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Der ganze Verdruß fing mit Stephen Kalunas Schwester an. Als sie in Verdacht geriet, erkrankt zu sein, schaffte ihr Bruder sie fort und versteckte sie, ehe Dr. Strawbridge sie untersuchen konnte. Lyte war Sheriff von Kona, und es war seine Pflicht, sie aufzustöbern.

Wir waren an diesem Abend alle drüben in Hilo bei Ned Austin. Als wir hereinkamen, saß Stephen Kaluna schon da, allein, betrunken und streitsüchtig. Lyte lachte über irgendeinen Witz - lachte dieses gewaltige, glückliche Lachen eines Riesenjungen. Kaluna spuckte verächtlich auf den Fußboden. Lyte bemerkte es wie alle anderen auch, beachtete den Kerl jedoch nicht. Kaluna suchte Streit. Er empfand es als eine persönliche Beleidigung, daß Lyte seine Schwester festnehmen wollte. Er zeigte auf ein halbes Dutzend verschiedene Arten sein Mißfallen über Lytes Anwesenheit, aber Lyte ignorierte ihn einfach. Ich vermutete, daß er Lyte wohl ein bißchen leid tat, denn das Festnehmen von Leprakranken war die schwerste Bürde seines Amtes. Es war nicht angenehm, in das Haus eines Menschen zu gehen, einen Vater, eine Mutter oder ein Kind herauszuholen, die nichts Unrechtes getan hatten, und so jemanden in die ewige Verbannung nach Molokai zu schicken. Natürlich ist es zum Schutz der Gesellschaft notwendig, und Lyte, davon bin ich fest überzeugt, wäre der erste gewesen, der seinen eigenen Vater festgenommen hätte, wenn er verdächtigt worden wäre.

Schließlich platzte Kaluna heraus: >Hören Sie, Gregory, Sie glauben, daß Sie Kalaniweo finden werden, aber das werden Sie nicht!<

Kalaniweo war seine Schwester. Lyte blickte zu ihm hin, als sein Name fiel, antwortete aber nicht. Kaluna war wütend. Er steigerte sich immer mehr in seinen Zorn hinein.

>Eins will ich Ihnen sagen! < rief er. >Bevor Sie Kalaniweo dorthin bringen, werden Sie sich selbst auf Molokai wiederfinden. Ich will Ihnen sagen, was Sie sind. Sie haben kein Recht, sich in der Gesellschaft ehrlicher Leute aufzuhalten. Sie haben furchtbar viel von Ihrer Pflicht geredet, nicht wahr? Sie haben viele Aussätzige nach Molokai geschickt und wußten dabei die ganze Zeit, daß Sie selbst dorthin gehören.<

Ich hatte Lyte mehr als einmal wütend gesehen, aber nie so wütend wie in diesem Augenblick. Über Lepra, müssen Sie wissen, scherzt man bei uns nicht. Er machte einen Satz quer durch den Raum, packte Kaluna am Kragen und zog ihn von seinem Stuhl hoch. Er schüttelte ihn wild hin und her, bis man die Zähne des Mischlings klappern hörte.

>Was meinen Sie damit?< fragte Lyte. >Heraus damit, Mann, oder ich werde Sie so lange würgen, bis Sie’s ausspucken!<

Sie wissen, daß es im Westen eine bestimmte Redensart gibt, die man nur mit einem Lächeln über die Lippen bringen darf. So ist es auch bei uns auf den Inseln, nur geht es bei unserer Redensart um den Aussatz. Was Kaluna auch immer sein mochte, ein Feigling war er nicht. Sobald Lyte den Griff um seinen Hals lockerte, antwortete er:

>Ich werde Ihnen sagen, was ich meine. Sie sind selbst ein Aussätziger.<

Lyte stieß den Mischling plötzlich seitwärts in einen Stuhl, wobei er noch recht schonend mit ihm umging. Dann brach er in ein aufrichtiges, herzliches Lachen aus. Aber er lachte ganz allein, und als er das merkte, blickte er sich um und sah in unsere Gesichter. Ich war an seine Seite getreten und versuchte, ihn zum Fortgehen zu bewegen, aber er nahm keine Notiz von mir. Er starrte wie gebannt auf Kaluna, der sich verwirrt und nervös über den Hals strich, als wolle er die Ansteckung durch die Finger, die ihn umklammert hatten, abwischen. Die Bewegung war nicht bedacht, völlig unwillkürlich.

Lyte wandte sich zu uns um; langsam wanderte sein Blick von einem Gesicht zum anderen.

>Mein Gott, Freunde! Mein Gott!< sagte er.

Er sprach diese Worte nicht, es war mehr ein heiseres Flüstern des Schreckens und Grauens. Es war Furcht, die in seiner Kehle zitterte, und ich glaube nicht, daß er je zuvor in seinem Leben Furcht gekannt hatte.

Dann aber brach sein ungeheurer Optimismus durch, und er lachte wieder.

>Ein guter Witz - wer auch immer ihn sich ausgedacht hat<, sagte er. >Ich gebe eine Runde aus. Für einen Augenblick habt ihr mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Aber macht das nie wieder, Freunde, mit keinem. Es ist zu ernst. Ich sage euch, in diesem Moment bin ich tausend Tode gestorben. Ich dachte an meine Frau, meine Kinder und.. .<

Die Stimme versagte ihm, und der Mischling, der sich immer noch den Hals abwischte, zog seinen Blick auf sich. Er war verwirrt und beunruhigt.

>John<, sagte er und wandte sich zu mir.

Seine heitere, volltönende Stimme klang mir in den Ohren. Aber ich konnte nicht antworten. Ich mußte in diesem Augenblick schwer schlucken, und außerdem wußte ich, daß mein Gesichtsausdruck mich verraten würde.

>John<, rief er noch einmal und kam einen Schritt näher.

Es klang ängstlich, und von allen schrecklichen Alpträumen war dies der schlimmste: Ängstlichkeit in Lyte Gregorys Stimme zu hören.

John, John, was soll das heißen?< fuhr er noch furchtsamer fort. >Es ist doch ein Scherz, nicht wahr? John, hier ist meine Hand. Wenn ich ein Aussätziger wäre, würde ich dir dann meine Hand reichen? Bin ich ein Aussätziger, John?<

Er hielt mir seine Hand hin, und was, zum Teufel, kümmerte es mich? Er war mein Freund. Ich nahm seine Hand, obwohl es mir ins Herz schnitt, zu sehen, wie sich sein Gesicht erhellte.

>Es war nur ein Scherz, Lyte<, sagte ich. >Wir haben uns einen Spaß mit dir erlaubt. Aber du hast recht. Es ist zu ernst. Wir werden es nicht wieder tun.<

Diesmal lachte er nicht. Er lächelte wie ein Mensch, der aus einem bösen Traum erwacht und immer noch unter dem Eindruck dieses Traumes steht.

>Na gut<, meinte er. >Aber macht so etwas nicht noch einmal, und ich werde euch eine Runde spendieren. Ich kann euch sagen, daß ihr Burschen mich für einen Augenblick ganz schön aus der Fassung gebracht habt. Seht nur, wie ich schwitze.<

Er seufzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn, während er sich anschickte, zur Bar zu gehen.

>Es ist kein Scherz<, sagte Kaluna plötzlich.

Ich sah ihn mordlüstern an, und ich hätte ihn auch wirklich umbringen können. Doch ich wagte weder zu sprechen noch zuzuschlagen. Das hätte die Katastrophe nur beschleunigt, und ich hatte ja immer noch die unsinnige Hoffnung, sie abwenden zu können.

>Es ist kein Scherz<, wiederholte Kaluna. >Sie sind ein Aussätziger, Lyte Gregory, und Sie haben nicht das Recht, mit Ihren Händen den Körper anständiger Menschen zu berühren -den gesunden Körper anständiger Menschen.<

Da ging Gregory hoch.

>Der Spaß ist jetzt weit genug gegangen! Hören Sie auf damit! Hören Sie auf damit, sag’ ich, Kaluna, oder ich verpasse Ihnen eine Tracht Prügel!<

>Lassen Sie zuerst eine bakteriologische Untersuchung machen<, entgegnete Kaluna, >dann können Sie mich zusammenschlagen - totschlagen, wenn Sie wollen. Mann, schauen Sie sich doch dort im Spiegel an. Sie können es sehen. Jeder kann es sehen. Sie bekommen schon das Löwengesicht. Haben Sie nicht bemerkt, daß die Haut dort über den Augenbrauen dunkler geworden ist?<

Lyte starrte und starrte, und ich sah, wie seine Hände zitterten.

>Ich kann nichts feststellen<, sagte er schließlich und wandte sich zu dem Hapa-haole um. >Sie haben eine schwarze Seele, Kaluna. Und ich schäme mich nicht, Ihnen zu sagen, daß Sie mir einen Schrecken eingejagt haben, den kein Mensch einem anderen einjagen darf. Ich nehme Sie beim Wort. Ich werde der Sache sofort auf den Grund gehen. Ich gehe jetzt gleich zu Doktor Strowbridge. Und wenn ich zurückkomme, dann nehmen Sie sich in acht!<