»Du, die du seit deiner Geburt nur von Dienern umgeben warst!« sagte Martha mitleidig. »Auf Kilohana war immer ein ganzes Regiment davon!«
»Ach, aber das Schlimmste war diese armselige, nackte, bedrückende Knausrigkeit!« rief Bella aus. »Wie sehr mußte ich ein Pfund Kaffee strecken! Ein Besen mußte völlig abgenützt sein, bevor ein neuer angeschafft wurde! Und dieses Rindfleisch! Luftgetrocknetes und gepökeltes Rindfleisch, morgens, mittags und abends! Und Haferbrei! Seither habe ich nie mehr Haferbrei oder ähnliches gegessen.«
Sie stand plötzlich auf, entfernte sich einige Schritte und starrte einen Moment lang mit leerem Blick auf das farbenprächtige Riff, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Dann kehrte sie zu ihrem Sitzplatz zurück, aufrecht und den edlen Kopf erhoben, in der wundervollen, sicheren und anmutigen Haltung, die der Hawaiianerin auch die Vermischung mit anderen Rassen nicht zu rauben vermag. Sehr haole wirkte Bella Castner, hellhäutig und zartgliedrig. Und doch, als sie jetzt - hocherhobenen Hauptes, die länglichen braunen Augen mit den ebenmäßigen Lidern von königlichen Brauenbogen überwölbt und mit den sanftgeschwungenen Linien ihres kleinen Mundes, der noch heute, mit achtundsechzig Jahren von der Süße seiner Küsse kündete - angeschritten kam, verkörperte sie in allem das Abbild einer Königin des alten Hawaii, das trotz des vielen Haole-Blutes durchbrach. Sie war größer als ihre Schwester Martha und, womöglich, sogar noch stattlicher.
»Wir waren für unser karges Essen berüchtigt, weißt du!« Bella lachte auf. »Es waren viele Meilen von Nahala bis zur nächsten Behausung. Reisende, die sich verspätet hatten oder vom Sturm überrascht wurden, übernachteten gelegentlich bei uns. Und du weißt, welche Verschwendung damals auf den großen Ranches getrieben wurde und noch immer wird. Wir wurden zur Zielscheibe des Gespöttes! >Was kümmert uns das!< pflegte George zu sagen. >Sie leben heute und jetzt. In zwanzig Jahren sind wir an der Reihe, Bella. Sie werden immer noch da sein, wo sie jetzt sind, und sie werden uns aus der Hand fressen. Wir werden sie durchfüttern müssen, weil sie es dann selbst nicht mehr können, und wir werden sie gut ernähren; denn wir werden reich sein, Bella, so reich, daß ich Angst habe, es dir zu verraten. Aber ich weiß, was ich weiß, und du mußt mir vertrauen.<
George hatte recht. Zwanzig Jahre später hatte ich ein Einkommen von tausend Dollar monatlich, wenn er es auch nicht mehr erleben durfte. Du meine Güte! Ich weiß gar nicht, wie hoch es heute ist. Aber ich war erst neunzehn, und ich sagte immer zu George: Jetzt! Jetzt! Wir leben jetzt. In zwanzig Jahren sind wir vielleicht gar nicht mehr da. Und ich möchte einen neuen Besen. Und es gibt einen drittklassigen Kaffee, der nur zwei Cent das Pfund mehr kostet als dieses furchtbare Zeug, das wir jetzt trinken. Warum kann ich nicht jetzt Eier in Butter braten? Ich hätte so gern ein neues Tischtuch. Unsere Bettwäsche! Ich schäme mich, einen Gast zwischen diesen Laken übernachten zu lassen, wenn auch, weiß Gott, selten genug einer zu kommen wagt.<
>Hab nur Geduld<, pflegte er zu antworten. >Bald, in wenigen Jahren nur, werden diejenigen, die es jetzt verschmähen, an unserem Tisch zu sitzen oder in unseren Betten zu schlafen, stolz auf eine Einladung sein - soweit sie nicht gestorben sind. Erinnerst du dich, wie es Stevens letztes Jahr ergangen ist - er führte ein leichtes und freies Leben, war jedermanns Freund, nur sein eigener nicht. Die Leute auf Kohala mußten für sein Begräbnis aufkommen, denn er hinterließ nichts als Schulden. Achte einmal auf die anderen, die dasselbe Leben führen. Da ist dein Bruder Hal. Wenn er so weitermacht, lebt er keine fünf Jahre mehr, und seinen Onkeln bricht er schon jetzt das Herz. Oder Prinz Lilolilo. Stürmt an mir vorbei mit einem halben Hundert berittener, gutgebauter, lärmender Kanaken in seinem Gefolge, die besser daran täten, tüchtig zu arbeiten und an ihre Zukunft zu denken, denn er wird nie König von Hawaii werden. Er wird es nicht erleben.<
George hatte recht. Bruder Hal starb. Prinz Lilolilo ebenfalls. Aber ganz recht hatte George doch nicht. Er, der nie trank und rauchte, der keine Energie für eine Umarmung verschwendete, seine Lippen nur zu den flüchtigsten Küssen benutzte, der ausnahmslos vor dem ersten Hahnenschrei auf war und schlief, ehe die Petroleumlampe auch nur ein Zehntel heruntergebrannt war, und der nie ans Sterben gedacht hatte, war noch früher tot als Bruder Hal und Prinz Lilolilo.
>Hab Geduld, Bella<, pflegte Onkel Robert zu mir zu sagen. >George Castner ist der kommende Mann. Ich habe gut für dich gewählt. Deine Mühsal jetzt ist nur der beschwerliche, steinige Weg ins gelobte Land. Nicht immer werden die Hawaiianer in Hawaii herrschen. Ebenso wie sie ihren Reichtum aus der Hand gleiten lassen, so wird ihnen auch die Herrschaft entgleiten. Politische Macht und Landbesitz gehören immer zusammen. Es wird große Veränderungen geben, Revolutionen, von denen keiner weiß, wieviele und welcher Art sie sein werden, nur daß am Ende die Haolen das Land und die Macht besitzen werden. Und dann kann es durchaus sein, daß du die erste Frau Hawaiis sein wirst, denn sicher wird George Castner über Hawaii regieren. So steht es geschrieben. So ist es stets, wo der Haole mit den nachgiebigeren Rassen zusammenstößt. Ich, dein Onkel Robert, halb Hawaiianer und halb Haole, ich weiß, wovon ich spreche. Hab Geduld, Bella, hab Geduld!<
>Liebe Bella<, pflegte Onkel John zu sagen, und ich wußte, daß sein Herz mit mir fühlte. Gott sei Dank ermahnte er mich nie zur Geduld. Er wußte Bescheid. Er war sehr weise. Er war warm, menschlich und deshalb klüger als Onkel Robert und George Castner, die nur die Sache und nicht den Geist gelten ließen, die lieber Aufstellungen in den Hauptbüchern machten, als Brust an Brust Herzschläge zählten, denen das Addieren von Zahlenreihen wichtiger war, als an Umarmungen und an Liebkosungen mit Blicken, Worten, Berührungen zu denken. >Liebe Bella<, pflegte Onkel John zu sagen. Er wußte Bescheid. Du hast ja immer gehört, daß er der Geliebte der Prinzessin Naomi war. Er war ein treuer Liebhaber. Er liebte nur dieses eine Mal. Nach ihrem Tode sagten sie, er sei exzentrisch. Er war es. Er war ihr Geliebter, einmal und für immer. Erinnerst du dich an das Tabuzimmer in Kilohana, das wir erst nach seinem Tode betraten und dabei herausfanden, daß es sein Reliquienschrein für sie war. >Liebe Bella<, war alles, was er je zu mir sagte, aber ich wußte, daß er im Bilde war.
Und ich war neunzehn und eine sonnenwarme Hawaiianerin, trotz der drei Viertel Haoleblut in mir, und ich kannte nichts außer der herrlichen Mädchenzeit auf Kilohana und meiner Schuljahre auf der Königlichen Schule in Honolulu, außer meinem grauen Ehemann mit seinen grauen Moralpredigten und seinen von Nüchternheit und Sparsamkeit bestimmten Gewohnheiten. Und dann diese beiden kinderlosen Onkel, der eine mit seiner kühlen, vorausplanenden Weitsicht, der andere mit seinem gebrochenen Herzen als ewig träumender Liebhaber einer toten Prinzessin.
Denk nur an dieses graue Haus! Und das mir, die ich das leichte, herrliche, vergnügte, stets mit Lachen erfüllte Leben auf Kilohana, bei den Parkers auf dem guten, alten Mana und auf Puuwaawaa gewohnt war! Du erinnerst dich. In jenen Tagen lebten wir wirklich in einer fürstlichen, großzügigen Umgebung. Würdest du, ja, könntest du es glauben, Martha? Die einzige Nähmaschine, die ich auf Nahala besaß, war noch eine von denen, die die ersten Missionare mitgebracht hatten -ein winziges, verrücktes Ding, das mit einer Handkurbel betätigt werden mußte!