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»Wie groß, meinst du, wird sie sein?« erkundigte sich seine Frau.

»Das täuscht bei ihr«, war die taxierende Antwort. »Sie könnte etwa einen Meter fünfundfünfzig, vielleicht auch einen Meter sechzig oder einen Meter dreiundsechzig messen. Das kommt durch ihre Art zu gehen, die du als fast schwebend bezeichnet hast.«

»Ja, das ist es«, stimmte Frau Patterson zu. »Es ist ihre Energie, diese unbändige Lebenskraft, die sie scheinbar auf den Zehenspitzen gehen läßt.«

Stanley Patterson dachte eine Weile darüber nach.

»Ja, genau«, rief er aus. »Sie ist eigentlich ziemlich klein. Ich würde ihr ohne Schuhe einen Meter achtundfünfzig geben. Und als Gewicht würde ich ihr höchstens neunundvierzig, fünfzig, äußerstenfalls zweiundfünfzig Kilo zugestehen.«

»Sie wiegt bestimmt keine fünfzig Kilo«, behauptete seine Frau im Brustton der Überzeugung.

»Und angezogen und noch dazu mit ihrer Haltung (die der Vitalität und Willenskraft entspringt) würde ihre kleine Statur niemandem auffallen.«

»Ich kenne diese Art Frau«, nickte seine Frau. »Du begegnest ihr irgendwo in der Gesellschaft, und du hast das Gefühl, als sei sie, obwohl nicht unbedingt eine grazile, große Frau, doch sehr viel größer als der Durchschnitt. Und nun ihr Alter?«

»Das kannst du am besten einschätzen«, wich er aus.

»Sie könnte fünfundzwanzig, aber ebensogut achtunddreißig sein.«

Doch Stanley Patterson hatte ihr unhöflicherweise gar nicht zugehört.

»Es sind nicht nur ihre Beine!« rief er bewundernd aus. »Es ist ihre gesamte Erscheinung. Sieh nur die Zartheit ihres Unterarms. Und die sanft ansteigende Linie bis zur Schulter. Und dieser Bizeps! Er ist kräftig. Ich möchte wetten, daß sie ihn ganz beachtlich anspannen kann.«

Keiner Frau, viel weniger noch einer Ida Barton, hätte die Wirkung verborgen bleiben können, die sie am Strand von Waikiki hervorrief. Aber statt sie glücklich und ein wenig stolz zu machen, irritierte es sie nur.

»Diese falschen Frauenzimmer«, lachte sie ihrem Mann zu. »Und wenn man bedenkt, daß ich vor fast genau einem Drittel Jahrhundert hier geboren bin! Aber damals waren sie noch nicht so schlimm. Vielleicht weil es damals keine Touristen gab. Ja, Lee, genau an diesem Strand vor dem Outrigger habe ich schwimmen gelernt. Wir kamen immer mit Papa in den Ferien und an den Wochenenden hierher und kampierten in einer Grashütte, die eben an der Stelle stand, wo jetzt die Damen des Outrigger-Clubs ihren Tee einnehmen. Und Tausendfüßler fielen von dem Strohdach auf uns herab, während wir schliefen, und wir aßen alle Poi und Opihis und rohen Aku, und niemand hatte besonders viel an beim Schwimmen und Fischen, und es gab keine richtige Straße zur Stadt. Ich erinnere mich, daß sie bei starken Regenfällen manchmal so überschwemmt war, daß wir mit dem Kanu in die Stadt fahren mußten, über das Riff und dann durch den Hafen von Honolulu.«

»Wenn mich nicht alles täuscht«, fügte Lee Barton hinzu, »war das gerade zu der Zeit, als ein gewisser junger Bursche hierherkam, um auf seiner Rundreise für ein paar Wochen zu bleiben. Ich muß dich damals am Strand gesehen haben - eines von den Kindern, die wie die Fische schwammen. Ja, gütiger Gott, die Frauen hier ritten alle im Herrensitz, und das war lange, bevor die übrige weibliche Gesellschaft dies nicht mehr als unsittlich ansah und auch dazu überging, gleichzeitig beide Seiten eines Pferdes zu benutzen. Damals lernte ich selbst an diesem Strand schwimmen. Du und ich, wir haben vielleicht sogar auf den gleichen Brechern das Wellenreiten geübt, oder ich habe dir vielleicht eine Handvoll Wasser in den Mund gespritzt, und du hast mir dafür die Zunge herausgestreckt - «

Unterbrochen durch das hörbare, entrüstete Nach-Luft-Schnappen eines altjüngferlich wirkenden weiblichen Wesens, das sich in ihrer unmittelbaren Nähe in einem ungeheuer häßlichen Badeanzug sonnte, bemerkte Lee Barton, wie seine Frau sich unwillkürlich und fast sichtbar verkrampfte.

»Ich finde das amüsant«, sagte er zu ihr. »Dadurch werden deine kräftigen, kleinen Schultern nur noch kräftiger. Es mag dich vielleicht befangen machen, aber es gibt dir auch gleichzeitig ein unwahrscheinliches Selbstvertrauen.«

Denn, das muß man vorausschicken, Lee Barton war ein Übermensch ebenso wie seine Frau Ida, oder zumindest waren sie Personen, die von unerfahrenen Buchrezensenten so bezeichnet wurden, von oberflächlichen Männern und Frauen, akademisch verbildeten, saft- und kraftlosen Kritikern, die aufgrund des jämmerlichen Existenzniveaus, auf dem sie sich bewegen, nicht mehr imstande sind, großartige Menschen wahrzunehmen, die ihren Horizont übersteigen. Dieses traurige Völkchen, Echos einer längst überlebten Vergangenheit und aufdringliche, selbsternannte Sargträger der Gegenwart und Zukunft, die, Eunuchen gleich, nur stellvertretend leben und als Platzhalter fremder Sinnlichkeit agieren, behauptet, da sie selbst, ihre Umgebung und ihre beschränkten Lebensäußerungen mittelmäßig und banal sind, daß kein Mann und keine Frau über das Mittelmaß und das Banale hinausgelangen kann.

Da ihnen selbst Großartigkeit fehlt, sprechen sie der ganzen Welt Großartigkeit ab, zu feige für das Außergewöhnliche und den Heldenmut, versichern sie, daß Außergewöhnlichkeit und Heldenmut allerspätestens im Mittelalter aufgehört hätten zu existieren; selbst nur flackernde kleine Lichter, sind ihre schwachen Augen geblendet, so daß sie die flammenden Feuer anderer Seelen, die ihren Himmel erleuchten, nicht sehen. Da sie nicht mehr Kraft besitzen, als man sie Pygmäen zugestehen mag, können sie sich nicht vorstellen, daß anderen ein größeres Potential innewohnt. Früher gab es Riesen; doch diese Riesen sind, wie ihnen ihre modrigen Bücher erzählen, längst ausgestorben, und nur ihre Gebeine sind noch übrig. Weil man nie Berge gesehen hat, gibt es auch keine Berge.

Im Morast ihres in selbstzufriedener Weise auf Ewigkeit angelegten Bauernteiches behaupten sie, daß es außer in Märchenbüchern, alten Sagen und abergläubischen Überlieferungen keine hellgewandeten, leuchtenden Figuren mit strahlenden Mienen geben könne. Da sie nie Sterne erblickt haben, leugnen sie die Sterne. Da sie nie die leuchtenden Pfade, noch die Sterblichen gesehen haben, die auf ihnen wandeln, bestreiten sie die Existenz der Lichtpfade ebenso wie die Existenz der strahlenden Menschen, die sich auf diese Lichtpfade wagen. Weil sie die verengten Pupillen ihrer Augen für den Mittelpunkt der Welt halten, stellen sie sich das Universum nach ihrem eigenen Bild vor, machen ihre dürftigen Persönlichkeiten zu armseligen Maßstäben, mit denen sie die hell glänzenden Seelen messen wollen, indem sie sagen: »So groß sind alle Seelen und nicht größer; es ist unmöglich, daß es größere geben sollte, als wir es sind, und unsere Götter wissen, welche imposante Statur wir haben.«

Aber alle oder doch beinahe alle am Strand verziehen Ida ihren Badeanzug und ihre Figur, als sie ins Wasser ging. Eine Berührung ihrer Hand am Arm ihres Mannes, eine Andeutung und Aufforderung in ihrem lachenden Gesicht, und die beiden rannten ein halbes Dutzend Schritte, als wären sie eins, und sprangen gleichzeitig wie eine Person von dem festen, nassen Sand des Strandes ab, wobei ihre Körper in der Luft flache Kurven beschrieben, bevor sie ins Wasser tauchten.

Es gibt in Waikiki zwei Brandungen: die große Sturzseenbrandung, die weit draußen hinter der Sprungplattform tost, und die kleinere, sanftere, Wahine- oder Frauenbrandung, die sich am Ufer selbst bricht. Hier ist es sehr flach, so daß man dreißig oder mehr Meter waten kann, bevor es tief wird. Und doch erzeugt die Wahine-Brandung manchmal bis eineinhalb Meter hohe Wellen, so daß der feste Sandboden in Ufernähe einen Meter oder auch nur zehn Zentimeter tief unter der tobenden Gischt liegen kann. Vom Strand aus hier hineinzutauchen, sich im schnellen Lauf abzustoßen und durch die Luft zu fliegen, sich mitten im Flug zu drehen, so daß die Fersen nach oben und der Kopf nach unten schauen, und mit dem Kopf voran in das Wasser hineinzutauchen, dazu muß man die Wellen ganz genau kennen, den richtigen Zeitpunkt abschätzen und geübt und gewandt sein, um in solch wechselnde Wassertiefen mit einem schönen, furchtlosen Kopfsprung so flach wie nur möglich einzutauchen.