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Ihnen fällt dann auch schon einmal einer ihresgleichen zum Opfer, wie während des hochdramatischen Sturms in »Parlays Perlen«, der Geschichte eines Franzosen, der durch seine Heirat mit einer Herrin über ein Atoll nahe Tahiti nach deren Tod zum »König« avanciert, aber seine in Frankreich erzogene Tochter verliert, als er sie wegen eines Hurrikans nicht rechtzeitig in Papetee abholen kann: Die feine Gesellschaft Tahitis schneidet die nicht Reinrassige. Sie, die aufgrund ihrer französischen Erfahrungen auf derartiges nicht vorbereitet ist, begeht Selbstmord. Mehr als fünfzehn Jahre später will der alte Vater, der inzwischen tonnenweise Perlen auf dem Atoll angehäuft hat, ohne jemals auch nur eine zu verkaufen, Rache nehmen. So kündigt er eine Auktion an, hoffend, daß die einlaufenden Schiffe in die Falle eines Hurrikans gehen werden. Aber nicht nur sie, sondern auch der geistesverwirrt-überhebliche Parlay selbst, der Herr über die Naturgewalten zu sein glaubt, wird Opfer des verheerenden Sturms - und zugleich jene raffgierigen Geister, die er gerufen hat und die nicht einmal - einer von ihnen jedenfalls - vor einem Mordversuch zurückschrecken.

Die bisher genannten Erzählungen wurden während der drei Jahre nach Beendigung der Seereise veröffentlicht, die London wegen zahlreicher Krankheiten abbrechen mußte. Es war eine Zeit ehrgeiziger Pläne - vor allem des Ausbaus und der Vergrößerung der Ranch fünfzig Meilen nördlich von San Francisco nahe dem kleinen Ort Glen Ellen. London wollte Landwirtschaft auf wissenschaftlicher Basis betreiben, baute sterile Schweineställe, pflanzte mit hohen Kosten Eukalyptusbäume, kaufte eine teure Zuchtstute. Aber die Ranch wurde zu einem Alptraum, die finanziellen Probleme verschärften sich trotz der täglich tausend Worte, die London wie eh und je zu Papier brachte; denn auch Investitionen in ein neues lithographisches Verfahren etwa oder in die Verfilmung des Seewolfs erwiesen sich als Fehlschläge. Hinzu kamen persönliche Probleme - eine Fehlgeburt Charmians, der eigene Alkoholismus, Rheuma, Nierenkoliken, schließlich im August

1913 der Brand des fast fertiggestellten »Wolfhauses«, jenes in den Augen der sozialistischen Freunde einigermaßen suspekten feudalen Bauwerks. Aber auch jene die Öffentlichkeit irritierenden Widersprüche mehrten sich: So hatte sich London etwa in einem offenen Brief freimütig auf die Seite der »Sozialisten, Anarchisten, Landstreicher, Hühnerdiebe, Geächteten und unerwünschten Bürger der Vereinigten Staaten« geschlagen und unverhohlen mit den mexikanischen Revolutionären sympathisiert - der boxende Held in der Erzählung »Der Mexikaner« gehört zu ihnen, aber die späteren Berichte über den Krieg in Mexiko für Collier’s Magazine ließen - so jedenfalls die Zeitschrift The Nation - auf einen Autor schließen, der sich offensichtlich die »Finger nach den Millionen von Golddollars (leckte), die dem rechtmäßigen Besitzer, dem mexikanischen Peon, von den räuberischen Handlangern des internationalen Kapitals entrissen worden waren«.

Jack Londons von Problemen überschattete persönliche und berufliche Situation, die zweifellos die zahlreichen Widersprüche und unvermittelten ideologischen Kehrtwendungen erklären hilft, schlägt sich auf direkte Weise in den Kurzgeschichten und Erzählungen dieser Zeit nieder: Neben den profitorientierten und zuweilen rassistischen Figuren begegnet man häufig Gestalten, deren Menschlichkeit und Opferbereitschaft offensichtlich das idealisierte Bild eigener Sehnsüchte sind. Derartiges trifft ohne Zweifel auf die zuerst im September 1909 im London Magazine, dann in der Sammlung Südseegeschichten veröffentlichte Erzählung »Der Heide« zu. Der Ich-Erzähler, ein Perlenhändler, rettet, nachdem das Schiff in einem höllischen Hurrikan untergegangen ist - London schildert ihn ebenso mitreißend wie in »Parlays Perlen« -, einen Kanaken, den der holländische Kapitän einen »schwarzen Heiden« schimpft und den er mit Gewalt von einem Wrackteil vertreibt. Oto’o - so der Name dieses »edlen Wilden« - klammert sich voller Dankbarkeit an den durchaus profitorientierten und mit Arbeitskräften handelnden Weißen: Nachdem sie gleich nach der gemeinsamen Rettung zum Zeichen der Freundschaft die Namen getauscht haben, wird Oto’o, der eigentlich gegen seinen Willen zum Geschäftspartner und gemeinsamen Schiffseigner avanciert, zum zivilisierenden und humanisierenden Einflußfaktor im Leben des Weißen und seiner Familie. Nach siebzehn Jahren endet die Brüderschaft jedoch jäh, als Oto’o - wie London selbst ein Materialist mit Wissen um die Endgültigkeit des Todes - sein eigenes Leben zur Rettung des mit dem Boot Gekenterten und von einem Hai Umkreisten einsetzt. Oto’o ist mutig, aber nicht aggressiv, ein Heide ohne christliche Moralvorstellungen, aber ein guter Mensch. Er verkörpert zu diesem Zeitpunkt, unmittelbar nach der Snark-Fahrt, bereits das, was London mehr als fünf Jahre später in seiner Einleitung zu der von Uptain Sinclair herausgegebenen Anthologie sozialer Protestliteratur The Cry for Justice (1915) als die wichtigsten ethischen Grundsätze bezeichnet, die eine zutiefst ungerechte Welt - Ungerechtigkeit lastet er nicht Gott und der Natur an, sondern dem Menschen -brauche: Sympathie, Mitgefühl, Selbstlosigkeit. Die in der Anthologie vertretenen Sozialisten hätten sich, so London, nicht am kapitalistischen Profit, sondern am Ideal des »Dienstes« orientiert. Eine sich zum Besseren hin entwickelnde Gesellschaft dürfe sich nicht länger durch Gewalt dominieren lassen, müsse vielmehr »Liebe, Dienst am anderen, Brüderlichkeit« praktizieren.

Die 1916 entstandenen letzten Hawaiigeschichten - London hatte nach 1912 zeitweilig das Schreiben von Kurzerzählungen eingestellt - dokumentieren den Bruch mit der proletarischen Vergangenheit, der 1916 im Austritt aus der Sozialistischen Partei gipfelt. London weicht - allerdings nicht unbedingt zu seinem Schaden - vor den persönlichen und beruflichen Problemen endgültig ins Reich der Phantasie, der hawaiischen Geschichte, der alten Mythen aus. Während der erneuten längeren Aufenthalte auf den Inseln 1915 und 1916 gilt er schon als »Kamaaina«, als ein alter Haiwaiianer. Jack London ist jedoch offensichtlich bereits ein gezeichneter, ein todkranker Mann - Rheumaanfälle, Nierenentzündung, Urämie und die Angst, er könne eine Geschlechtskrankheit haben, setzen ihm seit längerem zu. Aber er sammelt nicht nur medizinische Fachliteratur, er vertieft sich seit einiger Zeit auch in die Psychoanalyse, sieht sich bei der Lektüre C. G. Jungs - einiges ist gerade unter dem Titel Psychology of the Unconscious in englischer Sprache erschienen - »auf der Schwelle zu einer Welt, die so neu, so schrecklich, so wunderbar ist, daß ich mich fast fürchte, hinüberzuschauen«. So unterstreicht er in der Einleitung zur amerikanischen Ausgabe Stellen über die Symbolik der Wiedergeburt und über die Figur der Mutter auch eine Bemerkung über den »Charakter und die Intelligenz, die es möglich machen, sich zu überwinden, die eigene nackte Seele zu schauen und die damit verbundenen Schmerzen und Leiden zu ertragen«.