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»Daß Kahekili tot war. Das war es, was sie Anapuni zuflüsterte. Daß Kahekili tot, soeben gestorben war und daß die Häuptlinge, die allen im Hause befahlen, es nicht zu verlassen, darüber berieten, was mit seinem Leichnam geschehen sollte, noch bevor die Nachricht von seinem Tod ruchbar werden könnte. Daß der Hohepriester Eoppo sie zu einer Entscheidung drängte und daß sie, Malia, mit angehört hatte, daß niemand anderes als Anapuni und ich als Opfer ausgewählt worden waren, um den toten Kahekili auf seinem Weg zu begleiten und ihm danach und auf immer und ewig im Schattenreich jener anderen Welt zu dienen.«

»Das Menschenopfer«, bemerkte Pool. »Und doch waren die Missionare damals schon neun Jahre im Land.«

»Und bereits im Jahr vor ihrem Eintreffen waren die Götzenbilder gestürzt und die Tabus gebrochen worden«, fügte Kumuhana hinzu. »Aber die Häuptlinge hielten noch an den alten Gebräuchen, der Sitte des Hunakele, fest und versteckten die Gebeine der Aliis dort, wo kein Mensch sie finden und Angelhaken aus ihren Kinnladen oder Pfeilspitzen aus ihren langen Knochen machen konnte, um damit zum Vergnügen auf Mäusejagd zu gehen. Schau, Kanaka Oolea!«

Der alte Mann streckte seine Zunge heraus, und Pool sah zu seiner großen Verwunderung, daß die Oberfläche dieses empfindlichen Organs von der Wurzel bis zur Spitze mit verschlungenen Tätowierungen bedeckt war.

»Das geschah nach der Ankunft der Missionare, etliche Jahre später, als Keopuolani starb. Auch schlug ich mir vier Schneidezähne aus und brannte mir auf dem ganzen Leib mit glühender Rinde Halbkreise ein. Und wer sich in jener Nacht vor die Tür wagte, wurde von den Häuptlingen erschlagen. Ebensowenig durfte in den Häusern ein Licht angezündet oder auch nur das leiseste Geräusch gemacht werden. Selbst Hunde und Schweine, die einen Laut von sich gaben, wurden getötet, und während dieser ganzen Nacht durften die Schiffsglocken der Haoles im Hafen nicht läuten. Es war etwas Furchtbares in jenen Tagen, wenn ein Alii starb.

Doch zurück zu der Nacht, in der Kahekili starb. Wir blieben noch weiter im Kreis der Trinkenden sitzen, nachdem Konukalani Malia an den Haaren fortgeschleppt hatte. Einige Haole-Matrosen murrten zwar, aber von ihnen gab es in jenen Tagen nur wenige im Land, und die Kanaken waren in der Überzahl. Und Malia wurde nie wieder von einem Menschen gesehen. Konukalani allein wußte, auf welche Weise sie ums Leben gekommen war, und er sprach nie darüber. Und wie sollten einfache Männer wie Anapuni und ich in späteren Jahren wagen, ihn danach zu fragen!

Nun hatte sie Anapuni, ehe sie fortgezerrt worden war, alles gesagt. Aber Anapunis Herz war schwarz. Mir sagte er kein Wort. Er verdiente den Tod, den ich für ihn geplant hatte. In dem Kreis befand sich ein riesiger Harpunenwerfer, dessen Gesang dem Gebrüll von Stieren glich; höchst erstaunt starrte ich auf ihn, wie er irgendein Lied von der See brüllte, und als ich dann wieder zu Anapuni hinüberblickte, war er verschwunden. Er war in die Berge geflohen, wo er sich sieben Monde lang bei den Vogelfängern verstecken konnte. Doch das erfuhr ich erst später.

Und ich? Ich saß noch da und schämte mich, daß mein Verlangen nach einer Frau nicht so stark wie mein sklavischer Gehorsam gegenüber einem Häuptling gewesen war. Und ich ertränkte meine Schande in Unmengen von Rum und Whisky, bis sich die ganze Welt um mich herum und in meinem Kopf drehte und das Kreuz des Südens am Himmel einen Hula tanzte und die Koolau-Berge ihre hohen Gipfel nach Waikiki herunterneigten und die Brandung von Waikiki sie auf die Stirn küßte. Und der hünenhafte Harpunier brüllte immer noch, und sein Gebrüll klang mir als letztes in den Ohren, bevor ich auf die Lauhala-Matte zurücksank und wie ein Toter schlief.

Als ich aufwachte, dämmerte schon der Morgen herauf. Ein harter, nackter Fuß stieß mir in die Rippen. Wenn ich auch ungeheuer viel getrunken hatte, so waren es doch keine angenehmen Gefühle, die dieser Fuß bei mir hervorrief. Die Kanaken und Wahines, die an dem Gelage teilgenommen hatten, waren alle verschwunden. Ich allein war unter den schlafenden Matrosen zurückgeblieben, und der riesige Harpunier, der wie ein Wal schnarchte, hatte den Kopf auf meine Füße gelegt.

Noch mehr Fußtritte folgten, ich setzte mich auf und mußte mich übergeben. Doch der, der mich trat, war ungeduldig und wollte wissen, wo Anapuni sei. Und ich wußte es nicht und wurde dafür jetzt beidseitig von zwei ungeduldigen Männern malträtiert. Ich wußte auch nicht, daß Kahekili tot war. Dennoch ahnte ich, daß etwas Ernstes im Gange sein mußte, denn die beiden Männer, die mir die Tritte versetzten, waren Häuptlinge, und kein gemeiner Mann kroch hinter ihnen her, um ihre Befehle auszuführen. Der eine war Aimoku von Kaneohe, der andere Humuhumu von Manoa.

Sie befahlen mir mitzukommen, und es klang nicht sehr freundlich; und als ich aufstand, rollte der Kopf des Harpuniers von meinen Füßen herunter über den Rand der Matte in den Sand. Er grunzte wie ein Schwein, seine Lippen öffneten sich, und seine ganze Zunge fiel ihm aus dem Mund heraus auf den Sand. Er zog sie nicht zurück. Zum erstenmal wurde mir bewußt, wie lang die Zunge eines Menschen ist. Als ich sah, wie der Sand darauf klebte, wurde mir zum zweiten Mal übel. Der Tag nach einer durchzechten Nacht ist etwas Schreckliches. Ich war wie ausgeglüht, ausgebrannt und ausgetrocknet, mein ganzes Inneres fühlte sich an wie verglühte Schlacke, wie Lava, trocken und so sandig wie die Zunge des Harpuniers. Ich bückte mich nach einer halbgeleerten Trinkkokosnuß, aber Aimoku stieß sie mir aus meinen zitternden Fingern, und Humuhumu schlug mir mit der Handkante in den Nacken.

Seite an Seite gingen sie vor mir her, mit feierlichen, düsteren Gesichtern, und ich folgte ihnen auf den Fersen. Mein Mund stank nach Alkohol, mein Kopf war krank von dem schalen Dunst, der ihn umnebelte, und ich hätte mir die rechte Hand abhacken lassen für ein Glas Wasser, ein einziges Glas, ja nur einen einzigen Schluck. Und hätte ich es getrunken, so hätte es sich in meinem Bauch zischend verflüchtigt wie Wasser, das man auf heiße Röststeine gießt. Der Tag nach einer durchzechten Nacht ist etwas Furchtbares. Das Leben vieler Männer, die früh starben, habe ich vorübergehen sehen, seit ich zuletzt imstande war, solche irrwitzigen Trinkgelage der Jugend mitzumachen, die kein Maß kennt und sich nicht abschrecken läßt.

Als wir weitergingen, fing ich an zu begreifen, daß irgendein Alii gestorben sein mußte. Nicht ein Kanake lag schlafend im Sand oder stahl sich nach einer Liebesnacht heim, und keine Kanus waren wie sonst zum Fischfang ausgelaufen, wo doch um diese frühe Stunde und beim Gezeitenwechsel die Fische vor dem Riff am leichtesten ins Netz gehen. Als wir hinter dem Tempel, dem Heiau, zu der Stelle kamen, wo der große Kamehameha immer seine Briggs und Schoner anlanden ließ, sah ich, daß unter dem Kanuschuppen die Strohmatten von Kahekilis großem Doppelkanu abgenommen worden waren und daß sich viele Männer sogar jetzt bei Ebbe damit abplagten, es über den Sand zu ziehen und ins Wasser zu bugsieren. Aber alle diese Männer waren Häuptlinge. Und obwohl mir alles vor den Augen verschwamm, obwohl sich mein Kopf drehte und mein Inneres ausgebrannter Schlacke glich, vermutete ich, daß der Alii, der gestorben war, Kahekili sein mußte. Denn er war alt und von allen Aliis dem Tod am nächsten.«

»Wie ich gehört habe, hat sein Tod mehr zum Scheitern des Aufstands von Gouverneur Boki beigetragen als das Eingreifen Kekuanaoas«, bemerkte Hardman Pool.

»Es war Kahekilis Tod, der die Rebellion hintertrieb«, bestätigte Kumuhana. »Das einfache Volk floh, als sein Tod in jener Nacht bekannt wurde, und jeder begab sich in den Schutz der Grashäuser, zündete weder Feuer noch Pfeifen an, atmete nicht laut, blieb im Haus und war deshalb tabu für die Opferung. Und alle einfachen Krieger des Gouverneurs Boki ebenso wie seine Haole-Deserteure von den Schiffen flohen auf diese Weise, so daß die Bronzekanonen nicht bedient werden konnten und seine Handvoll Häuptlinge allein nichts auszurichten vermochte.