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Und was konnte ich darauf schon antworten? Mit dem Argument der Vernunft hatte er mich geschlagen. Außerdem tat mir der Kopf weh. Und das komische war - wie ich mir selbst eingestehen mußte - , daß die Evolution uns klipp und klar beweist, daß der Mensch sich auf allen vieren fortbewegte, ehe er zum aufrechten Gang gelangte, daß die Astronomie bestätigt, daß die Rotationsgeschwindigkeit der Erde sich ständig verringert und dadurch die Tageslänge zugenommen hat und daß die Seismologen der Auffassung sind, alle hawaiischen Inseln seien durch Vulkantätigkeit vom Meeresboden emporgewachsen.

Zum Glück sah ich, wie eine Bambusstange, die in etwa hundert Metern Entfernung auf dem Wasser trieb, sich plötzlich aufrichtete und einen wahren Veitstanz vollführte. Das lenkte uns von der fruchtlosen Diskussion ab, und Kohokumu und ich tauchten unsere Paddel ein und eilten mit unserem kleinen Auslegerkanu zu dem tanzenden Stab. Kohokumu griff nach der Leine, die am dicken Ende der Stange befestigt war, und holte sie mit beiden Händen ein, bis schließlich ein etwa siebzig Zentimeter langer Ukikiki, der sich bis zum Schluß heftig wehrte, seinen nassen Silberleib in der Sonne aufblitzen ließ und mit dem Schwanz auf dem Boden des Kanus einen Trommelwirbel zu schlagen begann. Kohokumu hob einen sich windenden, schleimigen Tintenfisch auf, biß ihm mit seinen Zähnen bei lebendigem Leib ein Stück Köderfleisch heraus, befestigte den Köder an dem Haken und ließ Leine und Gewicht über Bord fallen. Die Stange schwamm flach auf dem Wasser, und das Kanu trieb langsam davon. Während Kohokumu den Halbkreis überblickte, den zwanzig solcher flach auf dem Wasser liegenden Stangen bildeten, wischte er sich die Hände an seinem nackten Oberkörper ab und stimmte den ermüdenden und jahrhundertealten Gesang von Kuali an:

»Oh, der große Angelhaken Mauis!

Manai-i-ka-lani - festgemacht am Firmament!

An einer irdenen Schnur hängt der Haken,

Ausgeworfen vom hochaufragenden Kauiki!

Sein Köder ist der rotschnäblige Alae Der Hina geweihte Vogel!

Er sinkt, sich heftig wehrend Und unter Qualen sterbend

Tief hinab auf Hawaii!

An der Angel hängt das Land unter dem Wasser,

Es schwimmt hinauf, hinauf zur Oberfläche,

Hina jedoch verbarg eine Schwinge des Vogels Und brach das Land unter dem Wasser entzwei!

Der Köder dort unten wurde geschnappt Und sogleich von den Fischen,

Den Ulua der schlammigen Tiefen, verschlungen!«

Seine Greisenstimme war rauh und kratzig, da er auf einem Leichenschmaus am Abend zuvor zuviel Dünnbier getrunken hatte, was nicht gerade dazu beitrug, mich weniger reizbar zu machen. Mein Kopf schmerzte. Der grelle Glanz der Sonne auf dem Wasser tat meinen Augen weh, außerdem war ich mehr als nur ein wenig seekrank von dem heftigen Geschaukle des Auslegerkanus auf der bewegten See. Die Luft stand. Auf der Leeseite von Waihee, zwischen dem weißen Strand und dem Riff, milderte nicht der leiseste Windhauch die drückende Schwüle. Ich glaube wirklich, mir war viel zu übel, als daß ich mich dazu hätte aufraffen können, das Fischen aufzugeben und an Land zu gehen.

Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich zurück und verlor jedes Zeitgefühl. Ich vergaß sogar, daß Kohokumu sang, und wurde erst wieder daran erinnert, als er aufhörte. Ein Ausruf brachte mich dazu, meine Augen der stechenden Sonne preiszugeben. Er starrte durch das Nautiskop in die Tiefe.

»Es ist ein großer«, sagte er, reichte mir das Gerät und glitt mit den Füßen voraus ins Wasser.

Er tauchte ohne einen Spritzer und die kleinste Welle ein, drehte sich im Meer und schwamm nach unten. Ich verfolgte seinen Weg durch das Nautiskop, das nichts weiter als ein etwa siebzig Zentimeter langer, rechteckiger, nach oben hin offener Kasten mit einer den Boden wasserdicht verschließenden gewöhnlichen Glasscheibe ist.

Nun war Kohokumu eine Nervensäge, und seine Redseligkeit machte mich ganz krank, aber als ich beobachtete, wie er hinuntertauchte, konnte ich nicht umhin, ihn zu bewundern. Weit über siebzig Jahre alt, schlank wie eine Gerte und verschrumpelt wie eine Mumie, tat er etwas, wozu nur wenige junge Athleten meiner Rasse imstande sein würden. Bis zum Grund waren es zwölf Meter. Dort konnte ich, zum Teil sichtbar, doch größtenteils unter der Auswölbung eines Korallenstocks verborgen, sein Ziel erkennen. Seine scharfen Augen hatten den herausragenden Fangarm eines Tintenfisches entdeckt. Noch als er auf ihn zuschwamm, wurde der Tentakel langsam eingezogen, so daß nichts mehr von dem Tier zu sehen war. Doch das flüchtige Erscheinen dieses Tentakelstückchens ließ bereits vermuten, daß sein Besitzer ein Tintenfisch von beachtlicher Größe sein mußte.

Der Druck in einer Tiefe von zwölf Metern ist schon für einen jungen Mann keine Kleinigkeit, doch diesem Alten schien er nichts auszumachen. Ich bin sicher, daß es ihm nie in den Sinn kam, sich dadurch beeinträchtigt zu fühlen. Unbewaffnet, bis auf einen kurzen Malo oder Lendenschurz völlig nackt, ließ er sich von dem riesigen Tier, das seine Beute werden sollte, nicht abschrecken. Ich sah, wie er sich mit der rechten Hand an dem Korallenstock festhielt und seinen linken Arm bis zur Schulter in die Öffnung steckte. Eine halbe Minute verstrich, in der er mit der linken Hand herumzutasten und herumzuwühlen schien. Dann kam ein mit unzähligen Saugnäpfen bewehrter und heftig um sich schlagender Fangarm nach dem andern zum Vorschein. Sie packten seinen Arm und wanden und schlangen sich wie Nattern um seinen Körper. Plötzlich quoll mit einem Ruck der ganze Tintenfisch, ein richtiger Krake oder Polyp, hervor.

Doch der alte Mann hatte keine Eile, wieder in sein eigentliches Element, die Luft über dem Wasser, zu gelangen. Dort unten in zwölf Metern Tiefe, umklammert von einem Polypen, der von einer Fangarmspitze zur anderen einen Durchmesser von drei Metern hatte und den kräftigsten Schwimmer ohne weiteres ertränken konnte, tat er kaltblütig und ganz beiläufig das einzig Richtige, um über das Ungeheuer Herr zu werden. Er stieß sein mageres Habichtsgesicht direkt mitten hinein in die schleimige, sich windende Masse und biß mit seinen paar alten Hauern in das Herz und Lebenszentrum dieses Körpers. Nachdem das erledigt war, kam er langsam wieder nach oben, wie es jeder Schwimmer tun sollte, der aus der Tiefe hochsteigt und großen Druckunterschieden ausgesetzt ist. Am Kanu und noch während er im Wasser war und sich das gräßliche, ihn umklammernde Ding abschälte, brach der unverbesserliche alte Halunke in den Triumph-Pule aus, den schon unzählige Generationen von Krakenfängern vor ihm gesungen hatten:

»O Kanaloa der geweihten Nächte!

Steh aufrecht auf dem festen Boden!

Steh auf dem Boden, wo der Krake liegt!

Steh auf und hole den Kraken aus tiefer See!

Erhebe dich, o Kanaloa!

Reg dich! Reg dich! Weck den Kraken auf!

Laß den Kraken, der platt daliegt, erwachen! Laß den

Kraken, der ausgestreckt am Boden liegt.«

Ich verschloß Augen und Ohren und bot ihm nicht einmal meine Hilfe an, da ich genau wußte, daß er auch so in das schwankende Boot zurückklettern konnte und dabei nicht im mindesten Gefahr lief, es zum Kentern zu bringen.

»Ein prachtvoller Tintenfisch«, dröhnte er. »Es ist ein Wahine, ein weibliches Exemplar. Ich werde dir jetzt das Lied von der Kauri-Muschel vorsingen, der roten Kauri-Muschel, die wir als Köder für den Tintenfisch verwendeten - «

»Du hast dich gestern abend bei der Beerdigung schändlich benommen«, lenkte ich ihn ab. »Man hat mir alles über dich erzählt. Du hast viel Radau gemacht. Du hast gesungen, bis alle taub waren. Du hast den Sohn der Witwe beleidigt. Du hast Bier gesoffen wie ein Schwein. Dieses Gebräu ist nicht gut für dein hohes Alter. Eines Tages wirst du noch tot aufwachen. Du müßtest eigentlich heute ein Wrack sein.«