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Er sah uns nicht mehr an, sondern steuerte auf die Tür zu. >Warte hier, John<, sagte er und hielt mich mit einer Handbewegung zurück, als ich ihn begleiten wollte.

Wir standen da wie eine Schar von Gespenstern.

>Es ist die Wahrheit<, sagte Kaluna. >Sie konnten sich mit eigenen Augen davon überzeugen.<

Sie schauten mich an, und ich nickte. Harry Burnley hob sein Glas an die Lippen, setzte es aber wieder ab, ohne getrunken zu haben. Dabei vergoß er die Hälfte über den Tresen. Seine Lippen zitterten wie bei einem Kind, das gleich weinen wird. Ned Austin rumorte im Eisschrank herum. Er suchte nichts Bestimmtes. Ich glaube, er wußte gar nicht, was er tat. Keiner sagte etwas. Harry Burnleys Lippen bebten noch heftiger als zuvor. Mit einer fürchterlichen, haßerfüllten Miene versetzte er Kaluna plötzlich einen Faustschlag ins Gesicht. Und er schlug weiter zu. Wir machten keinen Versuch, sie zu trennen. Es war uns einerlei, ob er den Mischling tötete. Es war eine schreckliche Prügelei. Aber uns interessierte es nicht. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wann Burnley aufhörte und dem armen Teufel erlaubte, sich aus dem Staub zu machen. Wir waren alle viel zu verstört.

Doktor Strowbridge hat mir später erzählt, wie es bei ihm zuging. Er saß noch spät über einem Bericht, als Lyte sein Sprechzimmer betrat. Lyte hatte bereits seinen Optimismus wiedergewonnen und kam voller Schwung herein; zwar ein bißchen verärgert über Kaluna, gewiß, aber ganz selbstsicher. >Was sollte ich tun?< fragte der Doktor mich. >Ich wußte ja, daß er es hatte. Ich hatte es seit Monaten kommen sehen. Ich konnte ihm nicht antworten. Ich konnte nicht ja sagen. Ich schäme mich auch nicht, Ihnen zu erzählen, daß ich die Fassung verlor und zu weinen anfing. Er bat mich inständig um den bakteriologischen Test. ,Schnippeln Sie ein Stück heraus, Doktor’, sagte er immer wieder. , Schnippeln Sie ein Stückchen Haut heraus und machen Sie den Test.‘<

Daß Dr. Strowbridge in Tränen ausbrach, mußte Lyte überzeugt haben. Am nächsten Morgen fuhr die Claudine nach Honolulu ab. Wir erwischten ihn noch, als er gerade an Bord ging. Er wollte nämlich nach Honolulu, um sich selbst der Gesundheitsbehörde zu stellen. Wir konnten nichts bei ihm ausrichten. Er hatte zu viele nach Molokai geschickt, um jetzt selbst hierbleiben zu können. Wir versuchten ihn dazu zu überreden, nach Japan zu fahren. Doch davon wollte er nichts hören. >Ich muß meine Medizin schlucken, Freund< war alles, was er darauf entgegnete, und er sagte es immer wieder. Er war wie besessen von dem Gedanken.

Er regelte alle seine Angelegenheiten von der Aufnahmestation in Honolulu aus und fuhr dann nach Molokai. Dort ging es ihm nicht gut. Der auf der Insel wohnende Arzt schrieb uns, daß er nur noch ein Schatten seiner selbst sei. Er sorgte sich um seine Frau und die Kinder, wissen Sie. Zwar wußte er, daß wir uns ihrer annahmen, aber trotzdem schmerzte es ihn. Nach einem halben Jahr etwa fuhr ich nach Molokai. Ich saß auf einer Seite eines verglasten Schalterfensters, er auf der anderen. Wir sahen uns durch die Glasscheibe an und redeten durch eine Art Sprachrohr miteinander. Aber es war hoffnungslos. Er hatte sich entschlossen zu bleiben. Vier endlose Stunden lang versuchte ich, ihn umzustimmen. Am Ende war ich erschöpft. Außerdem signalisierte mein Dampfer seine Abfahrt.

Aber wir konnten das nicht einfach so hinnehmen. Drei Monate später charterten wir den Schoner Halcyon. Er war ein Opiumschmuggler und segelte wie der Teufel. Sein Kapitän war ein Skandinavier, der für Geld zu allem bereit war, und wir mieteten ihn für eine Fahrt nach China, bei der er auf seine Kosten kam. Er fuhr von San Francisco los, und ein paar Tage später stachen wir mit der Schaluppe von Landhouse in See. Sie war nur eine Jacht von fünf Tonnen, aber wir trieben sie fünfzig Meilen gegen den Wind in den Nordostpassat hinein. Seekrank? Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so gelitten. Als das Land außer Sicht war, trafen wir auf die Halcyon, und Burnley und ich gingen an Bord.

Wir nahmen Kurs auf Molokai, wo wir gegen elf Uhr nachts ankamen. Der Schoner drehte bei, und wir ruderten mit einem Walfängerboot durch die Brandung nach Kalawao - das ist der Ort, wo Pater Damien starb, wissen Sie. Dieser Skandinavier war gleich mit von der Partie. Mit einem Paar Revolvern, die er sich umgeschnallt hatte, schloß er sich uns an. Alle drei marschierten wir nun über die Halbinsel nach Kalaupapa, eine Strecke von etwa drei Kilometern. Stellen Sie sich vor, Sie sollten mitten in der Nacht in einer Kolonie von über tausend Aussätzigen nach einem Mann suchen. Wenn Alarm geschlagen wurde, verstehen Sie, dann wäre es mit uns ausgewesen. Es war unbekanntes Gelände und stockdunkle Nacht. Die Hunde der Aussätzigen kamen heraus und bellten uns an, und wir stolperten umher, bis wir nicht mehr weiterwußten.

Der Skandinavier fand schließlich eine Lösung. Er führte uns in die erste einzeln stehende Hütte. Wir schlossen die Tür hinter uns und machten Licht. Sechs Aussätzige lagen drinnen. Wir holten sie aus ihren Betten, und ich redete in der Eingeborenensprache mit ihnen. Was ich brauchte, war ein Kokua. Ein Kokua ist, wörtlich übersetzt, ein Helfer, ein Eingeborener, der gesund ist, der in der Kolonie wohnt und von der Gesundheitsbehörde bezahlt wird, um die Aussätzigen zu pflegen, ihre Wunden zu verbinden und dergleichen mehr. Wir blieben im Haus, um die Bewohner im Auge zu behalten, während der Skandinavier einen von ihnen mitnahm, um einen Kokua zu finden. Das gelang ihm auch, und er brachte ihn mit dem Revolver im Anschlag zu uns herüber. Doch der Kokua war in Ordnung. Während der Skandinavier auf das Haus aufpaßte, führte der Kokua Burley und mich zu Lytes Behausung. Er war ganz allein.

>Ich dachte mir schon, daß ihr kommen würdet<, sagte Lyte. >Rühr mich nicht an, John. Wie geht’s Ned und Charley und der ganzen Bande? Laß nur, erzähl’ es mir später. Ich bin jetzt bereit mitzukommen. Ich habe inzwischen neun Monate hinter mir. Wo ist das Boot?<

Wir machten uns auf den Rückweg zu dem anderen Haus, um den Skandinavier mitzunehmen. Doch da war schon Alarm gegeben worden. In den Häusern gingen die Lichter an, und Türen wurden geschlagen. Wir hatten ausgemacht, nicht zu schießen, wenn es nicht unbedingt notwendig war, und als wir aufgehalten wurden, gingen wir mit den Fäusten und Revolverknäufen auf sie los. Ich geriet in ein Handgemenge mit einem großen Mann. Obwohl ich ihm zweimal ziemlich kräftig mit der Faust ins Gesicht schlug, konnte ich ihn mir nicht vom Leibe halten. Er umklammerte mich, und wir fielen beide hin, wälzten uns auf dem Boden, schlugen um uns und versuchten, uns gegenseitig zu packen. Er hatte mich schon fast überwältigt, als jemand mit einer Laterne herbeigerannt kam. Da sah ich sein Gesicht. Wie soll ich diesen grauenhaften Anblick beschreiben! Das war kein Gesicht mehr - nur verwüstete oder der Verwüstung preisgegebene Züge: eine lebendige Verwesung, ohne Nase, ohne Lippen und mit einem Ohr, das geschwollen und verunstaltet auf seine Schulter herabhing. Ich war außer mir. Bei einer Umklammerung drückte er mich so fest an sich, daß mir dieses Ohr ins Gesicht klatschte. Da habe ich wohl den Verstand verloren. Es war einfach zu entsetzlich. Ich begann mit meinem Revolver auf ihn einzuschlagen. Wie es geschah, weiß ich nicht, aber gerade, als ich von ihm freikam, schnappte er mit seinen Zähnen nach mir. Meine ganze Handkante steckte in seinem lippenlosen Mund. Da schlug ich ihm mit dem Revolverknauf genau zwischen die Augen, und seine Zähne ließen los.«

Cudworth zeigte mir seine Hand im Mondlicht, und ich konnte die Narben erkennen. Sie sah aus wie von einem Hund zerbissen.

»Hatten Sie denn keine Angst?« fragte ich.

»Und ob. Sieben Jahre wartete ich. So lange dauert es nämlich, bis die Krankheit zum Ausbruch kommt. Ich wartete hier in Kona, und nichts passierte. Aber es verging kein Tag und keine Nacht in diesen sieben Jahren, in denen ich mir nicht all das hier immer wieder anschaute.« Die Stimme versagte ihm, als er seinen Blick von der im Mondlicht gebadeten See zu den schneebedeckten Gipfeln schweifen ließ. »Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, das alles zu verlieren, Kona nie wiederzusehen. Sieben Jahre! Ich blieb gesund. Aber das ist der Grund, weshalb ich allein lebe. Ich war verlobt. Ich durfte es nicht wagen zu heiraten, solange ein Zweifel bestand. Sie hat es nicht verstanden. Sie ging in die Staaten und heiratete dort. Ich habe sie seither nicht wiedergesehen.