfach. »Meine Frau ist tot.«

Ich hatte nie einen Bruder; aber nach dem, was ich von den Brüdern anderer Leute gesehen habe, bezweifle ich, daß jemals ein Mensch einen Bruder besaß, der ihm das war, was Oto’o mir bedeutete. Er war Bruder und Vater und Mutter zugleich. Und eines weiß ich - Oto’os wegen wurde ich zu einem rechtschaffenen und besseren Menschen. Ich gab nicht viel auf die Meinung anderer Leute, aber in Oto’os Augen mußte ich anständig bleiben. Seinetwegen behielt ich eine weiße Weste. Er machte mich zu seinem Ideal, das er, wie ich fürchte, hauptsächlich nach dem Bilde seiner eigenen Liebe und Verehrung schuf; und es gab Zeiten, als ich nah am Abgrund der Hölle stand und mich hineingestürzt hätte, würde mich nicht der Gedanke an Oto’o davon abgehalten haben. Sein Stolz auf mich ging auf mich über, bis es schließlich eine der Hauptregeln meines persönlichen Ehrenkodexes wurde, nichts zu tun, was seine Achtung schmälern könnte.

Natürlich begriff ich seine Gefühle für mich nicht sofort. Er kritisierte nie, tadelte nie, aber langsam wurde mir klar, auf welchem Piedestal ich in seinen Augen stand, und langsam wuchs meine Einsicht, wie sehr ich ihn verletzen würde, wenn ich nicht mein Bestes gab.

Siebzehn Jahre lang waren wir zusammen; siebzehn Jahre lang war er an meiner Seite, wachte über meinen Schlaf, kurierte mein Fieber und meine Wunden, ja, empfing selbst Wunden im Kampf für mich. Er heuerte auf denselben Schiffen an wie ich, und zusammen überquerten wir den Pazifik von Hawaii bis zur Hafeneinfahrt von Sydney und von der Torres-Meerenge bis zu den Galapagos-Inseln. Als Sklavenhändler fuhren wir von den Neuen Hebriden und den Line-Inseln westwärts direkt durch das Louisiade-Archipel bis Neubritannien, Neu-Irland und Neuhannover. Dreimal erlitten wir Schiffbruch - bei den Gilbot-Inseln, den Santa-Cruz- und den Fidschi-Inseln. Und wir handelten, wo immer ein Dollar zu verdienen war, mit Perlen und Perlmutt, Kopra, Trepang, Karrettschildpatt und bargen gestrandete Wracks.

Es begann in Papeete, unmittelbar nach seiner Ankündigung, daß er mit mir über das ganze Meer und zu allen darin liegenden Inseln ziehen würde. In jenen Tagen gab es in Papeete einen Club, in dem sich Perlenaufkäufer, Händler und Kapitäne sowie allerlei Gesindel trafen, das in der Südsee auf Abenteuersuche war. Es wurde hoch gespielt und viel gezecht, und ich fürchte sehr, daß ich oft länger blieb, als mir gut tat oder als es sich schickte. Ganz gleich, zu welcher Uhrzeit auch immer ich den Club verließ - Oto’o wartete auf mich, um mich sicher nach Hause zu geleiten.

Anfangs lächelte ich darüber, danach schalt ich ihn aus. Schließlich sagte ich ihm geradeheraus, daß ich keine Amme brauche. Daraufhin sah ich ihn nicht mehr, wenn ich den Club verließ. Etwa eine Woche später kam ich ganz durch Zufall dahinter, daß er mich, versteckt im Schatten der Mangobäume auf der anderen Straßenseite, immer noch nach Hause begleitete. Was sollte ich tun? Ich weiß, was ich tat.

Unmerklich fing ich an, nicht mehr so lange zu bleiben. In regnerischen und stürmischen Nächten drängte sich mir mitten im ärgsten Trubel und Amüsement der Gedanke an Oto’o auf, der seine öde Wache unter tropfenden Mangobäumen hielt. Wirklich, er machte einen besseren Menschen aus mir. Dabei war er keineswegs puritanisch. Und er wußte nichts von den üblichen christlichen Moralvorstellungen. Alle Leute auf Bora Bora waren Christen, doch er war ein Heide, der einzige Ungläubige auf der Insel, ein derber Materialist, der nicht an ein Leben nach dem Tode glaubte. Er glaubte nur an Anständigkeit und Ehrlichkeit. Engstirnige Niedertracht war seiner Auffassung nach ein beinahe ebenso schlimmes Verbrechen wie mutwilliger Totschlag, und ich denke sogar, daß er vor einem Mörder mehr Achtung hatte als vor einem Mann, der üble kleine Betrügereien beging.

Was meine eigene Person betraf, so war er gegen alles, was mir schadete. Glücksspiel war in Ordnung. Er war selbst ein leidenschaftlicher Spieler. Aber langes Aufbleiben, erklärte er mir, sei schlecht für die Gesundheit. Er hatte gesehen, wie Männer, die nicht auf sich achtgaben, am Fieber starben. Er war kein Abstinenzler und sagte niemals nein zu einem tüchtigen Schluck, wenn es naß und klamm wurde bei der Bootsarbeit. Andererseits war er für Mäßigkeit beim Trinken. Er hatte viele Männer gesehen, die ihr Leben oder ihre Ehre durch Gin oder schottischen Whisky verloren hatten.

Oto’o lag mein Wohlergehen stets am Herzen. Er dachte für mich voraus, prüfte meine Pläne und interessierte sich mehr dafür, als ich es selbst tat. Anfangs war mir dieses Interesse an meinen Angelegenheiten noch nicht bewußt, und er mußte meine Absichten erraten, wie zum Beispiel in Papeete. Damals hatte ich vor, mich mit einem Landsmann bei einem Guanogeschäft zusammenzutun. Ich wußte nicht, daß er ein Spitzbube war. Auch kein anderer Weißer in Papeete wußte es. Ebensowenig Oto’o, aber als er sah, wie eng unsere Freundschaft wurde, fand er es für mich heraus, und zwar ohne daß ich ihn darum gebeten hätte. In Tahiti treiben sich am Strand eingeborene Seeleute herum, die auf allen Weltmeeren gefahren sind, und Oto’o, der bloß Verdacht geschöpft hatte, mischte sich unter sie, bis er genügend Beweise gesammelt hatte, die seine bösen Ahnungen bestätigten. Oh, er hatte einiges auf dem Kerbholz, dieser Randolph Waters. Ich konnte es gar nicht glauben, als Oto’o mir zum erstenmal davon erzählte; doch als ich mir Waters vorknöpfte, gab er ohne einen Mucks klein bei und verschwand mit dem ersten Dampfer nach Auckland.

Offen gesagt, nahm ich es Oto’o anfangs übel, daß er seine Nase in meine Angelegenheiten steckte. Aber ich wußte, daß er vollkommen selbstlos war, und bald schon mußte ich seine Klugheit und Umsicht dankbar anerkennen. Er hatte immer nur meinen Vorteil im Auge und war dabei sowohl scharfsichtig als auch weitblickend. Allmählich wurde er mein Berater, bis er schließlich von meinen Geschäften mehr verstand als ich.

Auch meine Belange lagen ihm schließlich mehr am Herzen als mir selbst. Ich besaß die großartige Unbekümmertheit der Jugend, ich zog ein romantisches Erlebnis den Dollars und ein Abenteuer einem bequemen Quartier für die Nacht vor. Deshalb war es gut, daß ich jemanden hatte, der auf mich aufpaßte. Ich weiß, daß ich ohne Oto’o heute nicht hier wäre.

Ich will nur ein Beispiel von vielen anführen. Ich besaß einige Erfahrung im Anwerben von Arbeitskräften, bevor ich als Perlenaufkäufer auf die Paumotu-Inseln ging. Oto’o und ich waren auf Samoa gestrandet - wir saßen buchstäblich auf dem Trockenen - als ich die Chance bekam, als Sklavenwerber an Bord einer Brigg zu gehen. Oto’o heuerte als Matrose an, und für das nächste halbe Dutzend Jahre trieben wir uns auf ebensovielen Schiffen in den wildesten Gegenden Melanesiens herum. Oto’o sorgte dafür, daß er stets in meinem Boot ruderte. Beim Anwerben von Arbeitern wurde der Werber gewöhnlich am Strand abgesetzt. Das Begleitboot zu meinem Schutz lag immer unter Riemen in etwa hundert Metern Entfernung vor der Küste, während das Boot des Werbers, ebenfalls unter Riemen, direkt vor dem Strand im Wasser trieb. Wenn ich mit meiner Tauschware landete und mein Steuerruder hochstellte, verließ Oto’o seinen Platz am Ruder und kam nach achtern, wo unter einem Stück Segeltuch eine schußbereite Winchesterbüchse lag. Auch die Bootsbesatzung war bewaffnet, die Snider-Gewehre steckten unter dem Dollbord hinter Segeltuchlappen. Während ich auf die wollköpfigen Kannibalen einredete und sie davon zu überzeugen versuchte, mit mir zu kommen, um sich auf den Plantagen von Queensland zu verdingen, hielt Oto’o Wache. Und oft genug warnte mich seine leise Stimme vor verdächtigen Bewegungen und drohendem Verrat. Manchmal war ein schneller Schuß aus seiner Büchse, der einen Neger umwarf, die erste Warnung, die ich erhielt. Und wenn ich zum Boot rannte, war seine Hand stets ausgestreckt, um mir beim Sprung an Bord zu helfen. Einmal, es war mit der Santa Anna, war das Boot gerade aufgelaufen, als der Ärger losging. Das Begleitboot kam uns in höchster Eile zu Hilfe, aber die Scharen von Wilden hätten uns fraglos vorher erledigt. Da sprang Oto’o mit einem Satz an Land, griff mit beiden Händen in die Tauschwaren und streute Tabak, Glasperlen, Tomahawks, Messer und Kattunstoffe nach allen Seiten aus.