Trinken Sie ein Gläschen, Kapitän. Ihr Gesicht kenne ich nicht. Sind Sie neu hier auf den Inseln?«
»Es ist Kapitän Robinson von der Roberta«, stellte Grief vor.
Inzwischen hatten sich Mulhall und Peter Gee per Handschlag begrüßt.
»Ich hätte mir nie im Leben träumen lassen, daß es so viele Perlen auf der Welt gibt«, sagte Mulhall.
»So viele habe ich auch noch nie auf einem Haufen gesehen«, gab Peter Gee zu.
»Was könnten sie wohl wert sein?«
»Fünfzig- oder sechzigtausend Pfund - das heißt für uns Händler. In Paris.« Er zuckte die Schultern und zog die Brauen hoch, weil der Erlös dort jede Vorstellung überstieg. Mulhall wischte sich den Schweiß aus den Augen. Alle waren völlig durchgeschwitzt und japsten nach Luft. Die Getränke wurden ohne Eis serviert, und so kippte man den Whiskey und Absinth lauwarm hinunter.
»Ja, ja«, kicherte Parlay. »Viele Tote liegen hier auf dem Tisch. Ich kenne jede einzelne Perle. Sehen Sie diese drei! Passen farblich genau zusammen, nicht wahr? Ein Taucher von den Osterinseln holte sie für mich in einer Woche herauf. In der nächsten Woche holte ihn der Hai; riß ihm den Arm ab, und eine Blutvergiftung besorgte den Rest. Und diese große barocke dort - nichts Besonderes -, wenn ich morgen zwanzig Francs dafür bekomme, kann ich von Glück reden; sie kam aus zweiundzwanzig Faden Tiefe. Der Mann stammte von Raratonga. Er brach alle Tauchrekorde. Er holte sie aus zweiundzwanzig Faden Tiefe herauf. Ich habe ihn gesehen. Und dabei platzte ihm die Lunge, oder er bekam die Taucherkrankheit, denn zwei Stunden später war er tot. Als er starb, war sein Schreien meilenweit zu hören. Er war der stärkste Eingeborene, den ich je gesehen habe. Ein halbes Dutzend von meinen Tauchern ist so zugrunde gegangen. Und es werden noch mehr sterben, noch viel mehr.«
»Ach, hören Sie auf zu unken, Parlay«, schimpfte einer der Kapitäne. »Es wird schon keinen Sturm geben.«
»Wenn ich ein kräftiger Mann wäre, würde ich machen, daß ich so schnell wie möglich von hier fortkäme«, erwiderte der Alte mit seiner hohen Greisenstimme. »Wenn ich ein kräftiger Mann wäre, dem der Wein noch schmeckt. Aber ihr doch nicht! Ihr werdet alle bleiben. Wenn ich dächte, daß ihr auslaufen würdet, riete ich euch nicht dazu. Man kann einen Bussard nicht vom Aas wegscheuchen. Trinkt noch einen Schluck, ihr mutigen Seeleute! Ja, ja, was wagt ein Mann nicht alles für ein paar kleine Austerntropfen! Dort liegen sie, die Prachtexemplare! Morgen, um Punkt zehn, beginnt die Auktion! Der alte Parlay hält Ausverkauf, und die Bussarde versammeln sich - der alte Parlay, der zu seiner Zeit ein stärkerer Mann war als jeder hier, wird noch die meisten von euch sterben sehen.«
»Ist er nicht ein gräßliches altes Scheusal!« flüsterte der Frachtaufseher der Malahini Peter Gee zu.
»Und wenn es nun tatsächlich Sturm gibt?« meinte der Kapitän der Dolly. »Hikihoho ist noch nie überschwemmt worden.«
»Um so mehr Grund zu befürchten, daß es beim nächsten Mal geschieht«, erwiderte Kapitän Warfield. »Ich würde da nicht so sicher sein.«
»Wer unkt jetzt?« wies Grief ihn zurecht.
»Ich möchte nur höchst ungern diesen neuen Motor verlieren, bevor er sich bezahlt gemacht hat«, entgegnete Kapitän Warfield düster.
Parlay hüpfte mit erstaunlicher Gewandtheit quer durch den überfüllten Raum zu dem Barometer an der Wand.
»Seht nur, meine wackeren Seeleute!« frohlockte er.
Der am nächsten Stehende las das Wetterglas ab. Die ernüchternde Wirkung stand ihm im Gesicht geschrieben.
»Es ist um zehn Strich gefallen«, war alles, was er sagte, aber in den Mienen spiegelte sich Angst, und es sah so aus, als wolle jeder sofort zur Tür eilen.
»Hören Sie!« befahl Parlay.
In der Stille schien die Brandung ungewöhnlich laut zu tosen. Es klang wie mächtiger, polternder Donner.
»Die See fängt an hochzugehen«, sagte jemand, und alle drängten sich an die Fenster.
Durch die Lücken zwischen den Kokospalmen blickten sie aufs Meer. Eine nach der anderen rollten riesige, glatte Wogen auf den Korallenstrand. Einige Minuten starrten sie auf das seltsame Schauspiel, das sich ihnen bot, und sprachen mit gedämpfter Stimme; und in diesen wenigen Minuten erkannten alle deutlich, daß die Wellenberge immer höher wurden. Dieses Anschwellen der See bei völliger Windstille war unheimlich, und die Anwesenden sprachen unwillkürlich leiser. Der alte Parlay brachte sie mit seinem plötzlich einsetzenden Gekicher völlig aus der Fassung.
»Jetzt ist es noch Zeit auszulaufen, meine Herrschaften. Sie können die Schiffe noch mit den Walbooten aus der Lagune schleppen.«
»Ist schon gut, Alter«, sagte Darling, der Steuermann von der Cactus, ein kräftiger Bursche von fünfundzwanzig Jahren. »Das Sturmzentrum liegt im Süden und zieht an uns vorbei. Wir werden nicht mal ‘nen Hauch davon abbekommen.«
Ein Aufatmen ging durch den Raum. Man nahm die Unterhaltung wieder auf, und die Stimmen wurden lauter. Ein paar von den Händlern gingen sogar an den Tisch zurück, um die Prüfung der Perlen fortzusetzen.
Parlays schrilles Gekicher steigerte sich.
»Recht so«, ermunterte er sie. »Und selbst wenn die Welt unterginge, würdet ihr noch weitermachen.«
»Morgen werden die Perlen jedenfalls ihren Besitzer wechseln«, versicherte ihm Isaacs.
»Dann werdet ihr den Kauf schon in der Hölle tätigen müssen.«
Das ungläubige Gelächter brachte den alten Mann auf. Wütend wandte er sich an Darling.
»Seit wann wissen Kinder wie Sie über Stürme Bescheid? Und wer hat die Zugstraße der Orkane in den Paumotus jemals bestimmt? In welchen Büchern ist das zu finden? Ich bin schon in den Paumotus gesegelt, ehe der Älteste von euch überhaupt geboren war. Ich kenne mich aus. Im Osten bewegen sich die Orkane in einem so weiten Bogen, daß er fast eine gerade Linie bildet. Hier, nach Westen zu, biegen sie scharf ab. Erinnern Sie sich an Ihre Seekarte. Wie kam es, daß der Wirbelsturm im Jahre ‘91 Auri und Hiolau überschwemmte? Die Bahnänderung, mein guter Junge, die Bahnänderung! In einer Stunde oder spätestens in zwei, drei Stunden haben wir den Wind. Hören Sie!«
Ein gewaltiges, polterndes Krachen erschütterte das Korallenfundament des Atolls. Das Haus erzitterte. Die eingeborenen Diener drängten sich, die Whiskey- und Absinthflaschen in den Händen, zusammen, als suchten sie Schutz, und starrten angstvoll durch die Fenster auf die mächtige Brandung, die weit den Strand herauf bis zur Ecke eines Kopraschuppens vorgedrungen war.
Parlay sah nach dem Barometer, kicherte und warf einen tückischen Seitenblick auf seine Gäste. Kapitän Warfield kam herüber und trat zu ihm.
»29,75.«
»Es ist noch einmal um fünf Strich heruntergegangen. Bei Gott, der alte Teufel hat recht. Der Orkan wird gleich losbrechen, und für mich gibt es nur eins, ich will an Bord.«
»Es wird dunkel.« Isaacs flüsterte beinahe.
»Himmel! Es ist wie auf der Bühne«, sagte Mulhall zu Grief und sah auf seine Uhr. »Zehn Uhr morgens, und es dämmert. Die Lichter gehen aus, die Tragödie kann beginnen. Wo bleibt die getragene Musik!«
Als Antwort darauf wurden Atoll und Haus von einem zweiten polternden Krachen erschüttert. Panikartig stürzte die ganze Gesellschaft zur Tür. In dem schwachen Licht wirkten die schweißgebadeten Gesichter gespenstisch. Isaacs rang in der erstickenden Hitze keuchend nach Luft.