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Am Nachmittag desselben Tages sprangen Lee und Ida Barton wieder in das seichte Wasser vor dem Strand des Outrigger Clubs und schwammen mit gleichmäßigen Zügen an der Sprungplattform vorbei, hinaus ins tiefe Wasser hinter der Kanakenbrandung. So ruhig war die See, daß sie, als sie nach zwei Stunden kehrtmachten und sich anschickten, in aller Ruhe durch die Kanaken-Brandung in Richtung Strand zu schwimmen, das Meer ganz für sich allein hatten. Die Brecher waren nicht groß genug, um zu reizen, und die letzten gelangweilten Wellenreiter und Kanuten waren an Land gegangen. Plötzlich drehte sich Lee auf den Rücken.

»Was ist los?« rief Ida ihm aus zehn Metern Entfernung zu.

»Mein Fuß - ein Krampf«, antwortete er ruhig, wenngleich er die Worte mühsam zwischen den zusammengebissenen Zähnen herauspreßte.

Das Opium benebelte ihn noch, und er spürte keinerlei Erregung. Er beobachtete sie, wie sie mit so gleichmäßigen und ruhigen Zügen auf ihn zuschwamm, daß er ihre Selbstbeherrschung bewunderte, wenn ihn auch gleichzeitig Zweifel überfielen bei dem Gedanken, daß sie nur deshalb so gelassen war, weil sie sich so wenig aus ihm oder, besser, auf einmal so viel mehr aus Grandison machte.

»Welcher Fuß?« fragte sie, als sie ihre Beine nach unten sinken ließ und anfing, neben ihm Wasser zu treten.

»Der linke, aua! Jetzt sind es beide.«

Er zog die Knie an, als sei es eine unwillkürliche Reaktion, drückte den Kopf und die Brust nach oben aus dem Wasser und verschwand in einem der harmlosen Brecher. Nachdem er höchstens ein paar Sekunden unter Wasser gewesen war, kam er prustend wieder hoch und legte sich auf den Rücken.

Fast mußte er grinsen, doch es gelang ihm, sein Grinsen in eine schmerzhafte Grimasse zu verwandeln, denn sein vorgetäuschter Krampf war Wirklichkeit geworden. Zumindest in einem Fuß spürte er es, und die Muskeln zogen sich schmerzhaft zusammen.

»Der rechte schmerzt am meisten«, stieß er hervor, als sie sich daran machte, den Krampf wegzumassieren. »Aber es ist besser, wenn du mir vom Leib bleibst. Ich hatte früher schon Krämpfe, und ich weiß, daß ich dich dann leicht mit hinunterziehen könnte, wenn es schlimmer wird.«

Anstelle einer Antwort griff sie nach seinen harten, verknoteten Muskeln und fing an zu massieren, zu drücken und den Fuß zu beugen.

»Bitte«, preßte er zwischen den Zähnen hervor. »Du mußt von mir wegbleiben. Laß mich einfach nur hier treiben - ich werde den Knöchel und die Zehengelenke hin und her bewegen, und dann wird der Krampf verschwinden. Ich habe das früher auch schon so gemacht und weiß, wie man damit umgehen muß.«

Sie gehorchte, blieb jedoch, mühelos wassertretend, an seiner Seite und ließ ihn nicht aus den Augen, um die Fortschritte seines Selbstheilungsversuchs beurteilen zu können. Aber Lee Barton bog die Gelenke und spannte die Muskeln vorsätzlich in die falsche Richtung, so daß der Krampf sich nur noch verschlimmerte. Während seines Anfalls im Jahr zuvor hatte er, wenn ihn das Leiden beim Lesen im Bett überfiel, gelernt, sich zu entspannen und die Krämpfe durch bestimmte Bewegungen zu überwinden, ohne sich bei der Lektüre stören zu lassen. Jetzt jedoch machte er es genau umgekehrt, er verstärkte den Krampf, der, zu seinem freudigen Erschrecken, prompt auch auf die rechte Wade übersprang. Vor Schmerz schrie er auf, verlor anscheinend seine Selbstbeherrschung, versuchte, sich aufzurichten, und wurde von der nächsten Welle nach unten gedrückt. Er kam wieder hoch, spuckte Wasser und trieb mit ausgebreiteten Armen an der Oberfläche, während Ida seine krampfende Wade mit den starken Fingern ihrer kleinen Hände ergriff.

»Ist schon gut«, sagte sie, während sie ihn bearbeitete. »Ein solcher Anfall dauert nicht sehr lang.«

»Ich wußte nicht, daß sie so schlimm sein können«, stöhnte er. »Wenn es nur nicht weiter hinaufzieht. Man fühlt sich dabei so hilflos.«

In plötzlicher Panik packte er sie an beiden Oberarmen, versuchte, auf ihr aus dem Wasser zu klettern, wie etwa ein Ertrinkender auf ein Ruder zu klettern versucht, und tauchte sie unter. Ehe er sie freigab, wurden ihr beim Unterwasserkampf die Gummikappe heruntergerissen und die Haarnadeln herausgezogen, so daß sie, als sie nach Luft schnappend an die Oberfläche kam, kaum etwas sah, weil das nasse Haar auf ihrem Gesicht klebte. Er war auch sicher, daß sie aufgrund des Überraschungseffekts eine Menge Wasser geschluckt haben mußte.

»Bleib weg!« warnte er sie mit gespielter Verzweiflung, als er sich ausgestreckt treiben ließ.

Aber ihre Finger gruben sich schon tief in die wirklich schmerzenden Wadenmuskeln, und er konnte keine Furcht bei ihr feststellen.

»Es kriecht herauf«, murmelte er zwischen den fest zusammengepreßten Zähnen, wobei das Murmeln selbst schon ein halb unterdrücktes Stöhnen war.

Er machte, wie bei einem neuen Anfall, das ganze rechte Bein steif, was zwar für seine tatsächlich vorhandenen kleineren Krämpfe sehr schmerzhaft war, wodurch aber die Muskeln seines Oberschenkels derart angespannt wurden, daß sie tatsächlich krampfartig verhärtet schienen.

Die Droge wirkte immer noch in seinem Kopf, so daß er dieses grausame Spiel fortsetzen konnte, während er gleichzeitig die Selbstbeherrschung und Willensstärke bewunderte, die ihr im Gesicht geschrieben standen. Auch den tödlichen Schrecken in ihren Augen sah er und dahinter, noch tiefer, ihren Mut, ihre hochherzige Denkweise und ihre Entschlossenheit, die nicht klein beigaben.

Und überdies verkündete sie nicht in billiger Ergebung so etwas wie: »Ich will mit dir sterben«. Statt dessen sagte sie ruhig und rief damit seine Bewunderung hervor: »Entspanne dich. Laß dich so weit sinken, bis nur noch deine Lippen über Wasser sind. Ich werde dir den Kopf hochhalten. Jeder Krampf muß irgendwann einmal aufhören. Noch nie ist ein Mensch an Land an einem Krampf gestorben. Dann sollte ein guter Schwimmer ihn auch im Wasser überleben. Er muß irgendwann einmal seinen Höhepunkt erreichen und vorübergehen. Wir sind beide gute Schwimmer - und bewahren einen kühlen Kopf - «

Er verzerrte sein Gesicht und zog sie absichtlich unter Wasser. Aber als sie wieder hochkamen, war sie immer noch an seiner Seite, hielt seinen Kopf, während sie weiter Wasser trat und sagte:

»Entspanne dich. Ganz ruhig. Ich werde deinen Kopf über Wasser halten. Steh es durch. Du mußt durchhalten. Kämpfe nicht dagegen an. Laß ganz locker - auch vom Kopf her, und dein Körper wird auch locker werden. Gib nach. Erinnerst du dich, wie du mir beigebracht hast, der Unterströmung nachzugeben.«

Ein für so eine leichte Brandung ungewöhnlich großer Brecher türmte sich über ihnen auf, und Lee kletterte wieder auf ihr nach oben und versenkte beide, als der Wellenkamm sich überschlug und niederstürzte.

»Vergib mir«, murmelte er zwischen qualvoll zusammengebissenen Zähnen, als sie beide wieder nach Luft schnappen konnten. »Und laß mich los.« Er sprach abgehackt, mit schmerzerfüllten Pausen zwischen den Sätzen. »Es ist nicht nötig, daß wir beide ertrinken. Ich muß sterben. Der Krampf wird jeden Moment meinen Bauch erreichen, und dann werde ich dich mit hinunterziehen und dich nicht mehr loslassen können. Bitte, bitte, meine Liebe, bleib weg von mir. Einer von uns ist genug. Du hast noch vieles, wofür du leben mußt.«

Sie sah ihn so voller Vorwurf an, daß die letzte Spur von Todesfurcht aus ihren Augen verschwunden war. Es war, als hätte sie überdeutlich gesagt: »Ich lebe nur für dich.«

Dann galt Sonny ihr nicht soviel wie er! - war Bartons jubilierende Schlußfolgerung. Aber er erinnerte sich daran, wie er sie unter den Topffruchtbäumen in Sonnys Armen gesehen hatte, und blieb weiter unversöhnlich. Außerdem war es das Gift, das noch in ihm steckte und ihm diese Grausamkeit eingab. Wenn er schon einmal einen Härtetest begonnen hatte, drängte der Mohnsaft, dann sollte es auch kein Kinderspiel werden.