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Der Bootsführer sah die nächste Welle zuerst. »Wenn sie auf der zu reiten versuchen, dann gute Nacht«, murmelte er, denn er wußte, daß es den Schwimmer noch nicht gab, der mit ihr fertig werden würde. Selbst noch ohne Schaumbart, war dieser Wellenberg doch der Vater aller Bärtigen, eineinhalb Kilometer lang erhob er sich schon viel weiter draußen als die anderen, türmte seine kompakten Massen höher und höher, bis er den Horizont verdeckte und wie ein Riese seine Genossen überragte, ehe sein Gischtbart zu wachsen begann und sein Kamm sich zum Überschlagen ausdünnte.

Doch es war offensichtlich, daß der Mann und die Frau sich mit hohem Wellengang auskannten. Keinen einzigen schnellen Zug machten sie vor der Welle. Der Bootsführer klatschte ihnen innerlich Beifall, als er sah, wie sie sich zur Welle umdrehten und auf sie warteten. Es war ein Bild, das von allen Menschen am Strand nur er allein sah, herrlich deutlich und lebhaft durch sein Vergrößerungsglas. Die Wellenwand war wirklich eine Wand, die immer höher und höher und ganz oben immer dünner wurde, bis sie eine Transparenz erreichte, die die Farben der untergehenden Sonne durch das Grün und Blau des Meeres schimmern ließ. Das Grün lichtete sich zu einem helleren Ton, der, noch als er hinsah, ins Blaue überging. Doch es war ein leuchtender Edelstein mit unzähligen funkelnden rose- und goldfarbenen Sprenkeln, die im Sonnenlicht glitzerten. Weiter hinauf zum sprießenden Bart des ansteigenden Wellenkamms wurde die Farborgie immer intensiver, bis sie sich schließlich in ein sprühendes Kaleidoskop ineinander verschwimmender Regenbogen verwandelte.

Vor der Wellenfront waren die Köpfe des Mannes und der Frau nur als zwei winzige Punkte sichtbar. Lebendige Punkte waren es, die sich tollkühn zwischen die blinden Elementargewalten wagten und den titanischen Schlägen der See die Stirn boten. Das Gewicht dieser herab stürzenden Urwelle, die sich jetzt über ihren Köpfen auftürmte, konnte einen Mann betäuben oder einer zarten Frau die Knochen brechen. Der Bootsführer der Nummer Neun bemerkte nicht, daß er den Atem anhielt. Auch den Mann hatte er ganz vergessen, er dachte nur an die Frau. Verlor sie den Kopf oder den Mut oder setzte sie ihre Muskeln für einen Augenblick falsch ein, dann konnte sie durch diesen gigantischen Schlag dreißig Meter oder weiter durch die Luft geschleudert werden und würde mit verrenkten Gliedern hilflos und halb erstickt weitertreiben, um auf dem Korallengrund zermalmt und von der Unterströmung ins offene Meer hinausgespült zu werden, wo sie dann jener Haiart, die zu feige ist, sich lebendes Menschenfleisch zu holen, als Futter gedient hätte.

Warum tauchten sie nicht tief und beizeiten unter, fragte sich der Bootsführer, anstatt bis zum letzten Augenblick zu warten, wenn es vielleicht schon zu spät war! Er sah, wie die Frau den Kopf wandte und dem Mann zulachte und wie er seinerseits mit einer Kopfdrehung reagierte. Der Gischtbart, der über ihnen hing, zuerst cremeweiß, dann ins Rose- und Goldfarbene hinüberschäumend, wurde in einem Sprühregen von Juwelen emporgeschleudert. Der frische ablandige Passatwind fing diese Bartfransen, blies sie zurück und meterhoch in die Luft. Und da tauchten sie, Seite an Seite, im Abstand von zwei Metern, geradewegs in den Wellenüberhang hinein, der sich eben chaotisch auflöste und zusammenfiel. Wie Insekten, die in den Kelchwindungen irgendeiner prachtvollen, riesigen Orchidee verschwinden, so verschwanden sie, als Schaumbart und Wellenkamm, Sprühregen und Juwelen mit der Wucht vieler Tonnen zusammenstürzten und donnernd genau dort niederschmetterten, wo sie sich noch vor einem Augenblick befunden hatten.

Hinter der Woge, die sie durchtaucht hatten, sah man sie schließlich nebeneinander, immer noch im Abstand von zwei Metern mit gleichmäßigen Zügen auf den Strand zuhalten, bis sie sich von der nächsten Welle mitnehmen lassen oder sich ihr zudrehen und durch sie hindurchschwimmen würden. Der Bootsführer der Nummer Neun bedeutete seiner Mannschaft mit einem Winken, daß er sie nicht mehr brauchte, setzte sich mit einem unbestimmten Gefühl von Müdigkeit auf das Geländer des Lanai und beobachtete weiterhin die Schwimmer durch sein Fernglas.

»Wer und was sie auch sein mögen«, murmelte er, »sie sind jedenfalls keine Malihinis. Sie können einfach keine Malihinis sein.«

Die Brandung in Waikiki ist nicht jederzeit, ja sogar nur selten so stark; und an den folgenden Tagen erregten Ida und Lee Barton, die häufig am Strand und im Wasser zu sehen waren, weiterhin verächtliches Interesse in den Herzen der Touristinnen; die Führer der Auslegerkanus hingegen sorgten sich nicht mehr um sie, wenn sie im Wasser waren. Sie beobachteten, wie das Paar hinausschwamm und in der blauen Ferne verschwand, und wenn sie Glück hatten, konnten sie es Stunden später zurückkehren sehen, oder auch nicht. Der springende Punkt war, daß die Bootsführer sich wegen ihrer Rückkehr keine Gedanken mehr machten, weil sie wußten, daß sie wiederkommen würden.

Der Grund hierfür war, daß sie keine Malihinis waren. Sie gehörten dazu. Mit anderen Worten, oder vielmehr mit dem kraftvollen hawaiischen Ausdruck, sie waren Kamaaina. Kamaaina-Männer und -Frauen von vierzig erinnerten sich an Lee Barton noch aus ihren Kindheitstagen, als er wirklich ein Malihini gewesen war, wenn auch ein sehr junger. Seither hatte er nach etlichen langen Aufenthalten den Titel eines Kamaaina erlangt.

Ida Barton ihrerseits wurde von jungen Matronen ihres Alters (die sich insgeheim fragten, wie sie es schaffte, ihre Figur zu halten) mit Umarmungen und herzlichen hawaiischen Küssen begrüßt. Großmütter bestanden darauf, sie zum Tee einzuladen und in alten Gärten vergessener Häuser, die ein Tourist nie zu Gesicht bekommt, in Erinnerungen zu schwelgen. Kaum eine Woche nach ihrer Ankunft ließ die schon betagte Königin Liliuokalani nach ihr schicken und beklagte sich, daß sie vernachlässigt würde. Und alte Männer auf kühlen und dufterfüllten Lanais erzählten ihr mit zahnlosen Mündern vom Großpapa Kapitän Wilton, der zwar vor ihrer Zeit gelebt hatte, aber an dessen ungestüme Heldentaten und Schelmenstücke, die ihnen von ihren Vätern erzählt worden waren, sie sich mit Vergnügen erinnerten - Großpapa Kapitän Wilton oder David Wilton oder »Hansdampf«, wie ihn die Hawaiianer in jenen längst vergangenen Tagen zärtlich genannt hatten -Hansdampf, ehemaliger Nord-West-Händler, der gottlose, herumlungernde, schifflose und schiffbrüchige Skipper, der in Kailua am Strand gestanden und die allerersten Missionare begrüßt hatte, die mit der Brigg Thaddens im Jahr 1820 angelandet waren, und der wenige Jahre später mit einer ihrer Töchter durchgebrannt war, um sie zu heiraten, zur Ruhe kam und den Kamehamehas lange Zeit und umsichtig als Finanzminister und Leiter der Zollbehörde diente und der als Fürsprecher und Vermittler zwischen den Missionaren auf der einen und den Strandräubern, den Händlern und den hawaiischen Häuptlingen auf der kunterbunten anderen Seite tätig gewesen war.

Aber auch Lee Barton wurde nicht übergangen. Inmitten all der Diners und Mittagessen, der Luaus und abendlichen Poi-Essen, der Schwimm- und Tanzveranstaltungen als liebevolles Aloha ihnen beiden zu Ehren wurde seine Freizeit von der Bande lebhafter junger Burschen aus den alten Kohala-Tagen in Anspruch genommen, die seither erfahren mußten, daß sie über eine Verdauung und andere innere Funktionen verfügten, und die sich an so etwas wie ein gesetztes Leben gewöhnt hatten, die nicht mehr so oft lärmend zechten, sondern dafür viel Bridge spielten und oft zum Baseball gingen. Ähnlich verhielt es sich mit der alten Pokerclique aus Lee Bartons jüngeren Tagen, die jetzt um höhere Einsätze und Limits spielte, während sie Mineralwasser und Orangensaft trank und die letzte Jackpot-Runde unweigerlich auf Mitternacht festsetzte.