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»Ich sage, du weißt doch, daß ich dir nie ein Unrecht zugefügt habe, nicht wahr?« beharrte der Sheriff.

»Du tust mir Unrecht, wenn du versuchst, mich ins Gefängnis zu stecken«, war die Antwort. »Und du tust mir Unrecht, wenn du versuchst, dir die tausend Dollar zu holen, die auf meinen Kopf ausgesetzt sind. Wenn dir dein Leben lieb ist, dann bleib, wo du bist.«

»Ich muß rüberkommen und dich holen. Es tut mir leid. Aber es ist meine Pflicht.«

»Du wirst sterben, bevor du herüberkommst.«

Der Sheriff war kein Feigling. Dennoch war er unschlüssig. Er starrte in den Abgrund zu beiden Seiten und ließ seinen Blick den messerscharfen Grat entlangwandern, den er überqueren mußte. Dann traf er seine Entscheidung.

»Koolau«, rief er.

Aber das Dickicht blieb stumm.

»Schieß nicht, Koolau. Ich komme jetzt.«

Der Sheriff drehte sich um und gab den Polizisten einige Anweisungen, dann machte er sich auf den gefährlichen Weg. Er ging langsam. Es war, als balanciere er auf einem gespannten Seil. Außer der Luft hatte er nichts, woran er sich festhalten konnte. Das Lavagestein unter seinen Füßen bröckelte ab, und auf beiden Seiten polterten die losgebrochenen Stücke in die Tiefe. Die Sonne brannte auf ihn nieder, und sein Gesicht war schweißgebadet. Immer weiter rückte er vor, bis er die Mitte erreicht hatte.

»Halt!« befahl Koolau aus dem Dickicht. »Noch einen Schritt weiter, und ich schieße.«

Der Sheriff blieb stehen und suchte schwankend das Gleichgewicht zu bewahren, als er über dem Abgrund balancierte. Sein Gesicht war zwar blaß, aber sein Blick drückte Entschlossenheit aus. Er fuhr mit der Zunge über seine trockenen Lippen, ehe er sprach:

»Koolau, du wirst mich nicht erschießen. Ich weiß, daß du es nicht tun wirst.«

Er setzte sich wieder in Bewegung. Die Kugel wirbelte ihn halb herum. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens, als er den Boden unter den Füßen verlor. Er versuchte sich zu retten, indem er sich mit seinem Körper quer über den Felsgrat warf; doch im selben Augenblick spürte er, daß sein Ende gekommen war. Im nächsten Moment war der messerscharfe Kamm verwaist. Dann folgte der Sturmangriff, fünf Polizisten liefen im Gänsemarsch mit bewundernswerter Sicherheit auf dem Grat entlang. Im gleichen Augenblick eröffneten die übrigen Männer des Trupps das Feuer auf das Dickicht. Es war Wahnsinn. Fünfmal drückte Koolau ab, so schnell, daß seine Schüsse wie ein Rattern klangen. Er wechselte seinen Standort, duckte sich tief unter den Kugeln, die durch die Büsche pfiffen, und sah hinaus. Vier Polizisten waren wie der Sheriff abgestürzt. Der fünfte lag quer über dem Kamm und lebte noch. Auf der anderen Seite standen die übrigen Polizisten und feuerten nicht mehr. Auf dem nackten Fels gab es keine Hoffnung für sie. Ehe sie hinuntergeklettert wären, hätte Koolau auch noch den letzten Mann abschießen können. Aber er tat es nicht, und nach kurzer Beratung zog einer der Überlebenden sein weißes Unterhemd aus und schwenkte es als Fahne. Von einem zweiten gefolgt, arbeitete er sich auf dem Grat bis zu seinem verwundeten Kameraden vor. Koolau rührte sich nicht, sondern sah zu, wie sie sich langsam zurückzogen und wieder zu kleinen Punkten wurden, während sie in das tiefergelegene Tal hinabstiegen.

Zwei Stunden später beobachtete Koolau von einem anderen Gebüsch aus einen Polizeitrupp, der den Aufstieg von der entgegengesetzten Seite des Tales aus versuchte. Er sah die wilden Ziegen vor den Männern fliehen, als sie immer höher kletterten, bis er schließlich an seinem eigenen Verstand zu zweifeln begann und nach Kiloliana schickte, der zu ihm ins Dickicht gekrochen kam.

»Nein, dort gibt es keinen Weg«, sagte Kiloliana.

»Und die Ziegen?« fragte Koolau.

»Sie kommen aus dem angrenzenden Tal, aber sie können nicht herüberklettern. Es gibt keinen Weg. Diese Männer sind nicht klüger als die Ziegen. Sie werden sich vielleicht zu Tode stürzen. Behalten wir sie im Auge.«

»Es sind tapfere Männer«, sagte Koolau. »Behalten wir sie im Auge.«

Seite an Seite lagen sie zwischen den Purpurwinden, während die gelben Blüten des Hau-Baumes auf sie herabrieselten, und beobachteten die winzigen Figuren, die sich bergauf quälten, bis es passierte und drei von ihnen ins Rutschen kamen, über einen Felsvorsprung schlitterten und senkrecht etwa hundertfünfzig Meter in die Tiefe stürzten.

Kiloliana kicherte.

»Jetzt werden sie uns nicht mehr belästigen«, sagte er.

»Sie haben Geschütze«, entgegnete Koolau. »Noch haben die Soldaten nicht eingegriffen.«

Am schläfrigen Nachmittag lagen die meisten Aussätzigen in tiefem Schlummer in ihren Felslöchern. Koolau, das frischgereinigte und schußbereite Gewehr auf den Knien, döste im Eingang zu seiner Höhle. Das Mädchen mit dem verkrümmten Arm lag unten im Gebüsch und bewachte den schmalen Paß. Plötzlich gab es eine Detonation am Strand; Koolau schreckte auf und war hellwach. Im nächsten Augenblick zerfetzte es die Luft auf unfaßbare Weise. Das furchtbare Geräusch machte ihm Angst. Es war, als hätten alle Götter das Himmelszelt mit ihren Händen gepackt und rissen es entzwei, so wie eine Frau ein Stück Baumwollstoff auseinandertrennt. Doch es war ein so ungeheures Reißen, und es kam rasch näher. Koolau sah besorgt nach oben, als erwarte er, etwas zu sehen. Da explodierte die Granate in der Felswand über ihnen in einer schwarzen Rauchfontäne. Gestein wurde abgesprengt, und die Felsbrocken stürzten bis zum Fuß des Kliffs hinunter.

Koolau wischte sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn. Er war furchtbar mitgenommen. Noch nie hatte er Granatfeuer erlebt, und dies war schrecklicher als alles, was er sich vorgestellt hatte.

»Eins«, sagte Kapahei, dem es plötzlich einfiel, mitzuzählen.

Eine zweite und eine dritte Granate flogen heulend über die Felswand hinweg und explodierten außer Sichtweite. Kapahei zählte systematisch mit. Die Aussätzigen versammelten sich auf dem freien Platz vor ihren Höhlen. Anfangs waren sie sehr verängstigt, als aber die Granaten immer wieder über ihre Köpfe hinwegflogen, beruhigten sie sich und begannen das Schauspiel zu bewundern. Die beiden Idioten kreischten vor Vergnügen und führten bei jeder Granate, die über ihnen die Luft zerschnitt, groteske Tänze auf. Koolau wurde langsam wieder zuversichtlicher. Es war noch keinerlei Schaden angerichtet worden. Offenbar konnten sie so große Geschosse auf solche Entfernung nicht mit der Genauigkeit eines Gewehrschusses ins Ziel bringen.

Doch dann änderte sich die Situation. Die Granaten fielen kürzer. Eine explodierte unten in dem Dickicht bei dem schmalen Paß. Koolau erinnerte sich an das Mädchen, das dort auf Wache lag und rannte hinunter, um nachzusehen. Der Rauch stieg noch aus den Büschen auf, als er hineinkroch. Er war verblüfft. Die Zweige waren geborsten und abgebrochen.

Wo das Mädchen gelegen hatte, war jetzt ein Loch im Boden. Das Mädchen selbst war zerfetzt worden. Die Granate war direkt über ihr explodiert.

Nachdem Koolau zuerst hinuntergespäht und sich vergewissert hatte, daß sich keine Soldaten über den Paß wagten, rannte er zu den Höhlen zurück. Während der ganzen Zeit rauschten, winselten, heulten die Granaten vorbei, und das Tal dröhnte und hallte von den Detonationen wider. Als er in die Nähe der Höhlen kam, sah er die beiden Idioten, die herumtollten und sich dabei mit ihren Fingerstümpfen bei der Hand hielten. Noch während Koolau lief, sah er eine schwarze Rauchsäule dicht neben den Schwachsinnigen vom Boden aufsteigen. Sie wurden durch die Explosion auseinandergeschleudert. Der eine blieb reglos liegen, doch der andere schleppte sich auf seinen Händen zur Höhle. Seine Beine schleiften nutzlos nach, und das Blut strömte aus seinem Körper. Er schien in Blut gebadet zu sein und winselte wie ein junger Hund, als er weiterkroch. Die übrigen Aussätzigen waren mit Ausnahme Kapaheis in die Höhlen geflüchtet.

»Siebzehn«, sagte Kapahei. »Achtzehn«, fügte er hinzu... Diese letzte Granate war genau in eine der Höhlen eingedrungen. Die Explosion hatte zur Folge, daß sich alle Höhlen wieder leerten. Doch aus dieser einen kam niemand mehr heraus. Koolau kroch durch den beißenden, stechenden Qualm hinein. Drinnen lagen vier fürchterlich verstümmelte Leichen. Eine von ihnen war die blinde Frau, deren endlose Tränen erst jetzt versiegt waren.