Der Fremde trug eine prächtige Rüstung. Die schmale Nase gab seinem Gesicht etwas Falkenhaftes. Nachdem er sich leicht vor Gwydion verneigt haue, nahm er einen Sitz an der Tafel ein und musterte eiskalten Blickes die Runde der übrigen.
„Wer ist das?“ Taran getraute sich kaum, den Mann in der prächtigen Rüstung anzusehen.
„König Morgant von Madoc“, flüsterte Fflewddur. „Nach Gwydion ist er der kühnste Feldherr in Prydain, ein Treueschwur bindet ihn an die Söhne des Hauses Don. Ihm wird nachgesagt, daß er Gwydion einige Male das Leben gerettet habe. Das glaube ich unbesehen. Im Kampf wirkt er wie aus Eis, er ist ganz und gar furchtlos. Wo Morgant die Hand im Spiel hat, geht es um keine geringe Sache, darauf kannst du Gift nehmen. – Aber was höre ich da? Das muß König Smoit sein, den kannst du immer schon hören, bevor du ihn zu Gesicht bekommst!“
Unter brüllendem Gelächter kam an Adaons Seite ein Hüne von Kriegsmann hereingestampft. Er überragte alle im Raum Versammelten. Ein roter Bart umflammte sein Gesicht, das kreuz und quer von alten Wunden ver schrammt war.
„Was für ein Bär!“ raunte Fflewddur dem Jungen zu. „Aber es ist nicht das winzigste Körnchen Böses in ihm. Als sich die Herren der südlichen Königreiche gegen die Söhne des Hauses Don erhoben, gehörte Smoit zu den wenigen, die sich den Verrätern widersetzt haben.“ Smoit blieb in der Mitte des Raumes stehen, warf den Mantel zurück, hakte die Daumen in den breiten, eisenbeschlagenen Gürtel, der seinen Leib umspannte, und brüllte los: „He, Morgant! Sie haben dich auch herbeigerufen, nicht wahr? Ich wittere Blut im Wind!“ Wild durch die Nase schnaubend, schritt er auf Morgant zu und versetzte ihm einen heftigen Schlag auf die Schulter. „Nimm dich in acht!“ sagte Morgant mit dünnem Lächeln. „Du könntest einmal den Falschen treffen.“ „Oho!“ bellte König Smoit, wobei er sich auf die feisten Schenkel schlug. „Keine Bange, du Eiszapfen! Ob ich den Richtigen oder den Falschen treffe, ist meine Sache!“ Sein Blick fiel auf Fflewddur Fflam. „Laß dich ans Herz drücken, alter Knochen!“ rief er und schlang ihm die Arme mit solcher Begeisterung um den Leib, daß dem Barden die Rippen krachten. „Bei allem Blut, das durch meine Adern rinnt – spiel uns ein Lied auf, du butterköpfiger Harfenzupfer!“
Nun erblickte der Riese den Jungen. „Und wer bist du?“ Er packte Taran mit seinen mächtigen roten Pratzen und schüttelte ihn. „Was willst du denn hier, du gerupftes Huhn?“
„Das ist Taran von Caer Dallben, der Hilfsschweinehirt“, sagte Fflewddur an Tarans Stelle.
„Zu dumm, daß er nicht der Koch ist!“ polterte Smoit. „Ich hab’ nämlich, wie ihr wissen müßt, einen verdammten Hunger im Leib.“
Dallben klopfte ruheheischend auf den Tisch, und Smoit trollte sich an seinen Platz, nicht ohne den Barden zuvor ein zweites Mal zu umarmen. Auch die übrigen ließen sich an der Tafel nieder. Die Stirnseite nahmen Dallben und Gwydion ein, am unteren Ende saß Coll. König Smoit hatte seinen Platz zur Linken des alten Zauberers, gegenüber von König Morgant. Taran quetschte sich zwischen den Barden und Doli, der sich darüber beklagte, der Tisch sei zu hoch für ihn. Rechts von Morgant saß Adaon, neben ihm hatte Ellidyr Platz genommen, den Taran seit heute morgen nicht mehr gesehen hatte. Dallben erhob sich, alle blickten zu ihm empor. Er strich sich den mächtigen grauen Bart und begann: „Für Höflichkeiten bin ich zu alt, deshalb habe ich nicht die Absicht, euch eine lange Begrüßungsrede zu halten. Der Anlaß zu dieser Ratsversammlung ist ernst und dringlich, laßt uns daher ohne Umschweif zur Sache kommen. Wie einige von euch aus nächster Nähe erlebt haben“, fuhr er mit einem Blick auf Taran und dessen Gefährten fort, „hat unser alter Widersacher Arawn, der Herrscher über Annuvin, im vorigen Jahr eine schwere Niederlage erlitten, als Gwydion den Gehörnten König erschlug und das Heer der Verräter in alle Winde zerstreute. Doch niemand von uns wird glauben, daß Arawn damit für alle Zeiten bezwungen sei. Sichere Anzeichen sprechen dafür, daß er die Absicht hat, wieder loszuschlagen. Uns bleibt nicht viel Zeit, ihn daran zu hindern. Was er im Schilde führt, zeichnet sich immer klarer ab. Ich bitte den Fürsten Gwydion, euch davon zu berichten.“ Mit ernster Miene erhob sich Fürst Gwydion aus dem Hause Don. „Wir alle“, begann er, „kennen die Kesselkrieger, die stummen Mordknechte Arawns, die man nicht töten kann. Der Herr von Annuvin, ihr wißt es so gut wie ich, pflegt die Leiber der erschlagenen Recken aus ihren Gräbern zu rauben, und brüht sie im Schwarzen Kessel, wodurch sie zu neuem Leben erweckt werden, eben zu Kesselkriegern. Fortan ist ihnen alles menschliche Fühlen fremd, blindlings und ohne Gnade vollstrecken sie die Befehle Arawns.“ Die Versammelten nickten, sie wußten Bescheid darüber.
„Neuerdings aber“, fuhr Gwydion fort, „ist König Arawn dazu übergegangen, sich auch der Lebenden zu bemächtigen. Allenthalben in Prydain verschwinden Männer: Arawn läßt sie totschlagen und nach Annuvin bringen, um sie zu Kesselkriegern zu machen und seine Macht zu vergrößern. Nun liegt es an uns, seinem schändlichen Treiben Einhalt zu bieten.“ Wenn Taran zum Fenster hinausblickte, sah er die Wälder leuchten, golden und scharlachrot. Milde Luft strich herein, als hätte ein Sommertag sich in den Herbst verirrt. Doch Gwydions Worte machten den Jungen frösteln. Mit Grausen dachte er an die toten Augen der Kesselkrieger, die fahlen Gesichter, das furchtbare Schweigen, mit dem sie ihr unbarmherziges Werk verrichteten.
„Zum Teufel!“ schrie König Smoit und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sind wir Memmen und alte Weiber? Ich finde, wir sollten Arawn das Handwerk legen!“ „Eben zu diesem Zweck sind wir hier zusammengekommen“, erklärte mit grimmigem Lächeln Fürst Gwydion. „Ihr alle, so hoffe ich, werdet nicht nein sagen, wenn ich euch bitte, mit mir nach Annuvin zu ziehen: Wir müssen, um Prydains und seiner Bewohner willen, den Schwarzen Kessel in unsere Hand bekommen und ihn zerstören.“
Gwydions Plan
Taran fuhr auf seinem Stuhl zusammen. Im Raum herrschte atemlose Stille. König Smoit, der gerade dazu angesetzt hatte, etwas zu sagen, schloß betroffen den Mund. Nur Morgant zeigte keinerlei Anzeichen von Verwunderung. Er saß reglos an seinem Platz, die Augen gesenkt, einen sonderbaren Ausdruck im Gesicht. „Es gibt keinen anderen Weg“, sagte Gwydion. „Da man die Kesselkrieger nicht töten kann, müssen wir wenigstens zu verhindern trachten, daß ihre Zahl noch anwächst – ganz davon abgesehen, daß es unsere Pflicht ist, die Männer Prydains vor den schändlichen Anschlägen Arawns zu schützen. Bis zum heutigen Tag wußte außer dem Hochkönig Math und mir nur Dallben von diesem Plan. Nun, da ihr alles gehört habt, steht es euch frei, euch an seiner Verwirklichung zu beteiligen oder nicht.“
„Und ob wir uns dran beteiligen!“ polterte Smoit. „Wer immer in dieser Runde die Absicht hat, dich im Stich zu lassen, bekommt es mit mir zu tun!“ „Sachte, mein Freund“, unterbrach ihn Gwydion freundlich, aber bestimmt. „Hier geht es um eine Entscheidung, die jeder freiwillig treffen muß, ohne jeden Zwang – auch nicht von deiner Seite!“ Der Fürst blickte in die Runde, niemand bewegte sich. „Seid bedankt“, sagte Gwydion. „Ich hatte damit gerechnet, daß ihr mich nicht enttäuschen würdet.“
Taran war furchtbar aufgeregt. Nur mühsam gelang es ihm, sich zur Ruhe zu zwingen. Fflewddur indessen sprang auf und bezeigte dem Fürsten seine Begeisterung. „Daß du Krieger brauchst, um den Zauberkessel herauszuholen, ist selbstverständlich!“ rief er. „In mir hast du obendrein einen Barden zur Hand, der unser aller Heldentaten in Liedern festhalten wird. Das nenne ich klug gewählt!“