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Ihn traf ich zum erstenmal im Offizierskasino der Black Watch in Südafrika, und er sprach mit einem Oxforder Akzent. Das war, kurz bevor dieses berühmte Regiment im Magersfontein völlig aufgerieben wurde. Das Recht, sich in diesem Kasino aufzuhalten, besaß er in eben dem Maße, in dem ihm auch der Akzent zustand, denn er war in Oxford erzogen worden und hatte ein Offizierspatent. Als Gast und Kriegsbeobachter befand sich Prinz Cupido bei ihm, so jedenfalls lautete sein Spitzname, obwohl er in Wirklichkeit Prinz von ganz Hawaii einschließlich Lakanaiis war und den offiziellen Titel Prinz Jonah Kuhio Kalanianaole führte. Er hätte der Herrscher über Hawaii sein können, wäre da nicht die Revolution der Haoles und die Annektierung gewesen - und das, obgleich Prinz Cupidos Alii-Geschlecht weniger nobel war als der Stammbaum des Prinzen Akuli, zu dem der Himmel selbst beigetragen hatte. Denn Prinz Akuli hätte König von Lakanaii und vielleicht von ganz Hawaii sein können, wäre sein Großvater nicht von dem ersten und größten der Kamehamehas vernichtend geschlagen worden.

Das war im Jahr 1810 gewesen, in der Blütezeit des Sandelholzhandels, und im gleichen Jahr kam auch der König von Kauai an die Reihe, hielt sich daraufhin ruhig und fraß Kamehameha aus der Hand. Prinz Akulis Großvater hatte in diesem Jahr seine Prügel bezogen und war unterworfen worden, weil er noch der »alten Schule« angehörte. Er hatte sich die Inselherrschaft nicht in Form von Schießpulver und Haoleschützen vorstellen können. Der weitsichtigere Kamehameha aber versicherte sich der Dienste der Haoles, einschließlich solcher Männer wie Isaac Davis, Maat und einziger Überlebender der niedergemetzelten Mannschaft des Schoners Fair American und John Young, gefangengenommener Bootsmann der Schnau Eleanor. Und Isaac Davis und John Young und noch etliche andere ihres unberechenbaren, abenteuerlustigen Schlages hatten mit sechspfündigen Bronzekanonen von den aufgebrachten Schiffen Iphigenia und Fair American die Kriegskanus zerstört und die Moral der zu Lande kämpfenden Krieger des Königs von Lakanaii zermürbt. Dafür bekamen sie von Kamehameha ordnungs- und abmachungsgemäß folgenden Lohn: Isaac Davis erhielt sechshundert ausgewachsene und fette Schlachtschweine und John Young fünfhundert Stück desselben, noch auf seinen gespaltenen Hufen herumlaufenden Schweinefleisches.

Und so entspringt aus all diesen Inzesten und Begierden der primitiven Kulturen, aus dem sich Vortasten des aufrechten Tieres in Richtung Mannhaftigkeit, aus all den blutigen Morden, brutalen Kämpfen und Paarungen mit den jüngeren Brüdern der Halbgötter der weltgewandte, mit einem Oxforder Akzent ausgestattete Prinz Akuli, Prinz Tintenfisch und doch ganz zwanzigstes Jahrhundert, reinblütiger Polynesier, eine lebende Brücke zwischen tausend Jahrhunderten, Kamerad, Freund und Reisegefährte, der aus seiner beschädigten Siebentausend-Dollar-Limousine steigt, sich mit mir zusammen in einem von der Außenwelt abgeschnittenen Begonienparadies fünfhundert Meter über dem Meer und Olokona, der Hauptstadt seiner Insel, wiederfindet und mir von seiner Mutter erzählt, die auf ihre alten Tage zu der althergebrachten Religion und Ahnenverehrung zurückkehrte und sich mit den Gebeinen all derer umgab, die in grauer Vorzeit ihre Vorfahren gewesen waren.

»Mit König Kalakaua hat diese Sammelleidenschaft begonnen, drüben auf Oahu«, fuhr Prinz Akuli fort. »Und seine Königin, Kapiolani, hat sich von seiner Marotte anstecken lassen. Sie sammelte alles - alte Makaloa-Matten, alte Tapas, alte Kalebassen, alte Doppelkanus und Idole, die die Priester vor der allgemeinen Zerstörung im Jahre 1819 gerettet hatten. Ich habe seit Jahren keinen Angelhaken aus Perlmutt mehr gesehen, aber ich möchte schwören, daß Kalakaua zehntausend davon angehäuft hat, ganz zu schweigen von den Fischhaken aus menschlichen Kieferknochen, den Federmänteln, Umhängen, Helmen, Steinäxten und Poi-Stampfern in Phallusform. Wenn er und Kapioilani ihre königlichen Rundreisen auf allen Inseln machten, mußten ihre Gastgeber ihre gesamten persönlichen Andenken verstecken. Denn theoretisch ist alles, was sein Volk besitzt, Eigentum des Königs, und bei Kalakaua waren, wenn es um die alten Dinge ging, Theorie und Praxis eins.

Von ihm hat mein Vater Kanau den Floh mit der Sammlerei ins Ohr gesetzt bekommen, und Hiwilani war damit ebenso angesteckt worden. Aber Vater war ein durch und durch moderner Mensch. Er glaubte weder an die Götter noch an die Kahunas, die Priester, oder an die Missionare. Er glaubte an nichts anderes als an Zuckeraktien, Pferdezucht und daran, daß sein Großvater ein Narr gewesen war, weil er nicht seinerseits ein paar Isaac Davise, John Youngs und etliche Bronzekanonen zusammengesucht hatte, ehe er gegen Kamehameha in den Krieg gezogen war. So sammelte er diese Raritäten nur aus Spaß an der Sache, doch meiner Mutter war es ganz ernst damit. Deshalb hat sie sich für Knochen begeistert. Ich erinnere mich auch, daß sie ein häßliches altes Steinidol besaß, das sie immer anzurufen pflegte und vor dem sie auf dem Boden herumkroch. Es befindet sich jetzt im Deacon-Museum. Ich habe es nach ihrem Tod dorthin gegeben, und ihre Gebeinsammlung ans Königliche Mausoleum nach Olokona.

Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst, daß ihr Vater Kaaukuu war. Nun, so war es, und er war ein Hüne. Als sie das Mausoleum bauten, wurden seine schön gesäuberten und gut konservierten Gebeine aus ihrem Versteck geholt und dorthin gebracht. Hiwilani hatte einen alten Gefolgsmann, Ahuna. Sie stahl eines Nachts die Schlüssel von Kanau und schickte Ahuna, die Gebeine ihres Vaters aus dem Mausoleum zu entwenden. Ich weiß es. Und er muß ein Riese gewesen sein. Sie bewahrte ihn in einem ihrer großen Krüge auf. Eines Tages, als ich noch ein kleiner Knirps war und wissen wollte, ob Kaaukuu wirklich so groß war, wie die Überlieferung ihn machte, angelte ich seinen noch intakten Unterkiefer aus dem Behälter und der Umhüllung und hielt ihn mir vors Gesicht. Ich konnte meinen Kopf ganz durchstecken, und er blieb auf meinem Hals und den Schultern wie ein Pferdekummet liegen. Und es steckte noch jeder Zahn in dem Kiefer, weißer als Porzellan, ohne irgendein Loch, und der Zahnschmelz war nicht verfärbt oder abgesplittert. Ich erhielt die schlimmste Tracht Prügel meines Lebens für diese Beleidigung, wenn sie auch den alten Ahuna hereinrufen mußte, um ihr dabei zu helfen. Doch der Vorfall hatte auch sein Gutes. Sie faßte dadurch Vertrauen zu mir, weil ich keine Angst vor den Gebeinen der Toten hatte. Und dieser Streich verschaffte mir im Endeffekt auch meine Erziehung in Oxford, wie du gleich hören wirst, falls dieser Wagen nicht vorher eintrifft.

Der alte Ahuna war einer der wirklich Alten, dem das Zeichen des zum treuen Dienst geborenen Sklaven unauslöschlich eingebrannt war. Er wußte mehr über die Familie meiner Mutter und die meines Vaters als die beiden zusammen. Und er kannte als einziger Mensch auf der Welt die Begräbnisstätte, in der seit Jahrhunderten die Gebeine der meisten ihrer Vorfahren und der Kanaus versteckt worden waren. Kanau konnte dem alten Burschen, der ihn als einen Abtrünnigen ansah, das Geheimnis nicht entlocken.

Hiwilani kämpfte mit dem alten Kauz über viele Jahre hinweg. Wie sie ihr Ziel schließlich doch erreichte, ist mir ein Rätsel. Natürlich war sie auf den ersten Blick eine Anhängerin der alten Religion. Das mochte Ahuna dazu gebracht haben, etwas aufgeschlossener zu werden. Oder vielleicht hat sie ihm auch Angst eingejagt, denn sie wußte eine Menge über die Methoden der alten Huni-Zauberer, und sie verstand es, so viel Aufhebens zu machen, als stünde sie mit Uli, dem höchsten Gott aller Schamanen, auf vertrautestem Fuß. Sie konnte einen gewöhnlichen Kahuna Lanaau, also einen Medizinmann, ohne weiteres in die Tasche stecken, wenn es darum ging, zu Lonopuha und Koleamoku zu beten; sie konnte Träume und Visionen, Zeichen, Omen und Verdauungsstörungen unerhört gut deuten, führte dabei die Maiola-Medizinmänner vor, als seien sie keinen roten Heller wert, legte eine Beschwörung hin, daß ihnen schwindelig wurde, und behauptete, daß ihr Kahuna Hoenoho, eine moderne Art von Spiritismus, die sie praktizierte, unerreicht sei. Ich habe selbst gesehen, wie sie den Wind einatmete, in eine Trance geriet und weissagte. Die Aumakuas waren ihre Brüder, wenn sie ihnen auf den Altären der verfallenen Heiaus Opfergaben darbrachte und dabei Gebete sprach, die für mich ebenso unverständlich wie schauerlich klangen. Und was den alten Ahuna anging, so konnte sie ihn dazu bringen, daß er sich zu Boden warf, jammerte und sich ins eigene Fleisch biß, wenn sie ihn mit einem geheimnisvollen Zauberspruch belegte.