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Im Weitergehen prüfte er sorgfältig jeden abgebrochenen Zweig, jeden Grashalm. Nichts entging seinem scharfen Blick. Er bewegte sich lautlos dahin wie ein magerer grauer Wolf. Nach einem kurzen Wegstück verhielt er abermals, hob den zottigen Kopf, kniff die Augen zusammen und spähte zu einem fernen Bergrücken hinüber. „Die Fährte ist undeutlich“, sagte er. „Dennoch vermute ich, daß Hen Wen diesen Abhang hinuntergelaufen ist.“

„Woher wollt Ihr das wissen?“ fragte Taran.

Gwydion zog sein Jagdmesser aus dem Gürtel. „Sieh her!“ sagte er, kniete nieder und zog ein paar Linien in den Sand. „Dies sind die Adlerberge. Sie liegen in meiner Heimat, im Norden des Landes. Hier fließt der Avren-Fluß. Siehst du, wie er nach Westen abbiegt, bevor er das Meer erreicht? Möglicherweise werden wir ihn überqueren müssen, bevor wir mit unserer Suche zu einem Ende kommen. – Und dies ist der Ystrad-Fluß. Sein Tal führt nach Norden hinauf, in die Richtung von Caer Dathyl.

Aber hier“, fuhr Gwydion fort und deutete auf eine Gegend am linken Ufer des Ystrad, „hier beginnt Arawns Reich mit dem Drachenberg. Dieses Gebiet wird Hen Wen unter allen Umständen meiden, dazu ist sie viel zu lang als Gefangene in Annuvin gewesen.“

„Hen Wen – in Annuvin?“ fragte Taran überrascht.

„Vor langer Zeit“, sagte Gwydion, „lebte Hen Wen bei einem Bauern, der keine Ahnung von ihren geheimnisvollen Kräften hatte. Arawn aber wußte davon und raubte sie. Was für gräßliche Dinge mit ihr geschehen sind, während sie Arawns Gefangene war, davon wollen wir lieber schweigen.“

„Die Arme!“ sagte Taran. „Es muß schrecklich für sie gewesen sein. Und wie ist sie wieder entkommen?“

„Man hat sie befreit“, sagte Gwydion. „Ein einzelner Krieger hat sie herausgeholt, mitten aus Arawns Reich. Noch heute singen die Barden des Nordens davon, sein Name wird nie vergessen sein.“

„Und wer war dieser tapfere Mann?“ wollte Taran wissen. Gwydion blickte ihm in die Augen. „Dallben hat offenbar deine Erziehung vernachlässigt“, sagte er. „Coll war es – Coll, Sohn des Collfrewr.“

„Coll?“ rief Taran. „Doch nicht etwa unser Coll?“

„Doch“, sagte Gwydion.

„Was denn!“ stammelte Taran. „Coll – ein Held? Wo er doch eine Glatze hat!“

Gwydion schüttelte lachend den Kopf. „Du scheinst mir eine sonderbare Vorstellung von Helden zu haben“, sagte er. „Seit wann mißt man den Mut eines Mannes an der Länge seines Haupthaares?“

Taran starrte schweigend auf Gwydions Zeichnung.

„Hier“, setzte Gwydion fort, „nicht weit von Annuvin, liegt Spiral Castle, das Schloß der Königin Achren. Auch diesen Ort wird Hen Wen um jeden Preis meiden. Achren ist nicht minder gefährlich als Arawn selbst. Ihre Bosheit steht ihrer Schönheit um nichts nach – und sie ist über alle Beschreibung schön. Jedenfalls bin ich sicher, daß Hen Wen sich freiwillig weder nach Annuvin noch nach Spiral Castle begeben wird. Aus dem wenigen, was ich der Fährte entnehmen kann, muß sie nach Norden gelaufen sein.“

Sie ritten den Hang hinab. Als sie die Talsohle erreicht hatten, hörte Taran die Wasser des Flusses Avren rauschen und brausen wie einen Gewittersturm.

„Wir müssen absitzen“, sagte Gwydion. „Laß uns langsam und aufmerksam weitergehen. Am besten hältst du dich hinter mir. Wenn du vorausläufst, verdirbst du mir bloß die Spur – falls es eine gibt.“

Taran folgte dem Fürsten gehorsam im Abstand von wenigen Schritten nach. Gwydion bewegte sich lautlos dahin wie der Schatten eines Vogels. Auch Melyngar verursachte kaum ein Geräusch, selten nur knackte ein Zweig unter seinen Hufen. So leise vermochte Taran nicht zu gehen, obgleich er sich große Mühe gab. Je behutsamer er Schritt vor Schritt setzte, desto lauter raschelten die Blätter unter seinen Sohlen. Überall schienen Löcher und tückische Äste darauf zu lauern, ihn straucheln zu machen. Von Zeit zu Zeit wandte Melyngar den Kopf und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Taran wurde von dem Bestreben, möglichst wenig Lärm zu verursachen, so sehr in Anspruch genommen, daß er immer weiter hinter Gwydion zurückblieb. Mit einemmal glaubte er, am gegenüberliegenden Hang etwas Rundes und Weißes wahrnehmen zu können. Ohne Gwydion etwas davon zu sagen, rannte er darauf zu, kletterte durch das Gestrüpp den Hang empor – und fand nichts als ein Felsstück, das ihn genarrt hatte. Enttäuscht hastete Taran wieder zurück, um Gwydion einzuholen. Da hörte er unversehens ein lautes Geräusch über sich im Geäst. Als er anhielt und hochschaute, plumpste hinter ihm etwas Schweres zu Boden. Im nächsten Augenblick schlossen sich zwei dichtbehaarte, sehnige Hände um seinen Hals. Was immer ihn da von hinten gepackt hatte, es gab merkwürdig bellende und knurrende Laute von sich. Mit Müh und Not gelang es dem Jungen, um Hilfe zu rufen. Verzweifelt kämpfte er mit dem für ihn unsichtbaren Gegner. Er drehte und schüttelte sich, er strampelte mit den Beinen und warf sich von einer Seite auf die andere.

Endlich bekam er wieder Luft. Eine dunkle Gestalt segelte über seinen Kopf hinweg, krachte gegen den nächsten Baumstamm. Taran fiel zu Boden und rieb sich den Nacken. Gwydion stand neben ihm. Unweit von ihnen wälzte sich unter den Bäumen ein mehr als seltsames Lebewesen im Moos. Taran konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um ein Tier oder um einen Menschen handelte. Offenbar war es ein Mittelding zwischen beiden. Sein Haar war verfilzt und mit Blättern gespickt wie ein Eulennest. Die langen, von dichtem Fell bedeckten Arme und Beine schienen ebenso geschmeidig zu sein, wie sie schmutzig waren. Gwydion betrachtete die Kreatur streng und ärgerlich. „Du bist es also“, sagte er. „Habe ich dir nicht befohlen, mich und alle, die unter meinem Schutz stehen, ungeschoren zu lassen?“

Der Tiermensch brach in ein jämmerliches Gewinsel aus, verdrehte die Augen und schlug mit den Handflächen auf den Boden. „Es ist bloß Gurgi“, sagte Gwydion. „Ständig liegt er irgendwo auf der Lauer, bald da, bald dort. Er ist halb so wild, wie er aussieht, und nicht ein Viertel so grimmig, wie er gern sein möchte. Irgendwie bringt er es immer fertig, die Augen dort zu haben, wo etwas los ist. Er kann uns vielleicht von Nutzen sein.“

Taran war inzwischen wieder zu Atem gekommen. Er sah, daß er über und über von Haaren bedeckt war, die Gurgi verloren hatte. Der Bursche verströmte den unangenehmen Geruch eines feuchten Wolfshundes.

„O mächtiger Fürst!“ wehklagte er. „Gurgi ist ungehorsam gewesen, nun wird es auf sein armes, zartes Haupt Püffe und Knüffe hageln – furchtbare Püffe und Knüffe! Doch welche Ehre, daß Gurgi sie von den Fäusten des glorreichsten aller Kriegshelden empfangen wird.“

„Ich habe keineswegs die Absicht, dein armes, zartes Haupt mit Püffen und Knüffen zu bedenken“, sagte Gwydion. „Doch es könnte sein, daß ich meinen Vorsatz ändere, wenn du nicht augenblicklich mit dem Gewinsel aufhörst.“

„O mächtiger Herr!“ schrie Gurgi. „Seht, wie schnell man Euch gehorcht!“ Auf Händen und Knien kam er herbeigekrochen. „Die beiden gestrengen Herren werden dem braven Gurgi doch etwas zu beißen geben, nicht wahr? O fröhliches Reißen-undBeißen!“

„Später“, sagte Gwydion. „Erst beantworte uns ein paar Fragen!“

„Oh, später!“ schrie Gurgi. „Wie lang wollen die edlen Herren den armen, hungrigen Gurgi denn warten lassen? Reißen-und-Beißen, Herr! Reißenund-Beißen!“

„Wie lang wir dich warten lassen, hängt davon ab, wie schnell du uns sagst, was wir wissen müssen“, erwiderte Gwydion ungerührt. „Hast du heut morgen ein weißes Schwein gesehen?“

Ein listiger Schimmer glomm in Gurgis Augen auf. „Viele große Herren sind auf der Suche nach einem weißen Schweinchen und reiten mit schauerlichem Geschrei durch die Wälder. Sie hätten gewiß ein Herz für den armen, darbenden Gurgi – o ja, sie gewiß!“

„Sie würden dir den Kopf von den Schultern schlagen, bevor du zwei Worte mit ihnen gesprochen hast“, sagte Gwydion. „Einer von ihnen trug eine Maske, nicht wahr? Eine Maske mit einem Hirschgeweih.“