>Das hier<, sagte Ahuna und stellte mir einen anderen meiner Ahnen vor, >ist dein Urgroßvater Mokomoku, der Vater Kaaukuus. Schau dir nur an, wie groß seine Knochen sind. Er war ein Riese. Ich werde ihn tragen, denn mit dem langen Speer Keolas würde das für dich schwierig werden. Und das ist Lelemahoa, deine Großmutter, die Mutter deiner Mutter, die du tragen wirst. Der Tag neigt sich, und wir müssen erst noch durch das Wasser nach oben zum Licht schwimmen, bevor die Finsternis die Sonne verschluckt!<
Aber Ahuna, der die verschiedenen Lichtkalebassen auslöschte, indem er die Dochte im Walfischtran ertränkte, sah mich nicht, wie ich Laulanis Schienbein zu den Knochen meiner Großmutter legte.«
Das Hupen des Autmobils, das von Olokona heraufgeschickt worden war, um uns abzuholen, unterbrach die Erzählung des Prinzen. Wir verabschiedeten uns von der alten, jetzt mit einer Leibrente ausgestatteten Wahine und fuhren los. Nach einer halben Meile Fahrt nahm Prinz Akuli seine Erzählung wieder auf:
»Und so kehrten Ahuna und ich zu Hiwilani zurück, und zu ihrer großen Zufriedenheit, die bis zu ihrem Tod im folgenden Jahr anhielt, ruhten nun noch zwei weitere ihrer Vorfahren in ihrer Nähe in den Krügen ihres dämmrigen Zimmers. Sie hielt sich auch an unsere Abmachung und setzte meinem Vater so lange zu, bis er mich nach England schickte. Ich nahm den alten Howard mit, und er blühte wieder auf und strafte die Ärzte Lügen, so daß ich ihn erst drei Jahre später, nachdem er in den Schoß seiner Familie zurückgekehrt war, beerdigen mußte. Manchmal glaube ich, daß er der klügste Mensch war, den ich je kennengelernt habe. Ahuna, der letzte Hüter unserer Alii-Geheimnisse, starb nach meiner Rückkehr aus England. Und an seinem Totenbett mußte ich ihm noch einmal versprechen, niemals die Stelle in diesem namenlosen Tal zu verraten und auch selbst nie dorthin zurückzukehren.
Manches andere, was ich zu erwähnen vergessen habe, sah ich jenes eine Mal in der Höhle. Da waren die Gebeine von Kumi, beinahe ein Halbgott, der Sohn Tui Manuas von Samoa, der vor langer, langer Zeit in meine Familie einheiratete und meinen Stammbaum durch seine Verwandtschaft mit dem Himmel veredelte. Und die Gebeine meiner Urgroßmutter, die in dem vierpfostigen Himmelbett, dem Geschenk Lord Byrons, geschlafen hatte. Und Ahuna deutete an, daß nach der
Überlieferung dieses Geschenk seinen guten Grund gehabt hatte, ebenso wie das historisch belegte lange Verweilen der Blonde in Olokona. Und ich hielt ihre armen Knochen in meinen Händen - Knochen, die einst von sinnlicher Schönheit umhüllt waren, von Lebendigkeit und Geist durchdrungen, erfüllt mit Liebe und der liebevollen Wärme von Umarmungen, ineinander versunkenen Blicken und endlosen Küssen, die mich am Ende der ungeborenen Generationen hervorbrachten. Es war eine gute Erfahrung. Ich bin ein moderner Mensch, das stimmt. Ich glaube nicht an diesen Zauberkram von früher, und auch nicht an die Kahunas. Und doch sah ich in jener Höhle Dinge, die ich dir nicht zu nennen wage und die ich, seit der alte Ahuna starb, als einziger unter den Lebenden weiß. Ich habe keine Kinder. Mit mir endet eine lange Ahnenreihe. Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, und wir stinken nach Benzin. Dennoch werden diese anderen, ungenannten Dinge mit mir sterben. Ich werde die Begräbnisstätte niemals wieder aufsuchen. Noch wird irgendein Mensch sie in Zukunft erblicken, wenn nicht ein Erdbeben die Berge auseinandersprengt und die in ihrem Innersten verwahrten Geheimnisse ausspeit.«
Prinz Akuli verfiel in Schweigen. Mit sichtbarer Erleichterung entfernte er den Hala Lei von seinem Hals, und mit gerümpfter Nase und einem Seufzer ließ er ihn im dichten Lantanengebüsch neben der Straße verschwinden.
»Aber was ist mit dem Schienbein Laulanis?« fragte ich leise.
Er blieb stumm, während das Weideland an uns vorbeiflog und nach einer Meile in eine Zuckerrohrplantage überging.
»Ich habe es noch«, erwiderte er schließlich. Und daneben liegt Keola, vor der Zeit erschlagen und zu einer Speerspitze verarbeitet aus Liebe zu der Frau, deren Schienbein nun neben seinem ruht. Ihnen, diesen beiden armseligen Knochen, schulde ich unendlichen Dank. In der Zeit, als ich zum Mann heranreifte, war ich von ihnen wie besessen. Ich weiß, daß sie den gesamten Verlauf meines Lebens und meine Denkrichtung änderten. Sie verhalfen mir zu Bescheidenheit und Demut in der Welt, und das Vermögen meines Vaters vermochte es nie, mich davon abzubringen.
Und oft, wenn eine Frau nahe daran war, meinen Verstand zu entmachten, suchte ich Laulanis Schienbein hervor. Und oft, wenn mich männliche Lebenslust in den Übermut und die Begehrlichkeit trieb, ging ich mit der Speerspitze, dem Überrest Keolas, zu Rate, der einst ein so schneller Läufer, ein so großer Ringer und Liebhaber und ein Dieb der Frau eines Königs gewesen war. Die nachdenkliche Betrachtung dieser beiden Knochen war stets eine große Hilfe für mich, und man könnte wohl sagen, daß ich meine Religion oder meine Lebensweise auf sie gegründet habe.
DIE STERBLICHEN ÜBERRESTE KAHEKILIS
Über die hohen Koolau-Berge hinweg hatten sich ein paar Ausläufer des Passats verirrt, bewegten leicht die starren Bananenblätter, rauschten in den Palmen und brachten das zartblättrige Laub der Algoraba-Bäume zum Wispern. Nur in Abständen atmete die Natur so auf, denn ein Atmen war es, das Seufzen eines trägen hawaiischen Nachmittags. In den Pausen zwischen den sanften Atemzügen wurde die Luft schwer und würzig von dem Duft der Blumen und den Ausdünstungen der fetten, lebendigen Erde.
In der Nähe des niedrigen, bungalowartigen Hauses hielten sich viele Menschen auf, aber nur ein einziger schlief. Die übrigen schlichen auf Zehenspitzen umher und waren mucksmäuschenstill. Hinter dem Haus ließ ein kleines Kind ein dünnes, klägliches Wimmern hören, das selbst die hastig dargereichte Brust nicht zu beschwichtigen vermochte. Die Mutter, eine schlanke Hapa-Haole [Halbblut] im lose fallenden Holoku aus weißem Musselin eilte unter den Bananenstauden und Papaya-Bäumen davon, um das weinende Kind außer Hörweite zu bringen. Andere Frauen, Hapa-Haoles und reinrassige Eingeborene, sahen ihr besorgt nach, als sie das Weite suchte.
Vor dem Haus saßen zwanzig Hawaiianer im Gras. Allesamt kräftige Männer, muskulös und breitschultrig. Braunhäutig, mit leuchtenden braunen und schwarzen Augen, offenen und ebenmäßigen Zügen sahen sie ganz so aus, als seien sie ebenso freundlich, heiter und sanftmütig wie das Klima. Zu all dem schien ihre wilde Aufmachung im Widerspruch zu stehen. Aus ihren klobigen Ledergamaschen ragten die Griffe langer Messer. An den Hacken trugen sie großrädrige spanische Sporen. Wie eine Bande von Straßenräubern hätten sie ausgesehen, wären da nicht die Blumenkränze und die duftenden Maile gewesen, die ihre breitkrempigen Hüte krönten und so gar nicht zu dem übrigen Bild passen wollten. Einer von ihnen, der die köstliche, spitzbübische Schönheit eines Fauns und ebensolche Augen besaß, hatte sich eine flammendrote gefüllte Hibiskusblüte kokett hinters Ohr gesteckt. Eine Poinciana regia, die über ihren Köpfen wuchs, bot mit ihrem weitausladenden, schattenspendenden Baldachin
- einem Flammenmeer scharlachroter Blüten, aus denen kleine Quasten gefiederter Staubfäden hingen - Schutz vor der Sonne. Von weit her und durch die Entfernung gedämpft, drang das schwache Stampfen ihrer angeleinten Pferde herüber. Aller Augen waren gespannt auf den einsamen Schläfer gerichtet, der etwa dreißig Meter entfernt unter den Johannisbrotbäumen rücklings auf einer Lauhala-Matte lag -Waren die hawaiischen Cowboys schon groß, so übertraf der Schläfer sie noch. Auch war er, wie sein schneeweißes Haar und sein Bart bezeugten, viel älter als sie. Der Umfang seiner Handgelenke und die kräftigen, langen Finger ließen seine mächtige Gestalt ahnen, die unter den weiten Kattunhosen und dem offenen, knopflosen Hemd verborgen war, das einen Brustkasten freigab, dessen dichtes Haarkleid ebenso weiß wie das Kopf- und Barthaar des Mannes war. Die Tiefe und Breite dieses Brustkorbes, seine Spannkraft und die jetzt gelösten, gut entwickelten Muskeln zeugten von der knorrigen Kraft, die immer noch in ihm steckte. Im übrigen konnte auch keine Sonnenbräune und Wettergegerbtheit verbergen, was seine Haut verriet, daß er durch und durch Haole - ein Weißer - war.