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Es war eine ziemlich freimütige Sprache, wie es, wie du bereits seit langem weißt, unsere hawaiische Art ist. Im Gegenzug bedauerte sie ebenso unverblümt, daß sie mich nicht bei meiner Geburt zu Adoptiveltern gegeben hatte. Als nächstes beklagte sie, daß sie mich überhaupt je in die Welt gesetzt hatte. Und von da war es nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Einfall, mich mit dem Anaana-Zauber zu verhexen. Sie drohte mir damit, und ich tat das Tapferste, was ich je getan hatte. Der alte Howard hatte mir ein Messer mit vielen verschiedenen Klingen, Korkenziehern und allen möglichen Schikanen, einschließlich einer kleinen Schere, geschenkt. Ich begann, mir die Fingernägel zu schneiden.

>Hier<, sagte ich, als ich ihr die abgeschnittenen Nägel in die Hand legte. >Nur damit du siehst, was ich davon halte. Da hast du Köder und noch Ersatz dazu. Fang an und mache deinen Anaana-Zauber bei mir, wenn du kannst.<

Ich habe gesagt, daß es tapfer war. Das war es wirklich. Ich war erst fünfzehn, und ich hatte mein ganzes Leben mitten in dieser zaubergläubigen Umgebung verbracht, während meine erst vor kurzem erworbene Skepsis kaum bis unter die Haut reichte. Ich mochte wohl im hellen Sonnenlicht ein Skeptiker sein. Aber ich fürchtete mich vor der Dunkelheit. Und in diesem dämmrigen Raum, um mich herum all die Gebeine der Toten in den großen Gefäßen, hatte mich die alte Dame wahrhaftig zu Tode erschreckt. Wie wir heute sagen, war ich auf hundertachtzig. Nur hielt ich mich tapfer und ließ mir nichts anmerken. Und ich hatte mit meinem Bluff Erfolg, denn meine Mutter warf mir die Nagelschnipsel ins Gesicht und brach in Tränen aus. Nun sind Tränen bei einer älteren, etwa zweihundertneunzig Pfund schweren Frau nicht besonders wirkungsvoll, und ich bluffte noch dreister.

Sie änderte ihre Angriffstaktik und ging dazu über, mit den Verstorbenen zu sprechen. Ach, mehr noch, sie rief sie herbei, und obwohl ich ganz darauf vorbereitet war, sie zu sehen, es aber dann doch nicht tat, erkannte Ahuna den Vater Kaaukuus in der Ecke, warf sich zu Boden und jammerte. Es half nichts; obwohl ich den alten Riesen fast vor Augen hatte, wollte er im Endeffekt doch nicht Gestalt annehmen.

>Laß ihn doch selbst reden<, meinte ich. Aber Hiwilani fuhr fort, für ihn zu sprechen und mir sein feierliches Gebot aufzuerlegen, daß ich mit Ahuna zu der Begräbnisstätte gehen und die von meiner Mutter gewünschten Gebeine nach Hause bringen müßte. Doch ich argumentierte: Wenn die Verstorbenen angerufen werden konnten, um Lebende langsam dahinsiechen zu lassen, und wenn die Toten sich von ihren Grabstätten in den Winkel ihres Zimmers begeben könnten, sei es nicht einzusehen, weshalb sie nicht dort in ihrem Zimmer ihre Knochen zurückließen, schon fertig zum Eintopfen, bevor sie sich verabschiedeten, um in die mittlere Welt, die Überwelt oder die Unterwelt zurückzukehren, oder wo immer sie sich sonst aufhalten mochten, wenn sie nicht gerade ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkamen.

Woraufhin Mutter auf den armen alten Ahuna losging oder vielmehr den Geist von Kaaukuus Vater auf ihn losließ, der angeblich dort in der Ecke lauerte, und Ahuna befahl, ihr die Begräbnisstätte zu verraten. Ich versuchte ihn zu unterstützen, indem ich ihm sagte, er solle den alten Geist doch das Geheimnis selbst preisgeben lassen, denn niemand würde es besser kennen als er, da er über ein Jahrhundert dort verbracht hatte. Aber Ahuna war noch vom alten Schlag. Nicht der kleinste Zweifel focht ihn an. Je mehr Angst ihm Hiwilani einjagte, um so heftiger wälzte er sich am Boden und um so lauter wehklagte er.

Doch als er dann damit begann, sich selbst zu beißen, gab ich mich geschlagen; aber davon einmal abgesehen fing ich an, ihn zu bewundern. Er war aus purem Gold, selbst wenn er ein Überrest aus der Zeit geistiger Finsternis war. Mit der grausam auf ihm lastenden Furcht vor dem Geheimnisvollen und in dem bedingungslosen Glauben an die Kraft von Hiwilanis Zauber war er hier zwischen zwei Treuepflichten hin- und hergerissen. Sie war seine lebende Alii, seine Alii kapo, [heilige Führerin]. Er mußte ihr ergeben sein, doch noch mehr fühlte er sich all den verstorbenen Aliis ihrer Familie verpflichtet, die ganz auf ihn angewiesen waren, damit ihre Gebeine nicht in ihrer Totenruhe gestört wurden.

Ich gab mich geschlagen. Aber auch ich stellte meine Bedingungen. Beharrlich hatte es mein Vater, ein Mann der neuen Schule, abgelehnt, mich zum Studieren nach England gehen zu lassen. Daß der Zuckerpreis verfiel, war für ihn Grund genug. Beharrlich hatte es auch meine Mutter, eine Anhängerin der alten Schule, abgelehnt, da ihr heidnischer Verstand zu unwissend war, um der Erziehung irgendeinen Wert beizumessen, während ihm doch genug Schlauheit innewohnte, um zu erkennen, daß Bildung den Glauben an alles Althergebrachte untergrub. Ich wollte lernen, wollte Wissenschaft, Kunst, Philosophie studieren, wollte alles erfahren, was der alte Howard wußte, alles, was ihn dazu befähigte, am Rand des Grabes furchtlos über den Aberglauben zu spotten und mir Jules Verne als Lektüre zu geben. Er hatte in Oxford studiert, ehe er sein wildes und stürmisches Leben begann, und er war es auch, der mir den Floh mit Oxford ins Ohr gesetzt hatte.

Am Ende hatten Ahuna und ich, die alte und die neue Schule, uns verbündet und hatten gesiegt. Mutter versprach, daß sie Vater dazu bringen würde, mich nach England zu schicken, selbst wenn sie ihn dazu zeitweilig in den Alkohol treiben müßte, was sein geliebtes Verdauungssystem durcheinanderbringen würde. Auch sollte mich Howard begleiten, so daß ich ihn würdig in England beerdigen konnte. Er war ein sonderbarer Kauz, der alte Howard, ein eigenwilliger Mensch, wie es kaum einen zweiten gab. Ich werde dir eine kleine Geschichte über ihn erzählen. Es war damals, als Kalakaua seine Reise um die Welt antrat. Du erinnerst dich, als Armstrong und Judd und der betrunkene Kammerdiener eines deutschen Barons ihn begleiteten. Kalakaua machte Howard den Vorschlag - «

Doch an dieser Stelle brach das lang gefürchtete Unheil über Prinz Akuli herein. Die alte Wahine hatte ihren Hala-Lei zu Ende geflochten. Barfuß, ohne jeden weiblichen Schmuck, nur in ein formloses Stück verwaschener Baumwolle gewandet, mit altersverwittertem Gesicht und abgearbeiteten knotigen Händen krümmte sie sich unterwürfig vor ihm, stimmte leise ein Mele zu seinen Ehren an und legte ihm, immer noch in gebeugter Haltung, den Lei um den Hals. Es stimmte schon, die Hala roch überaus herb und stark, doch diese Geste und selbst die alte Frau besaßen für mich eine eigentümliche Schönheit. Meine Gedanken wanderten zu der Erzählung des Prinzen zurück, so daß sich mir unwillkürlich der Vergleich mit Ahuna aufdrängte.

Ach wahrhaftig, in Hawaii ein Alii zu sein, ist selbst in der zweiten Dekade des zwanzigsten Jahrhunderts keine leichte Sache. Der Alii, ganz und gar dem Neuen zugewandt, mußte sich auch gegenüber solchen völlig im Althergebrachten verhafteten Alten freundlich und hoheitsvoll verhalten. Und der Prinz ohne Königreich, seine geliebte Insel war längst von den Vereinigten Staaten annektiert und zusammen mit den übrigen hawaiischen Inseln zu einem Territorium vereint worden, dieser Prinz ließ sich den Widerwillen, den der Geruch der Hala in ihm auslöste, denn auch keineswegs anmerken. Er neigte huldvoll den Kopf, und seine königlichen, leutseligen Worte in reinem Hawaiisch würden, das wußte ich, das Herz der alten Frau bis zu ihrem Tode wärmen, wenn sie die Erinnerung an diesen wundervollen Augenblick heraufbeschwor. Die Grimasse, die er mir heimlich schnitt, hätte er nie gezogen, wenn er nicht völlig sicher gewesen wäre, daß sie der Alten entgehen würde.