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Er ließ sich am Ufer des Sees nieder und schaute zu den Überresten des großen Schiffes hinüber. Wenig später kam Medwyn nachdenklich über die Wiese herbei. Das Rehlein trottete neben ihm her, die drei Wölfe folgten ihm.

„Gurgi geht es ein wenig besser“, sagte der Alte und setzte sich neben Taran ins Gras. „Er ist außer Gefahr und wird rasch genesen. Ein Glück für ihn, daß ihr hierher gefunden habt.“

Taran war froh, daß es Gurgi besserging. Er sprach mit Medwyn über den Grund ihrer Reise und schilderte ihm, wie Gurgi verunglückt war. „Zuerst konnte ich ihn nicht leiden“, gestand er. „Doch nun beginne ich ihn allmählich gern zu haben – trotz seines ständigen Jammerns und Wehklagens.“

„Jedes Lebewesen verdient unsere Achtung“, sagte Medwyn und strich sich den Bart. „Es sei demütig oder stolz, schön oder häßlich.“

„Auch die Gwythaints?“ fragte Taran.

„Auch die“, sagte Medwyn. „Vorzeiten sind sie genau so frei gewesen wie alle anderen Vögel, freundlich und ohne Arg. Mit List und Heimtücke hat Arawn sie zu seinen Knechten gemacht. Er hält sie in eisernen Käfigen gefangen und richtet sie mit unbarmherziger Strenge für seine Dienste ab. Weil sie ihn fürchten, gehorchen sie ihm. Nicht besser erginge es jedem anderen Tier in Prydain, wenn er dort je zur Macht käme. Deshalb hause ich in dem verborgenen Tal hier, wo ich mit meinen Schützlingen vor ihm sicher bin. Wehe den unglückseligen Geschöpfen, die er in seine Gewalt bringt! Ein rascher Tod ist das Beste, was ihnen widerfahren kann.“

Taran nickte und sagte: „Mir wird immer klarer, weshalb ich die Söhne des Hauses Don vor ihm warnen muß. Können wir Gurgi bei Euch zurücklassen? Nirgendwo anders wäre er besser aufgehoben als hier.“

„Das mag sein“, pflichtete ihm der Alte bei. „Aber du würdest ihn tief verletzen, wenn du ihn hier zurückließest. Es ist Gurgis Verhängnis, daß er zur Zeit weder Fisch noch Fleisch ist: kein Tier mehr und noch kein richtiger Mensch. Daher ist er unsicher und mit sich selber uneins. Könnte er etwas Nützliches leisten, so wäre ihm dies eine große Hilfe. Ich glaube nicht, daß er euch auf der Reise behindern wird. Morgen schon wird er gesund sein und wieder laufen können, so gut wie ihr. Deshalb bitte ich dich, ihn mitzunehmen. Wie ich ihn kenne, wird er sich alle Mühe geben, um euch von Nutzen zu sein. Weder wird er euch seine Hilfe verweigern, sobald ihr sie braucht, noch wird er die eure verschmähen, wo ihr sie ihm gewährt. Ihr Menschen seid, jeder für sich allein genommen, nichts weiter als lahme Ameisen. Und ihr werdet es bleiben, sofern ihr nicht lernt, euch gegenseitig zu helfen.“

Taran schwieg. Medwyn tauchte die Hand ins Wasser und bewegte sie langsam hin und her. Nach einer Weile kam ein stattlicher Lachs herbeigeschwommen, der Alte streichelte ihm den Rücken.

„Was für ein Ort ist dies?“ fragte Taran mit verhaltener Stimme. „Bist du wirklich Medwyn? Du sprichst von den Menschen, als gehörtest du nicht zu ihnen.“

„Dies ist ein Ort des Friedens“, antwortete der Alte. „Deshalb ist für Menschen kein Platz hier, zumindest jetzt noch nicht. Vorerst ist es ein Tal der Zuflucht für alle Tiere des Waldes, der Luft und des Wassers. Wenn ihre Kraft dazu ausreicht, suchen sie in der Todesangst Schutz bei mir. Auch Tiere kennen den Schmerz und fürchten den Tod, sie haben es oft nicht leicht in der Welt der Menschen.“

„Dallben hat mir erzählt, daß Prydain vorzeiten von schwarzen Wassern überflutet worden sei“, sagte Taran. „Damals, so lehrte er mich, habe Newid Nav Neivion ein Schiff gebaut und mit dessen Hilfe von jeder Art Lebewesen ein Paar gerettet. Nach der Flut sei das Schiff dann gestrandet – niemand weiß, wo. Aber die Tiere, so lehrte mich Dallben weiter, erinnerten sich der Stelle noch heute. Das Wissen um diesen Ort hat sich bei ihnen durch die Jahrhunderte weitervererbt. Und hier“, fuhr er fort, indem er auf die Überreste des Schiffes deutete, „sehe ich etwas, das mir zu denken gibt. Gwydion nannte dich Medwyn – aber ich frage mich, ob das dein wirklicher Name ist.“

„Ich bin Medwyn und niemand sonst“, antwortete der Alte. „Außerdem ist das im Augenblick nicht so wichtig. Tausendmal wichtiger wäre es, in Erfahrung zu bringen, was mit Hen Wen geschehen ist.“

„So weißt du es auch nicht?“ fragte der Junge.

Medwyn schüttelte ernst das Haupt. „Fürst Gwydion hatte recht. Von allen Orten in Prydain hätte Hen Wen bei Gefahr für ihr Leben zuerst dieses Tal hier aufgesucht. Daß sie nicht angekommen ist, halte ich für kein gutes Zeichen.“

Taran spürte, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief. „Sollte sie tot sein?“ murmelte er.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Medwyn. „Doch ich fürchte, wir müssen mit allem rechnen.“

14. Der schwarze See

Am Abend gab Medwyn dem Jungen und seinen Gefährten ein Fest. Offenbar war er nicht darauf eingerichtet, Menschen in seiner Wohnhütte zu bewirten. Der Tisch war kaum lang genug für alle; und da es keine Stühle gab, mußten sie sich mit Holzkloben behelfen. Medwyn saß an der Stirnseite des Tisches. Das Rehkitz war schlafen gegangen, die Wölfe kuschelten sich zu seinen Füßen und knurrten zufrieden vor sich hin. Auf der Lehne seines Stuhles hockte ein mächtiger goldgefiederter Adler, der jede Bewegung im Raum mit scharfen Augen beobachtete. Dem guten Fflewddur war es nicht ganz wohl in seiner Gegenwart, doch das tat seinem Appetit keinen Abbruch. Als er nach dem ersten Gang anfragte, ob er noch ein Stück Wildbret bekommen könne, brach Medwyn in lautes Gelächter aus und erklärte ihm: „Wildbret? Das ist kein Fleisch, sondern Gemüse – freilich auf ganz besondere Art zubereitet.“

„Was gibt’s da zu staunen?“ fragte Eilonwy den verdutzten Sänger. „Erwartest du etwa, daß er uns seine Schützlinge vorsetzt? Das wäre genauso, als würde man jemand zum Essen einladen, um ihn dann an den Bratspieß zu stecken. Manchmal glaube ich fast, daß ihr wandernden Sänger nicht viel klüger seid als gewisse Hilfsschweinehirten.“

Taran verhielt sich während des Festmahles still, und still blieb er auch, als sie sich nach dem Essen ins Heu zurückzogen. Der Gedanke, Hen Wen könnte tot sein, machte ihm schwer zu schaffen. Da er nicht einschlafen konnte, verließ er nach einer Weile den Schuppen wieder und schaute zum Sternenhimmel empor.

Er versuchte, sich die Gedanken an Hen Wen aus dem Kopf zu schlagen. Seine Aufgabe war es, Caer Dathyl zu erreichen. Hinter diesem Ziel mußte im Augenblick alles andere zurückstehen. Eine Eule huschte über ihn hinweg, lautlos wie ein Gespenst. Dann löste sich ein Schatten neben ihm aus der Dunkelheit. Es war Medwyn. „Kannst du nicht schlafen?“ fragte er. „Eine durchwachte Nacht ist kein guter Anfang für eine Reise.“

„Ich wünschte, ich hätte sie hinter mir!“ seufzte Taran. „Manchmal fürchte ich, daß es mir nicht bestimmt ist, nach Hause zurückzukehren.“

„Kein Mensch weiß im voraus, wo seine Reise endet“, antwortete Medwyn. „Kann sein, daß du deine Heimat nie wiedersiehst, das ist wahr. Doch dürfen dich solche Gedanken von dem, was du tun mußt, abhalten?“

„Wüßte ich sicher, daß es für mich keine Rückkehr nach Caer Dallben gibt“, sagte der Junge, „dann wünschte ich mir, daß ich hier bei Euch bleiben dürfte, in diesem Tal.“

„Du bist einer der wenigen Menschen, die mir willkommen wären“, sagte der Alte. „Wenn es dein Wunsch ist, bei mir zu bleiben, dann bleibe! Gewiß könnten deine Freunde die Aufgabe, die euch gestellt ist, allein lösen.“

„Nein“, sagte Taran nach einer langen Pause. „Ich hab’ mich aus freien Stücken dazu entschlossen, das selbst zu tun; daran will ich festhalten.“