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„Ein prächtiger Rabe!“ rief Eilonwy. „Und wie zahm er ist! Wirklich ein schöner Vogel! Man müßte ihm das Gefieder ein wenig glätten …“

Der Rabe schien nichts dagegen zu haben, daß Taran ihn sanft am Hals kraulte und ihm den Zeigefinger unter den scharfen, glänzenden Schnabel hielt. Unwillkürlich mußte er an den jungen Gwythaint denken, dem er vergangenen Sommer das Leben gerettet hatte. Ob er noch lebte, und wie es ihm wohl ergangen war? Der Rabe fand offensichtlich Vergnügen daran, sich streicheln zu lassen; er blinzelte zufrieden mit den Augen und zupfte an Tarans Haar. „Wie heißt er denn?“ fragte Eilonwy. „Wie er heißt?“ meinte Gwystyl. „Oh, er heißt Kaw, weil er immer kaw-kaw schreit.“

„Ein trefflicher Name“, erklärte der Barde. „Es paßt zu ihm, wie für ihm geschaffen.“

Während Taran mit Kaw beschäftigt war, nahm sich Adaon des verwundeten Ellidyr an. Er untersuchte ihn gründlich, dann holte er aus dem Lederbeutel, den er am Gürtel trug, eine Handvoll getrockneter Kräuter hervor und zerrieb sie zu einem Pulver. „Oho!“ meinte Ellidyr. „Du kannst also nicht nur träumen, du bist auch ein Arzt? Doch laß nur, die Schramme ist unbedeutend, sie heilt von allein.“ Adaon ließ sich in der Behandlung der Wunde nicht stören. „Sicher ist sicher“, sagte er. „Du weißt, daß uns eine harte, gefahrvolle Reise bevorsteht. Wir können es uns nicht leisten, daß du erkrankst und uns aufhältst.“ „Ich werde es ganz gewiß nicht sein, der euch aufhält“, entgegnete Ellidyr. „Trifft etwa mich die Schuld daran, daß wir uns in die Erde verkrochen haben wie Füchse, statt weiterzuziehen und unseren Mann zu stehen?“ Gwystyl, der neugierig über Adaons Schulter äugte, fragte mit heiserer Stimme: „Hättest du wohl ein geeignetes Mittel gegen das Reißen für mich? Bei der ewigen Feuchtigkeit in dem Loch hier kann man mitunter vor Schmerzen kaum noch ein Glied rühren.“ „Bleib uns mit deinem Gliederreißen gestohlen!“ fuhr Doli ihm über den Mund. „Überlege dir lieber, wie du uns weiterhilfst! Wenn du schon Dienst tust auf diesem Stützpunkt, so darf man wohl auch erwarten, daß du auf Notfälle eingerichtet bist. Was, zum Kuckuck, mag König Eiddileg wohl bewogen haben, ausgerechnet dich hierherzustecken !“

„Danach hab’ ich mich selber schon oft gefragt“, seufzte Gwystyl. „Ich hause hier viel zu dicht an der Grenze Annuvins. Glaubt ihr vielleicht, es verirrten sich jemals halbwegs anständige Reisende zu mir – von euch natürlich abgesehen? Aber im großen und ganzen ist es hier schrecklich einsam und langweilig. Nichts rührt sich hier draußen, nichts ändert sich. Mit anderen Worten: Man ist hier verraten und verkauft, aber ehrlich. – Wann wolltet ihr übrigens weiter? Ich nehme doch an, daß ihr’s eilig habt.“

„Nicht eiliger als die Häscher Arawns“, erwiderte Taran. Gwystyl erbleichte, soweit das bei seiner ohnehin fahlen Gesichtsfarbe möglich war. „Die Häscher Arawns? Was, um alles in der Welt, habt ihr mit denen zu schaffen? Nun habt ihr sie ein für allemal auf dem Hals. Das hättet ihr vorher bedenken sollen!“ „Glaubst du, wir hätten uns absichtlich mit den Häschern eingelassen?“ rief Eilonwy ärgerlich. „Ebensogut kannst du einen Hornissenschwarm einladen, dich zu stechen!“ Gwystyl schrumpfte in seinem Umhang zusammen und blickte noch elender drein als zuvor. Er rieb sich mit zitternder Hand die Stirn, ließ eine große Träne fallen und schluchzte: „So habe ich’s nicht gemeint, mein Kind, glaub mir das! Ich sehe bloß keine Möglichkeit, euch zu helfen. Ihr seid da in eine scheußliche Patsche geraten. Wie konnte das bloß geschehen!“

„Wir sind Gefährten des Fürsten Gwydion“, sagte Taran. „Mit ihm sind wir gegen Arawn gezogen, um …“ Gwystyl hob eilig die Hand. „Schweig still!“ unterbrach er ihn ängstlich. „Ich mag es nicht hören, ich weiß lieber nichts davon! Habt Erbarmen mit mir, ich möchte mich aus der Sache heraushalten! Gwydion hätte wissen müssen, was er da auf sich genommen hat. Ach du liebe Zeit!“

Adaon hatte inzwischen Ellidyrs Wunde versorgt und ihm einen Verband angelegt. Nun trat er auf Gwystyl zu und versuchte, in aller Ruhe mit ihm zu reden. „Wir bitten dich, nichts zu tun, was dich selbst in Gefahr bringen könnte“, beschwor er ihn. „Dennoch erscheint es mir notwendig, dir zu sagen, weshalb wir den Zug gegen König Arawn unternommen haben.“ „Wir wollten uns seines verdammten Kessels bemächtigen!“ platzte der Junge dazwischen. „Des Kessels?“ murmelte Gwystyl.

„Ja, seines Schwarzen Zauberkessels!“ rief Doli zornig. „Du bleiche Made, du unglückseliger Engerling! Du wirst doch wohl wissen, welche Bewandtnis es damit hat?“

„Doch, doch“, seufzte Gwystyl mit matter Stimme. „Verzeih mir, Doli, ich dachte gerade an etwas anderes. Wann, sagtest du, wollt ihr weiter?“ Der Zwerg machte Miene, Gwystyl am Umhang zu packen und kräftig durchzuschütteln. Adaon kam ihm zuvor und verhinderte es. In kurzen Worten erklärte er, was sich bisher ereignet hatte.

„O weh!“ stöhnte Gwystyl. „Ihr hättet euch niemals auf diese Geschichte einlassen dürfen! Jetzt fürchte ich, ist es zu spät für euch. Nun müßt ihr versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich hoffe, ihr schafft es!“ „Wenn du den Schwarzen Kessel meinst“, sagte Taran bitter, „so ist er uns durch die Lappen gegangen. Er ist aus Annuvin verschwunden, irgendwer hat ihn uns vor der Nase weggeschnappt.“

„O ja“, seufzte Gwystyl mit trauriger Miene, „das ist mir nicht unbekannt.“

Der Rabe Kaw

Taran glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Sag das noch einmal!“ rief er.

Gwystyl zögerte einen Augenblick, dann gehorchte er. „Es ist mir bekannt, daß jemand den Schwarzen Kessel entwendet hat“, wiederholte er. „Und wer war es?“

„Das weiß ich nicht“, sagte Gwystyl auffallend rasch. „Ich weiß eigentlich überhaupt nichts, auf jeden Fall nichts Genaueres. Ganz gewiß nicht, wie sollte ich!“ Doli versuchte ihn festzunageln. „Gwystyl!“ fuhr er ihn an. „Du weißt mehr, als du zugibst! Heraus damit!“ Gwystyl begann sich das Haar zu raufen. „Laßt mich in Frieden!“ flehte er. „Ich hab’ andere Dinge im Kopf als gestohlene Kessel, ich mag nichts damit zu tun haben!“ „Du mußt es uns sagen!“ rief Taran. „Bitte, Gwystyl! Verschweig uns nicht, was du weißt! Unser Leben kann davon abhängen. Sag uns wenigstens, wo sich der Kessel befindet!“

„Laßt die Finger davon“, ächzte Gwystyl mit Grabesstimme, „vergeßt ihn! Begebt euch nach Hause und laßt den verfluchten Kessel – Kessel sein!“ „Das geht nicht“, erwiderte Taran. „Arawn wird nicht ruhen, bis er ihn wiedergefunden hat.“ „Ohne Zweifel!“ rief Gwystyl. „Und eben dies ist der Grund, weshalb ich euch rate, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sonst macht ihr sie nur noch verworrener, als sie ohnehin schon ist.“

„Dann dürfte es wohl das beste sein, wenn wir nach Caer Cadarn eilen, wie es Fürst Gwydion uns befohlen hat“, meinte Eilonwy.

„Ganz sicher!“ beteuerte Gwystyl eifrig. „Bei allem, was ich euch rate, habe ich euer Wohl im Auge. Gut, daß ihr auf mich hören wollt! Vermutlich werdet ihr darauf brennen, euch auf den Weg zu machen. Ich muß leider in diesem elenden Fuchsbau zurückbleiben, schade – aber was will man dagegen tun? Jedenfalls war es mir ein Vergnügen, euch kennengelernt zu haben, auf Wiedersehen, lebt wohl!“

„Lebt wohl?“ rief Prinzessin Eilonwy. „Wenn wir den Häschern Arawns in die Hände laufen – das könnte ein Abschied für immer werden! Doli sagt, daß es deine Pflicht sei, uns weiterzuhelfen. Was hast du bisher getan, außer seufzen und jammern? Wenn das alles ist, was ihr Unterirdischen Hilfe nennt, dann schämt euch!“ Gwystyl hielt sich die Ohren zu. „Bitte, schrei nicht so!“ ächzte er. „Schreien vertrage ich nicht, dann schon lieber Pferde. Einer von euch kann ja gehen und nachsehen, ob die Häscher noch da sind.“

„Und wer?“ fragte Doli. „Natürlich bin ich es wieder – ich, der ich hoffte, mich nie mehr unsichtbar machen zu müssen!“