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Er lag auf dem Rücken, und mit jedem Atemzug hob und senkte sich sein langer weißer, von keinem Barbier gestutzter, himmelwärts ragender Bart, während sich die weißen Schnurrbarthaare wie die Borsten eines Stachelschweins beim Ausatmen rhythmisch sträubten und bei jedem Luftholen wieder anlegten. Ein junges, vierzehnjähriges, nur mit einem einfachen langen Hemd oder Muumuu bekleidetes Mädchen, eine Enkelin des Schläfers, kauerte neben ihm und verscheuchte mit einem Federwedel die Fliegen. Ihr Gesichtsausdruck verriet Besorgtheit, Nervosität und Ehrfurcht, als diene sie einem Gott.

Und wirklich war Hardman Pool, der schnauzbärtige Schläfer, für sie, wie auch für viele andere, ein Gott, eine Quelle des Lebens, eine Quelle der Nahrung und ein Born der Weisheit, ein Gesetzgeber, freundlicher Wohltäter, aber auch die Düsternis von Donner und Strafe - kurz, ein Gebieter, dessen Zeugungskraft vierzehn erwachsene Söhne und Töchter, sechs Urenkel und mehr Enkel, als er in seinen lichtesten Momenten aufzählen konnte, unter Beweis stellten.

Vor einundfünfzig Jahren war er mit einem offenen Boot in Laupahoehoe an der Luvküste Hawaiis gelandet. Das Boot war alles, was von dem Walfänger Black Prince aus New Bedford übriggeblieben war. Er selbst stammte aus New Bedford, war zwanzig Jahre alt und hatte, dank seiner Energie und Geschicklichkeit, als zweiter Steuermann auf dem untergegangenen Walfänger Dienst getan. Als er nach Honolulu kam und sich nach einer neuen Tätigkeit umsah, hatte er zuerst Kalama Kamaiopili geheiratet, dann als Lotse im Hafen von Honolulu gearbeitet, später eine Kneipe und ein Gästehaus eröffnet und sich schließlich, nach dem Tod von Kalamas Vater, auf dem ausgedehnten Weideland, das sie geerbt hatte, auf die Viehzucht verlegt.

Mehr als ein halbes Jahrhundert hatte er unter den Hawaiianern gelebt, und jeder gestand ihm zu, daß er ihre Sprache besser kannte als die meisten von ihnen selbst. Durch seine Ehe mit Kalama hatte er nicht nur ihren Grundbesitz, sondern auch ihren Häuptlingsrang erheiratet, und die Lehenstreue, zu der ihr das Volk kraft ihrer Abstammung verpflichtet war, wurde auch ihm erwiesen. Dazu kam, daß er selbst alle natürlichen Attribute eines Häuptlings besaß: die hünenhafte Gestalt, die Furchtlosigkeit, den Stolz und das hitzige Naturell, das keine Unverschämtheit, keine Beleidigung duldete, das selbst von der höchsten Machtentfaltung, die auf zwei Beinen daherkam, nicht eingeschüchtert werden konnte und das sich geringere Menschen nicht etwa durch irgendwelche unwürdigen Macht- oder Geldmittel, sondern durch eine leutselige Freigebigkeit verpflichten konnte, auf die auch ohne große Worte Verlaß war. Er kannte seine Hawaiianer in- und auswendig, kannte sie besser, als sie sich selbst - ihre polynesische Weitschweifigkeit, ihr redliches Wesen, ihre Gebräuche und ihre Geheimnisse.

Und mit einundsiebzig lag er jetzt, nach einem ausgedehnten Morgenritt über das Weidegebiet, zu dem er um vier Uhr aufgebrochen war, unter den Johannisbrotbäumen und hielt seine gewohnte Siesta, die kein Untergebener zu stören wagte oder einem Standesgenossen des großen alten Mannes zu stören gestattet hätte. Nur dem König war ein solches Recht eingeräumt, doch auch der König mußte schon bald die Erfahrung machen, daß eine Unterbrechung von Hardman Pools Siesta nur dazu führte, einen sehr gereizten und verdrießlichen Hardman Pool aus dem Schlaf zu reißen, der ihm geradeheraus unangenehme, aber wahre Dinge ins Gesicht sagen würde, die kein König gerne hörte.

Die Sonne brannte herunter. In der Ferne stampften die Pferde. Zwischen immer ausgedehnteren Abschnitten der Windstille seufzte und raschelte das schwächer werdende Passatlüftchen. Der Duft wurde schwerer. Die Frau brachte jetzt das Kind, das sich wieder beruhigt hatte, hinter das Haus zurück. Die Johannisbrotbäume rollten ihre Blätter ein und fielen in der milden Luft ihrerseits in ein Mittagsschläfchen. Das Mädchen, nach wie vor von der ungeheuren Gewichtigkeit ihres Amtes überwältigt, wedelte weiter die Fliegen fort; und die zwanzig Cowboys sahen ihr dabei immer noch aufmerksam und schweigend zu.

Hardman Pool erwachte. Das nächste, im langsamen Rhythmus anstehende Ausatmen fand nicht statt. Und auch der lange weiße Schnurrbart hob sich nicht. Statt dessen blähten sich die Wangen unter dem Schnauzbart, die Lider hoben sich und gaben blaue, cholerische und sofort völlig klar blickende Augen frei; die rechte Hand griff nach der halb aufgerauchten Pfeife neben sich, während die Linke nach den Streichhölzern tastete.

»Bring mir meinen Gin mit Milch«, befahl er auf hawaiisch dem kleinen Mädchen, das, durch sein Erwachen erschreckt, ins Zittern geraten war.

Er steckte sich die Pfeife an, schien aber die Anwesenheit seiner wartenden Gefolgsleute erst zu bemerken, als ihm das Glas Gin mit Milch gebracht und von ihm geleert worden war.

»Nun?« fragte er plötzlich und wischte sich in der darauffolgenden Pause, als zwanzig Gesichter sich zu einem Lächeln verzogen und zwanzig dunkle Augenpaare freudig und wohlmeinend aufleuchteten, die letzten Tropfen Gin und Milch von seinen behaarten Lippen. »Warum sitzt ihr hier herum? Was wollt ihr? Kommt her zu mir.«

Zwanzig meist junge Riesen erhoben sich und schritten mit lautem Sporengeklirr zu ihm hinüber. Sie stellten sich vor ihm im Halbkreis auf, versuchten schüchtern, sich nicht mit den Schultern ins Gehege zu kommen. Ihre Gesichter lächelten entschuldigend und drückten gleichzeitig eine unabsichtliche und unbewußte Vertraulichkeit aus. Denn tatsächlich war Hardman Pool für sie mehr als nur ein Häuptling. Er war ihr älterer Bruder, ihr Vater oder ihr Patriarch, und er war, durch seine Frau und durch die Heiraten seiner vielen Kinder und Kindeskinder nach hawaiischer Gepflogenheit auf die eine oder andere Art mit ihnen allen verwandt. Das leichteste Runzeln seiner Stirn vermochte sie zu verwirren, sein Zorn sie in Angst zu versetzen, sein Befehl sie dem sicheren Tod anheimzugeben, und doch hätte andererseits keiner je daran gedacht, ihn anders als vertraulich mit seinem Vornamen >Hardman< anzusprechen, der in ihrer Sprache zu Kanaka Oolea umgewandelt worden war.

Auf sein Nicken hin setzte sich der Halbkreis in das Manienie-Gras und wartete mit weiterhin entschuldigendem Lächeln, bis es ihm genehm sei.

»Was wollt ihr?« fragte er auf hawaiisch mit einer, wie sie wußten, nur aufgesetzten Schroffheit und Strenge.

Sie lächelten noch breiter und drehten und wendeten ihre ausladenden Schultern und Oberkörper so anmutig wie junge Hunde, die sich bei ihrem Herrn einschmeicheln und ihn beschwichtigen wollen. Hardman Pool griff sich einen von ihnen heraus.

»Nun, Iliiopoi, was willst du denn?«

»Zehn Dollar, Kanaka Oolea.«

»Zehn Dollar!« rief Pool, scheinbar entsetzt über die Nennung einer so ungeheuren Summe. »Soll das heißen, daß du dir eine zweite Frau nehmen willst? Denk an das, was die Missionare lehren. Immer nur eine Frau auf einmal, Iliiopoi, immer nur eine. Denn wer sich mehrere Frauen nimmt, kommt ganz sicher in die Hölle.«

Allseitiges Gekicher und blitzende, lachende Augen waren die Reaktion auf diesen Witz.